# taz.de -- taz-Serie Flüchtlinge und Fußball: Willkommen in der Kreisklasse | |
> Das Flüchtlingsteam von Welcome United will mehr sein als nur ein | |
> Auffangbecken von fußballbegeisterten Zuwanderern. | |
Bild: Welcome United beim Training | |
Es ist eine Geschichte voller Unwahrscheinlichkeiten und Unwägbarkeiten, | |
die an einem Sonntagmorgen Ende September auf einer Fußballanlage in | |
Stahnsdorf erzählt wird. | |
Stahnsdorf ist eine kleine Gemeinde im Kreis Potsdam-Mittelmark. Der | |
Verein, der auf dem Fußballplatz spielt, heißt Eintracht Teltow; die von | |
frühherbstlicher Sonne beschienene Anlage, auf der die vierte Mannschaft | |
des Klubs heute spielen soll, liegt im Grünen und verfügt über die | |
wesentlichen Einrichtungen, ohne die das deutsche Vereinswesen nicht das | |
deutsche Vereinswesen wäre: ein Klubhaus, einen Bratwurstgrill, einen | |
Platzwart und einen Rentner mit grauem Haar und grauem Schnäuzer, der die | |
Thermoskannen Kaffee bereitgestellt hat. Kleine, muffige Umkleiden gibt es | |
auch. | |
In einem dieser Umkleideräume sitzen heute Abdi, Gigi, Hassan und die | |
anderen. Sie wühlen in einer roten Plastikkiste, aus der sie blau-weiße | |
Trikots, Hosen, Schienbeinschoner und Stutzen fischen. Abdi, Gigi, Hassan | |
und die anderen sind aus Babelsberg angereist, sie werden gegen Eintracht | |
Teltow antreten. Eigentlich haben sie kompliziertere Namen, aber jeder | |
nennt sie hier nur bei ihrem Kurznamen. „Come on, guys, hurry, hurry“, ruft | |
Trainer Sven George jetzt in die Kabine hinein, „twenty minutes left“. Um | |
10.30 Uhr ist Anstoß. Auch Sven hat hier, wir sind ja beim Fußball, nur | |
einen Vornamen. Gerade noch läuft Sven aufgeregt zwischen Kabine und | |
Parkplatz hin und her, meist das Smartphone am Ohr. Sein Team ist noch | |
nicht komplett. | |
Es ist der 4. Spieltag in der 2. Kreisklasse C des Fußball-Landesverbandes | |
Brandenburg. Und es ist keine ganz gewöhnliche Partie in dieser | |
Spielklasse; das merkt man auch daran, dass eine kleine Ultragruppe | |
angereist ist, die am Spielfeldrand Banner befestigt hat (“Ultras | |
Babelsberg“, „Wir wollen Bier umsonst“) und die während des Spiels Stimm… | |
macht. Das Team, das sie anfeuern und in dem die Jungs von Trainer Sven | |
spielen, heißt Welcome United. | |
Welcome United ist eine Mannschaft, die ausschließlich aus Flüchtlingen | |
besteht. Im Juni 2014 hat der Verein Babelsberg 03 das Team gegründet, es | |
war das erste seiner Art in Deutschland. Inzwischen gibt es einige weitere, | |
bis in bayerische Kleinstädte hinein. Richtig los ging es für die | |
Babelsberger Pioniere aber eigentlich erst kürzlich: Seit Beginn dieser | |
Saison nimmt die Mannschaft, mit einem Kader von 22 Spielern, am | |
offiziellen Spielbetrieb teil. Mit drei Siegen in drei Spielen sind sie | |
gestartet. Der heutige Gegner hat bislang noch keine Partie gewonnen. | |
## Privates bleibt draußen | |
Auf dem Platz haben sich derweil elf Spieler im Kreis um Trainer Sven | |
gruppiert. Sie sind inzwischen komplett, die meisten aber waren nicht | |
