# taz.de -- Rechtsextremismus in Deutschland: Abschied eines Spitzels | |
> Mehr als 150 Skinheads trugen am Freitag einen Neonazi zu Grabe. Der war | |
> offenbar V-Mann – mit Kontakten ins NSU-Umfeld. | |
Bild: Rechtsextreme haben nicht immer Glatzen – und sie liegen auch nicht imm… | |
BERLIN taz | Mehr als 150 Kameraden sind noch einmal gekommen. Sie stehen | |
an diesem Freitagmittag auf dem Karlsruher Hauptfriedhof, viele von ihnen | |
mit kahlgeschorenem Kopf, tätowiert, in schwarzen Springerstiefeln, die | |
Arme verschränkt. Sie trauern um einen der Ihren: Roland Sokol. | |
„Wir nehmen Abschied von unserem Freund und Kameraden. In stiller Trauer, | |
Hooligans Karlsruhe“, hatten sie in einer Traueranzeige geschrieben. Ein | |
Foto von Sokol zieren zwei gekreuzte Hämmer: das Symbol der „Hammerskins“, | |
die sich als Elite der Naziskinhead-Bewegung versteht. | |
Roland Sokol, der Mann mit der Glatze und den prall tätowierten Unterarmen, | |
der am 22. September an Krebs starb, war bestens vernetzt unter den | |
extremsten Neonazis der Republik. Ein Hammerskin seit Jahren, Bassist der | |
Szeneband „Triebtäter“, mutmaßlich Teil des verbotenen | |
rechtsextremistischen Netzwerks „Blood & Honour“, ein Mann mit zerrüttetem | |
Privatleben und einer Vorliebe fürs Boxen. | |
Am Sonntag um 14.40 Uhr, zwei Tage nach seiner Beerdigung, erscheint auf | |
seinem früheren Facebook-Profil eine Botschaft: „Nachricht aus Walhalla“. | |
Hinter dem ironischen Gruß verbirgt sich ein Link zu einem mehrseitigen | |
Report. [1][Urheber ist die Freiburger Antifa, die offenbar umfassend im | |
Umfeld Sokols recherchierte] – und enthüllt, was seine Kameraden nicht | |
wussten: Sokol war fleißiger Zuträger des Verfassungsschutzes. | |
Der taz liegen zahlreiche E-Mails vor, die diesen Verdacht untermauern. Das | |
dürfte nicht nur seine alten Hooligan-Freunde aufschrecken, sondern auch | |
die Mitarbeiter des Geheimdienstes. Denn von Sokol gibt es auch eine | |
Verbindung zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). | |
Nach Recherchen der taz hielt Sokol seit mindestens 2009 regelmäßigen | |
Austausch mit einer Kontaktperson, die sich als „Michael W.“ ausgab. An | |
dessen GMX-Adresse schickte er umfassende Informationen aus rechtsextremen | |
Zusammenhängen. Dass V-Mann-Führer nicht unter ihren behördlichen Adressen | |
mit ihren Quellen kommunizieren, ist gängige Praxis. Metadaten aus dem | |
E-Mail-Verkehr, die die taz ausgewertet hat, führen jedoch von „Michael W.“ | |
zurück auf Serverstrukturen der Landesverwaltung Baden-Württemberg. | |
## Er liefert jahrelang Szene-Interna | |
Über Jahre fragt „W.“ Interna aus der Szene an. Und Sokol liefert: Im | |
August 2013 berichtet er etwa über einen Streit nach einer mutmaßlichen | |
Veruntreuung von Geldern in der rheinland-pfälzischen NPD. Im November 2012 | |
übermittelt er den Konzertort eines geplanten Hammerskin-Konzerts vorab: | |
Per Reisebus soll es ins französische Toul gehen. Auch als sich 2012 die | |
Bewegung „Hooligans gegen Salafisten“ formiert, ist Sokol im Bild. | |
In einigen Mails soll er mitteilen, welche Personen sich auf bestimmten | |
Feiern oder Konzerten der Szene befanden. „W.“ schickt Sokol auch Fotos, um | |
darauf Szeneangehörige zu identifizieren. In einer Anfrage geht es etwa um | |
Malte Redeker, den Europachef der Hammerskins, der nun auf der Beerdigung | |
Sokols Sarg mitgetragen hat. | |
Die rassistische „Bruderschaft“ der Hammerskins vereint Hooligans aus ganz | |
Europa. Sie trifft sich im Geheimen, organisiert rechte Konzerte, predigt | |
unverhohlen Gewalt. Seit mindestens 2012 mischte Sokol bei den Hammerskins | |
mit – für den Geheimdienst wohl ein wertvoller Zugang in den verschwiegenen | |
Bund. | |
Der baden-württembergische Verfassungsschutz äußerte sich am Wochenende auf | |
