Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Männlichkeit im Wrestling: Verknotete schweißnasse Körper
> Wrestling ist hypermännlich, theatralisch, pathetisch – und irgendwie
> homoerotisch. Roland Barthes hielt es für eine moderne Mythenmaschine.
Bild: Exzess der Männlichkeit in Mexiko-Stadt
Mannsein ist Kampf. Nirgends wird die theatralische Dimension dieses Kampfs
augenfälliger als im US-amerikanischen Professional Wrestling – oder
„Sports Entertainment“, wie es sich selbst bezeichnet. Es wundert also
kaum, dass selbst Donald Trump einst in den Kampf trat (gegen Vince
McMahon, Hauptanteilseigner des Marktführers im Sports Entertainment). Der
Kampf im „Squared Circle“ ist dabei mehr als körperliche Rauferei: Er ist
Spiegel und Projektionsfläche kultureller Fantasien. Sie kreisen um Körper
und Seele des amerikanischen Mannes.
Wrestling oder „Catchen“, wie es früher hieß, ist eine inszenierte Varian…
des Ringkampfes, der Elemente von klassischem Ringen und Martial Arts mit
Theatralik und Show-Elementen verbindet. Der Ausgang der Matches ist
vorbestimmt, was nicht bedeutet, dass jeder Teil des Kampfes in einem
Skript festgelegt ist. Vielmehr ergibt sich der Fluss der Handlungen meist
spontan im Ring.
Die inszenierten Ringkämpfe mögen gerade hierzulande bei vielen
Kopfschütteln auslösen. In den USA jedoch handelt es sich um einen echten
Volkssport. Die wöchentliche Sendung „RAW“ ist die am längsten laufende
Episodenserie in der Geschichte des US-Fernsehens.
Zuletzt machte in Deutschland der ehemalige Profifußballer Tim Wiese
Schlagzeilen mit seinem Versuch, Wrestler zu werden. Einer seiner
Beweggründe dürfte klar sein: Das Sports Entertainment macht Weltstars.
Hulk Hogan oder Dwayne „The Rock“ Johnson sind weit über die Grenzen des
Business bekannt. Wrestling und Hollywood gehen nicht zufällig eine so
erfolgreiche Verbindung ein: Beide bewegen sich in mythischen Sphären.
Das begriff bereits der französische Philosoph Roland Barthes, der im
Gegensatz zu praktisch jedem anderen massenmedialen Erzeugnis ausgerechnet
das US-amerikanische „Catchen“ mit einem geradezu liebevollen Blick
betrachtete. In seiner ritualisierten Wiederholung des Immergleichen – des
inszenierten Kampfes Gut gegen Böse – zeige sich Wrestling, so Barthes, als
moderne Mythenmaschine.
## Heel gegen Babyface
Klassischerweise nämlich kämpft in einer Fehde ein Heel, also ein
Bösewicht, gegen ein Babyface, das personifizierte Gute. Die Elemente
dieser Geschichten wie beispielsweise Interviews und Backstage-Kämpfe nennt
man „Angles“. Die Angles dienen der Zuspitzung des Konfliktes, die bei
einer Großveranstaltung kulminieren.
Wrestling ist Spektakel des Exzesses, so lautet Roland Barthes’ Diagnose.
Das Gute ist absolut gut, das Böse absolut böse, der männliche Körper
erstarrt in hypermännlicher Härte, die Gewalt findet (eigentlich paradox)
im Showkampf ihre größte Übertreibung. Diese Qualität des Spektakels
unterscheidet es nur marginal von jährlichen Karnevalsfeierlichkeiten oder
Selbstgeißlungsprozessionen.
Wrestling erzeugt im seriellen Spektakel einen Zeichenüberschuss: Es
bedient sich für seine „Storylines“ nicht nur bei gegenwärtigen
popkulturellen Erzeugnissen und wirkt zugleich auf diese zurück. Man kann
in den muskulösen Körpern, die sich vor Schmerzen winden, das entdecken,
was Kunsthistoriker Aby Warburg als „Pathosformeln“ bezeichnete:
Überzeitliche Gefühlsausdrücke, Schmerz und Ekstase, wie wir sie zum
Beispiel in antiken Skulpturen sehen. Zugleich dürfte der gestählte Körper
des Laokoon gewissermaßen die Blaupause für den Wrestler-Körper bilden. Er
wie fast jeder erfolgreiche Wrestler erfüllt das Hardbody-Ideal: das des
austrainierten Körpers, der in der Physis das psychische Ideal von
Männlichkeit spiegelt. Männlichkeit, die von jeder Form der Weichheit und
Sanftheit, kurz Weiblichkeit, gereinigt wurde.
Die eigentliche Ironie dieser Hypermännlichkeit: Kaum etwas hat eine
homoerotischere Dimension als muskulöse, schweißnasse Männerkörper, die
sich in knappen Höschen aneinanderpressen. „Wrestling ist ein
homoerotischer Sport“, stellt etwa auch der Wrestler Christopher Saynt
fest. Es sei geradezu widersinnig, wenn dieser Sport homophobe Stereotype
pflege, so der schottische Wrestler. Saynt ist einer der wenigen
bekennenden Homosexuellen in der Branche. Im Jahr 2013 folgte das
Coming-out des afroamerikanischen Wrestlers und WWE-Stars Darren Young.
Seiner Karriere bekam es nicht sonderlich gut, obgleich ihn zahlreiche
Kollegen zu seinem mutigen Schritt beglückwünschten.