pünktlich. Deshalb wird das Spiel zehn Minuten später angepfiffen. Sven ist | |
wütend. „So geht das nicht, Leute“, sagt er auf Englisch. Er blickt sich in | |
der Runde um. Die Spieler haben die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Sie | |
blicken zu Boden. „Verhaltet euch wie eine Mannschaft!“, ruft Sven. „Es | |
geht darum, dass ihr eure Privatangelegenheiten für das Team zurückstellt. | |
Ihr macht es eurem Gegner sehr leicht, sein erstes Spiel zu gewinnen.“ | |
Um 10.41 Uhr beginnt das Spiel. Eintracht Teltow stößt an. Seit es Welcome | |
United gibt, haben sich Medien, auch die taz, mit dem Team beschäftigt; es | |
ist fast zu einem Medienphänomen geworden, das sich gut in den Reigen der | |
Willkommenssagas fügt, die derzeit erzählt werden. Gründerin Manja Thieme, | |
die in der Flüchtlingshilfe gearbeitet und die die Kicker und den Klub | |
zusammengebracht hat, war kürzlich gemeinsam mit Abdihafid Ahmed, dem Abdi | |
aus der Kabine, im Aktuellen Sportstudio des ZDF. Das Erste zeigte eine | |
Doku über Welcome United. Auch in Stahnsdorf sitzt neben der taz noch eine | |
Radioreporterin mit Mikrofon am Spielfeldrand. | |
Zu verklären, zu romantisieren gibt es wenig im Fall von Welcome United. | |
Die Geschichten, die die Spieler erzählen, sind krass. Abdi, der Kapitän | |
von Welcome United, der nun elegant durchs Mittelfeld dribbelt, war | |
IT-Student in Somalia, erzählt er. Er sei dort vor der Al-Shabaab-Miliz | |
geflohen, die seinen Vater und seine Bruder umgebracht habe und hinter ihm | |
her gewesen sei. In Somalia war er wohl einst im Kreis der | |
Nationalmannschaft. Auf der Flucht übers Mittelmeer sei er knapp dem | |
Ertrinken entkommen. Ein anderer, ein junger Albaner, erzählt, in seiner | |
Heimat Shkodra sei er von Blutrache bedroht, einem archaischen Prinzip, mit | |
dem Familien aneinander Vergeltung üben. | |
Die meisten Spieler leben heute in einem Wohnheim in Potsdam, sind | |
arbeitslos oder dürfen nicht arbeiten. Ihr Alltag verläuft von Spiel zu | |
Spiel, von Frist zu Frist, von Aufenthaltsgenehmigung zu | |
Aufenthaltsgenehmigung. | |
## Angst vor der Abschiebung | |
Für Hassan, der neben der Trainerbank auf dem silbernen Mannschaftskoffer | |
Platz genommen hat, in dem sich Verbandszeug und Kühlpacks befinden, ist | |
der 1. Dezember so eine Frist. Dann, so hofft er, wird seine Duldung für | |
weitere drei Monate genehmigt – und auch die seiner Frau, seiner zwei | |
kleinen Töchter und seines 14-jährigen Sohnes Elir, der im blauen | |
Polyester-Trainingsanzug neben ihm steht. Hassan hat Angst vor der | |
Abschiebung; seit September vergangenen Jahres gilt Mazedonien als sicherer | |
Herkunftsstaat. Gerade hat er einen Job als Bauhelfer in Aussicht. | |
Hassan, 35 Jahre, ist Co-Trainer, Betreuer, Versorger des Teams. Bald will | |
er auch selbst wieder spielen. Derzeit ist er noch bei einem anderen | |
Potsdamer Verein gemeldet, für Welcome United darf er nicht auflaufen. Ab | |
und an gibt Hassan während des Trainings oder während der Spiele auch den | |
Schlichter: „Manchmal sind die Spieler außer Kontrolle, dann rasten sie | |
