# taz.de -- Politikerin aus Slowjansk über ihre U-Haft: „Ich werde Präsiden… | |
> Nelja Schtepa, ehemalige Bürgermeisterin von Slowjansk, über ihre | |
> Verschleppung und Oligarchen, die den Krieg finanzieren. | |
Bild: Ein bei den Kämpfen 2014 in Slowjansk zerstörtes Gebäude. | |
Nelja Schtepa sitzt seit Anfang des Jahres in Untersuchungshaft in Charkiw | |
(Ostukraine); Juri Larin hat sie dort für die taz besucht. | |
taz: Frau Schtepa, warum hat der Krieg in der Ukraine ausgerechnet in | |
Slowjansk begonnen? | |
Nelja Schtepa: Ich glaube, alles ist so von vorne herein von Kiew geplant | |
gewesen. Ja, der Euromaidan selbst wurde von Oligarchen initiiert, um den | |
damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch zu entmachten. Am Anfang war es | |
ein Krieg zwischen dem Präsidenten und den Oligarchen. Später ging es dann | |
um kleine Verteilungskriege zwischen den Oligarchen. Jeder schuf in seiner | |
Provinz kriminelle Gruppierungen, um sein Vermögen zu schützen. | |
Wie war die Stimmung in Slowjansk im April 2014? | |
Keiner hat mit Militärhandlungen oder gar Krieg gerechnet. Wir dachten, es | |
handelt sich um einen lokalen Konflikt, mit dem Sicherheitskräfte auf jeden | |
Fall fertig werden. | |
Was haben Sie als Bürgermeisterin unternommen? | |
Anfang April, als es bereits abzusehen war, dass die Lage ernst war, habe | |
ich zwölf Eilberichte an den Präsidenten, den Premierminister, den | |
Staatssicherheitsdienst-Leiter, an das Ministerkabinett, aber auch an die | |
UNO und den OSZE geschrieben. Allein an den Staatssicherheitsdienst und die | |
Miliz habe ich in zehn Tagen 30 Briefe verfasst. Und bekam immer wieder die | |
gleiche Antwort: Alles sei unter Kontrolle. | |
Wenn es wirklich so war und das Ganze von ukrainischen Sicherheitsdiensten | |
angeleiert wurde, warum hat man dann ausgerechnet einen Russen, den | |
Moskauer Igor Girkin zum Separatisten-Anführer der selbsternannten | |
Volksrepublik Donezk gemacht? | |
Wenn Sie ein Verbrechen planen, würden Sie es selbst ausführen wollen oder | |
das lieber einem Fachmann überlassen? Girkin ist bereit, für Geld alles zu | |
tun. Er hat bereits auf der Krim perfekte Arbeit geleistet. Wenn Sie | |
Russland diskreditieren wollen, würden Sie auch für solch einen Job einen | |
Russen anheuern. | |
Wollen Sie sagen, dass Russland mit all dem nichts zu tun hat? | |
Heute führen Oligarchen gegeneinander Krieg. Manche von ihnen mussten aus | |
dem Donbass nach Russland fliehen. Wen sollen sie dort bitte schön | |
anheuern? Richtig, Russen. Heute haben wir es im Osten der Ukraine sowohl | |
mit Russen als auch mit russischen Waffen und russischer Technik zu tun. | |
Dafür muss aber nicht Russland geradestehen, sondern diejenigen, die nach | |
Russland abgehauen sind. | |
Sie sind im April 2014 von Separatisten verhaftet worden. Wie war das? | |
Ich hielt mich in Mariupol bei Verwandten auf. Man rief mich an und teilte | |
mir mit, dass, wenn ich nicht auf der Stelle nach Slowjansk zurückkehre, | |
meine Kinder erschossen würden. Ich fuhr hin. Ich wurde zum | |
„Volksbürgermeister“ von Slowjansk Ponomarjow bestellt. Anwesend war auch | |
Igor Girkin. Ich wurde gefragt, ob ich mit der neuen Macht zusammenarbeiten | |
würde. Ich sagte, nein. Dann haben sie mir den Text meiner | |
Rücktrittserklärung diktiert. Sie waren nicht zimperlich mit mir. Jemand | |
sagte hinter meinem Rücken mit russischem Akzent: „Bringt sie in den Knast, | |
sie wird uns nur schaden!“ | |
Wie gelang es der ukrainischen Armee Ihrer Meinung nach, am 5. Juli 2014 | |
Slowjansk zu befreien? | |
Girkin hat mit Olexandr Turtschinow (ukrainischer Übergangspräsident, Anm. | |
der Red.) und Irina Geraschtschenko (Beauftragte des Präsidenten für | |
Friedensregulierung im Donbass, Anm. der Red.) Garantien ausgehandelt, dass | |
seine sämtliche Technik und menschliche Ressourcen unbeschadet davonkommen. | |
Daraufhin bildete sich eine 8km lange Kolonne, 4.000 Menschen, die aus | |
Slowjansk abzog. Unterwegs in Konstantinowka haben sie zwei Supermärkte | |
geplündert. | |
Wie verlief Ihre zweite Verhaftung in Charkiw? | |
Ich bin von der ukrainischen Staatssicherheit in Krasnyj Liman (Kleinstadt | |
im Norden von Oblast Donezk, befreit am 4.06.2015, Anm. der Red.) abgeholt | |
und nach Charkiw gebracht worden. Erst wurde ich in einem Hotel isoliert. | |
Sie hatten wohl Angst, dass ich zu viel erzähle. Ich sollte schweigen. Mir | |
wurde gedroht, dass ich des Separatismus beschuldigt würde, wenn ich rede. | |
Ich bin darauf nicht eingegangen. Ich bin eine politische Gefangene, weil | |
ich die einzige Bürgermeisterin im Donbass bin, die sie nicht mundtot | |
machen konnten. | |
Warum gibt es keine Gerichtsverfahren gegen andere Bürgermeister von | |
Donbass, die Separatisten unterstützt haben? | |
Ihnen ist wohl nichts vorzuwerfen. Ein Bürgermeister hat dafür zu sorgen, | |
dass Wasser-, Gas- und Stromleitungen funktionieren. Für Staatssicherheit | |
sind wir nicht zuständig. Mein Gewissen ist rein. Mehr noch. Ich war die | |
einzige Bürgermeisterin in Donbass, die Sitzungen auf Ukrainisch abgehalten | |
hat. Dafür wurde ich immer von anderen Bürgermeistern gehasst. Ich bin für | |
die Ukraine. Das passt einigen offensichtlich nicht. | |
Womit beschäftigen Sie sich in der U-Haft? | |
Ich habe drei mal die Bibel durchgelesen. Da steht, man solle vergeben. Ich | |
vergebe ihnen allen, Jazenjuk und Turtschinow und wie sie alle heißen. Ich | |
bete jeden Tag für Jazenjuk und Poroschenko. Dass der Teufel aus ihren | |
Seelen heraus und der Gott hinein geht. Der Krieg wird zu Ende gehen, erst | |
wenn ihn keiner mehr finanziert. | |
Angenommen, Sie werden freigesprochen. Wann hören wir wieder von Ihnen? | |
In zwei Jahren. Ich werde Präsidentin und sorge endlich dafür, dass die | |
Ukraine geeint wird. | |
Übersetzt von Irina Serdyuk | |
16 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Juri Larin | |
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