## Hysterischer Umgang mit Homosexualität
Gerade weil Männer im Wrestling so engen Körperkontakt pflegen, „müssen“
sie jeden Verdacht der Homosexualität von sich weisen. Das Hardbody-Ideal,
das eigentlich alle Spuren von Weiblichkeit tilgen soll (denn Schwulsein
wird immer auch assoziiert mit weiblich sein), erzeugt dabei erst recht
eine homoerotische Anmutung. Der Umgang des Professional Wrestling mit
Homosexualität ist dann auch ein beinahe hysterischer. So gab es im
Wrestling stets Charaktere, die Merkmale von stereotypem Schwulsein trugen
– man denke an die Südstaaten-Legende Ric Flair und seine extravaganten
Roben, die an den schwulen Entertainer Liberace erinnerten. Zugleich machte
Flair deutlich, dass in seinen Limousinen zu allen Zeiten ein halbes
Dutzend Frauen darauf warteten, sich für ihn auszuziehen.
Auch Transvestitismus ist im Wrestling ein Thema. Der Charakter Goldust
schockierte in den 90ern mit hautengem, goldenem Spandex-Anzug, Make-up und
blonder Langhaar-Perücke. Zugleich wurde er von einer halbnackten Blondine
begleitet – als könne genug Hetero-Sex die queeren Vibes neutralisieren.
Queere Charaktere dienten dabei immer der Publikumsbelustigung, durchaus
auch der Verstörung. Sports Entertainment erkennt ihre Existenz an, macht
sie zum Teil des Spektakels. Den vielleicht interessantesten und zugleich
aufrichtigsten Versuch, Homosexualität in eine Geschichte im Wrestling
einzubauen, bildete das Tag Team Chuck und Billy zwischen 2001 und 2002.
Die Grenzen zwischen „Bromance“ und schwuler Zuneigung wurden plötzlich
fließend. Trotz dieser homoerotischen „Angle“ blieben Coming-outs von
Wrestlern die Ausnahme. Bis heute wartet die Welt des amerikanischen Pro
Wrestling auf einen authentischen schwulen Charakter.
Neuerdings fällt man sogar zurück in alte Muster der Darstellung queerer
Charaktere: So inszeniert die WWE in ihrer Entwicklungsliga NXT den
Wrestler Velveteen Dream. Offenkundig vom Look des Sängers Prince
inspiriert (dessen Look stets ein Zeichenspiel mit Weiblichkeit war),
spielte gleich die erste Fehde von Velveteen Dream mit vielleicht der
hetero-männlichen Angst schlechthin: Von einem Homosexuellen gegen den
eigenen Willen bedrängt zu werden. So stalkte Dream den Wrestler Aleister
Black; die Fehde wurde von den NXT-Fans als Fehde des Jahres honoriert.
## Metrosexuelle Hipster
Allerdings ist es gerade die junge Generation von Wrestlern und Fans, die
Hoffnung auf einen entspannteren Umgang nicht nur mit Homosexualität,
sondern auch mit Männlichkeit macht. Als der englische Wrestler Will
Ospreay wegen eines Katzenohrenhaarreifs in Liverpool von Fans als
„Schwuchtel“ bezeichnet wurde, tat sein Gegner und „Bösewicht“ Pete Du…
das eigentlich Undenkbare und brach seine Rolle, indem er sich seinerseits
die Katzenohren aufsetzte und den Fans den Mittelfinger zeigte.
Dunne, der sich mit seinen britischen Wrestler-Kollegen Tyler Bate und
Trent Seven als stylisches Trio in Outfits auf Instagram zeigt, offenbart
eine Alternative für das Ideal von Hypermännlichkeit im Pro Wrestling. Sein
lässiger Hipsterlook mit Undercut und Maßanzug normalisiert das, was vor
Jahren noch als „Metrosexualität“ galt.
Das ist außerhalb des Wrestlings natürlich seit Jahren Realität. Dunne,
inzwischen einer der beliebtesten Jungstars der WWE, offenbart, dass sich
mit einer neuen Generation von Wrestlern und Fans alte Ängste des Business
wandeln.
Queerness wird hoffentlich schon bald nicht mehr in Klischees von Schwulen
verspottet werden, sondern schlicht normaler Teil der Welt des Rings. Die
Zeit ist reif für eine neue, schwule Liebes-Angle.
25 Feb 2018
## AUTOREN
Marlen Hobrack
## TAGS
Wrestling
Homosexualität
Roland Barthes
Queer
Männlichkeit
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Wrestling
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Tim Wiese
Philosophie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Krise der Wrestlingbranche: Stars im Rentenalter
Eine „Reunion-Show“ zeigte vor allem alte Helden des Sports. Dem US-Konzern
World Wrestling Entertainment fehlen Innovationen.
Hulk Hogan in der Wrestling Hall of Fame: Ruf wiederhergestellt
Jahrelang war er zerknirscht und entschuldigte sich für den eigenen
Rassismus. Nun bekommt der US-Ringer Hulk Hogan eine zweite Chance.
Debatte Trumps Selbstinszenierung: Battle auf der Weltbühne
Wrestling ist der urtypische US-amerikanische Showsport. Voller Pathos,
Kitsch und Fakes. Auch Trump hat sich auf dieser Bühne schon präsentiert.
Tim Wiese als Wrestler: The Weird Wiesenator
Der Wrestling-Experte der taz hat sich Tim Wieses ersten Kampf angeschaut.
Sein Urteil: Der ehemalige Keeper zeigt vielversprechende Ansätze.
Arte-Doku über Roland Barthes: Der Strukturalist in der Prügelbude
Weil er demnächst 100 Jahre alt würde, widmet Arte dem Großintellektuellen
Roland Barthes eine Dokumentation. Sie ist ein wenig verhuscht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.