aus“, sagt er, „aber das lasse ich nicht zu.“ | |
Auf dem Platz läuft es heute zunächst schlecht für Welcome United. 0:3 | |
steht’s zur Pause, obwohl die Babelsberger, etwa die Hälfte davon mit | |
schwarzer Hautfarbe, ihrem Gegner technisch überlegen sind, Ball und Spiel | |
kontrollieren. Eine knappe halbe Stunde vor Abpfiff steht es 1:4. Abdi hat | |
sich nach einem heftigen Foul an ihn fast zu einer Tätlichkeit hinreißen | |
lassen. Nur dieses eine Tor von Mazen, dem Syrer, gibt Hoffnung. | |
Hassan hat in Potsdam zum ersten Mal überhaupt in einem Verein gespielt. | |
„Ich bin eigentlich Straßenfußballer“, erzählt er. Sein eigentlicher Name | |
ist Zahirat Juseinov, aber als der gebürtige Mazedonier 2010 mit seiner | |
Familie nach Deutschland kam, hat er sich als „Hassan“ angemeldet. Seit | |
2011 lebt er mit seiner Familie in der brandenburgischen Landeshauptstadt. | |
Zuerst im Wohnheim, seit Kurzem in einer Wohnung. Mit seinen Eltern hat er | |
als Kind während des Jugoslawienkrieges Anfang der Neunziger in Cuxhaven | |
gelebt, 1994 mussten sie zurück nach Mazedonien. Hassan spricht fließend | |
Deutsch, sein Sohn auch. | |
## Langeweile im Wohnheim | |
Straßenfußballer war Hassan nicht freiwillig. In seiner Heimatstadt Vinica, | |
einer Kleinstadt im Osten Mazedoniens, wollte er dem Verein Sloga Vinica | |
beitreten. „Wir haben Schläge bekommen, als wir dort aufgekreuzt sind“, | |
erzählt er. Weil er Rom ist und Muslim. Vinica ist kein guter Ort für Roma, | |
sagt er. Fortan spielten die Roma untereinander Turniere aus. Auf | |
Asphaltplätzen. | |
Hassan, dessen dunkelbraunes Haar zu einem Seitenscheitel gegelt ist und | |
der eine etwas zu große, künstlich abgewetzte Jeans und Turnschuhe trägt, | |
gehört mit Manja Thieme zur Gründungscrew von Welcome United. „Manja und | |
Thoralf haben mich angesprochen und gefragt, ob ich Trainer eines | |
Flüchtlingsteams werden will.“ Thoralf, das ist Thoralf Höntze, der | |
Marketingchef von Babelsberg 03. Gemeinsam mit Manja Thieme machte er | |
Hassan zum Trainer. Der fragte in den Potsdamer Flüchtlingsheimen, wer | |
Fußball spielen wolle. „Die meisten hatten Langeweile im Wohnheim“, sagt | |
er, „wir hatten schnell ein Team beisammen.“ Später lotste Hassan selbst | |
den neuen Trainer Sven George zu Welcome United. | |
Sven läuft die Auslinie auf und ab, hüpft zwischendurch hoch oder | |
gestikuliert mit den Armen. Spät, sehr spät, dreht sein Team doch noch auf. | |
Es gibt einen Elfmeter für Welcome United, den Abdi verwandelt. Kurz vor | |
Ende gelingt der Anschlusstreffer. Die Ultras grölen und jubeln. Doch es | |
bleibt dabei: 4:3 für Eintracht Teltow. | |
„Ganz ehrlich?“, fragt Sven rhetorisch, „vielleicht war es richtig so, da… | |
wir heute mal verloren haben. Die Jungs müssen sehen, dass es so nicht | |
geht.“ Aber eigentlich sei „alles gut“. Er deutet mit dem Arm hinüber. D… | |
sitzen Abdi, Gigi und die anderen auf einem Fleckchen Gras neben dem | |
Bratwurststand in der Sonne. | |
4 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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