taz-Anfrage nicht zu der Zusammenarbeit mit Sokol. Aus dem Bundesamt hieß | |
es nur, über „Einzelheiten der operativen Arbeit“ gebe man „keine | |
Auskünfte“. | |
Für die Behörde könnte die Enttarnung noch brenzlig werden. Wieder muss | |
sich der Verfassungsschutz fragen lassen, wie nahe er am NSU-Trio dran war. | |
Denn der umtriebige Sokol besaß auch einen Onlineshop für rechtsextreme | |
Szenekleidung, den Patria-Versand – und der bekam 2011 brisante Post. Als | |
sich die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem | |
missglückten Banküberfall in Eisenach am 4. November 2011 erschossen, | |
zündete wohl Beate Zschäpe die gemeinsame Wohnung in Zwickau an. Dann soll | |
sie 15 Bekenner-DVDs des NSU verschickt haben: an die Linkspartei in Halle, | |
den Axel-Springer-Verlag oder das Türkische Konsulat in München. Nur ein | |
Exemplar ging an einen rechtsextremen Empfänger: den Patria-Versand. | |
## Bekenner-DVD beim Patria-Versand | |
Die DVD erreichte laut Sicherheitsbehörden das Unternehmen angeblich am 23. | |
November 2011, immerhin rund zwei Wochen nach Absendung. Der Versand wurde | |
zu dem Zeitpunkt noch von Sokols Vorgänger Franz G. betrieben, auch er ein | |
gut vernetzter Neonazi. Allerdings: Fast unmittelbar mit Eintreffen der | |
Bekenner-DVD des NSU ging der Laden an Sokol über. Zwischen dem 4. | |
November, dem Selbstmord von Mundlos und Böhnhardt, und dem vermeintlichen | |
Eingang der DVD fädelte der mutmaßliche V-Mann Sokol die Übernahme ein. | |
Alles reiner Zufall? | |
Bis heute ist ungeklärt, warum der NSU als einzige rechte Adresse | |
ausgerechnet den Patria-Versand aussuchte. Suchte das Trio einen | |
Multiplikator für die eigene Szene? Dafür aber war der Versand nicht | |
bedeutend genug. Oder ging die DVD womöglich an einen alten Vertrauten? War | |
es Franz G.? Oder war es womöglich gar Roland Sokol? | |
Franz G. war zu dieser Frage am Wochenende nicht zu erreichen. Sokol aber | |
kam aus jenem rechten Skinhead-Milieu, in dem sich auch Böhnhardt, Mundlos | |
und Zschäpe vor ihrem Untertauchen bewegten. Als er 1995 mit seiner Band | |
„Triebtäter“ in Gera spielte, befand sich unter den Zuhörern auch Mundlos. | |
Mehrere spätere Helfer des NSU-Trios kamen aus dem Spektrum der Hammerskins | |
oder den Reihen von „Blood & Honour“, auch dies ein äußerst gewalt- und | |
musikaffiner Neonazi-Bund. Die Unterstützer sammelten Spenden für die | |
Untergetauchten, organisierten Wohnungen, bemühten sich um gefälschte Pässe | |
oder Waffen. | |
Sokol bewegte sich im inneren Zirkel dieser extremistischen Milieus. Die | |
Sicherheitsbehörden rechneten ihn dem „Blood & Honour“-Netzwerk zu. | |
E-Mails, die der taz vorliegen, bestätigen seine Kontakte zu offen | |
militanten, teils in Haft befindlichen Szenemitgliedern. Als 2011 die | |
Existenz des NSU öffentlich wurde, schlug Sokol einem Bekannten in einer | |
E-Mail vor: „Sollen wir ein T-Shirt machen, wo draufsteht: ‚Döner-Killer? | |
Find ich gut!‘“. Die Mail, in der dieser Satz steht, stammt ausgerechnet | |
vom 16. November 2011. Im selben Schreiben geht es um die Übernahme des | |
Patria-Versands durch Sokol. Auch das nur ein geschmackloser Witz, ein | |
dummer Zufall? Oder wusste Sokol, wie über vieles in der Szene, mehr? | |
Auch die sogenannten Kameraden von Sokol dürfte das interessieren. Es war | |
„Triebtäter“, Sokols eigene Band, die einmal ihre Verachtung vor Spitzeln | |
besang: „Über eins, da solltest du im Klaren sein, du kleines mieses | |
Verräterschwein, Gott vergibt – wir nie!“ | |
Die meisten Fragen aber muss nun der Verfassungsschutz beantworten. Mal | |
wieder. | |
4 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] https://linksunten.indymedia.org/de/node/154693 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Martin Kaul | |
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