# taz.de -- Buch von ukrainischem Exil-Politiker: „Ein Somalia mitten in Euro… | |
> Bei einer Buchvorstellung wettert der Exilpolitiker Mykola Asarow gegen | |
> die aktuelle ukrainische Regierung: „Korruption! Terror!“ | |
Bild: Der frühere ukrainische Ministerpräsident Mykola Asarow lebt im Moskaue… | |
BERLIN taz | Freitag kurz nach zehn in einem engen Raum der | |
Bundespressekonferenz. Drei betagte Männer werden gleich eine Veranstaltung | |
der besonderen Art moderieren. In der Mitte sitzt Helmut Ettinger, der | |
frühere Chefdolmetscher von Erich Honecker, der seine Urheberschaft für das | |
legendäre Zitat des letzten Staatschefs der Sowjetunion Michail Gorbatschow | |
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ mit 17 Jahren Verspätung | |
angemeldet hat. Zu seiner Linken der letzte Regierungschef der DDR Hans | |
Modrow, zu seiner Rechten der Verleger Frank Schumann. Über ihnen thront | |
der überdimensionale Ex-Premierminister der Ukraine Mykola Asarow, der via | |
Skype aus Moskau zugeschaltet ist. | |
Mykola Asarow, langjähriger Finanzminister und zuletzt Ministerpräsident | |
unter dem 2014 gestürzten ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, | |
legt seine Sicht der Ereignisse auf dem Kiewer Maidan 2013-2014 dar. Das | |
Buch mit dem viel sagenden Titel „Ukraine: Die Wahrheit über den | |
Staatsstreich“ ist in dieser Woche auf Deutsch erschienen. Der Herausgeber, | |
die Eulenspiegel-Verlagsgruppe, preist es im Ankündigungstext als „einen | |
exklusiven Einblick in den inneren Machtzirkel des ukrainischen Staates“ | |
an, verfasst von einem „verlässlichen, unbestechlichen und kompetenten“ | |
Politiker. | |
Anwesend bei der Buchpräsentation sind vor allem russisch- und | |
ukrainischsprachige Journalisten sowie auffallend viele Fernsehkameras. | |
„Guten Tag, ich bin sehr froh, nach einer längeren Pause wieder hier bei | |
Ihnen zu sein“, sagt Asarow. Die Freude nimmt man ihm sofort ab, allerdings | |
dauert diese nicht lange. Wie eine Maschine rattert er düstere Zahlen und | |
Schreckensbilder herunter, verweist immer wieder auf sein Buch und nimmt | |
Fragen lediglich als Verschnaufpause wahr. „Die ukrainische Wirtschaft | |
liegt brach. Die Arbeitslosigkeit beträgt 25 Prozent, die Inflation – 50 | |
Prozent. Das Kiewer Regime ist verbrecherisch. Das Land wird ferngesteuert. | |
Totale Korruption. Terror. Ein Somalia mitten in Europa. Ohne Russland hat | |
die Ukraine keine Zukunft“, sagt er. | |
Ob er Konten und Immobilien im Ausland besitze, fragt eine ukrainische | |
Journalistin. Auf seinen Namen sei nichts registriert worden, kommt prompt | |
die Antwort. Ob im Donbass reguläre russische Streitkräfte kämpfen würden? | |
Ihm würden diesbezüglich keine verlässlichen Angaben vorliegen. Warum | |
beherrsche er, ehemaliger Premierminister der Ukraine, die Staatssprache | |
des Landes nicht? Na und? Keiner in der heutigen Kiewer Regierung spräche | |
Ukrainisch, neuerdings würden dort Georgisch und Litauisch hofiert, kontert | |
der Ex-Premier. Welche seien seine Informationsquellen zur aktuellen Lage | |
in der Ukraine? 100.000 Besucher würden regelmäßig auf seiner | |
Facebook-Seite Kommentare posten, verkündet Asarow stolz. „Parallele | |
Welten“, murmelt ein Kollege. | |
## Asarow prophezeit Flüchtlingsstrom | |
Irgendwann kommt die eigentliche Botschaft an den Westen: Wenn das Chaos | |
weiter gehe, werde die Ukraine kollabieren und ein unfassbarer | |
Flüchtlingsstrom Deutschland überfluten. Schließlich gebe es bekanntlich | |
kein Mittelmeer dazwischen. Der prominente anerkannte Asylbewerber, der | |
jetzt in Moskau lebt, versucht zu lächeln. | |
Noch zweimal während dieser zwei Stunden belebt sich sein Gesicht. Einmal, | |
als er begründen will, warum die Ukraine im November 2013 nicht bereit war, | |
das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Kurz vorher habe | |
Asarow in Kiew einen hohen EU-Kommissar getroffen. „Carl, sagte ich ihm, | |
willst du meine Waggons kaufen? Nein! Willst du meine Schienen, meine | |
Traktoren kaufen? Nein!! Na siehst du?“ | |
Und das zweite Mal, als er erklärt, warum er derzeit in „seine“ Ukraine | |
nicht reisen kann. „Die Radikalen, die damals an die Macht gelangt waren, | |
haben das Auto meiner Frau beschossen. Ein ganzes Magazin verpulvert. Sie | |
dachten wohl, ich sei da drin gewesen. Schließlich läuft in der Ukraine ein | |
strafrechtliches Verfahren gegen mich!“ | |
Die Moderatoren sind um Entspannung bemüht. „Sabotage!“ witzelt Frank | |
Schumann, als das Skype-Bild hängen bleibt. „Auf ein Wiedersehen hier in | |
Berlin, Herr Premierminister!“ sagt Hans Modrow zum Schluss. Mit | |
sichtlicher Erleichterung verschwindet Asarow aus dem Bild. Zurück bleiben | |
Zuhörer, deren Fragen mehr Sorge um das krisengeschüttelte Land ausdrucken, | |
als es die Antworten des frischgebackenen Vorsitzenden des „Komitees zur | |
Rettung der Ukraine“ getan haben. | |
„Ich werde ganz sicher zurückkommen!“ Das ist das Letzte, was man von | |
Mykola Asarow an diesem bizarren Vormittag ein hundert Meter vom Kanzleramt | |
entfernt, vernimmt. Das klingt wie eine Drohung. | |
5 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Jarina Kajafa | |
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