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# taz.de -- Die Wahrheit: Bomberharris ist endlich in Sicherheit
> „Ich weiß nicht, ob ich das alles liken kann“: Immer mehr Flüchtlinge
> kommen mittlerweile dank selbstloser Helfer bei Facebook unter.
Die Szenen gingen um die Welt: jubelnde Menschen an den Bahnhöfen in
Frankfurt und München, glückliche Gesichter bei denen, die endlich, endlich
angekommen sind. Die Megaverspätung des ICE 321 „Tröglitz“ von fast
zweieinhalb Stunden (Grund: ein nicht erkanntes Eschenzweiglein im
Stellwerk) hat allen Passagieren des Zugs und ihren Angehörigen große
Entbehrungen abverlangt.
Doch auch die Fotos erschöpfter Flüchtlinge, die rührende Aufnahme in
Deutschland finden, und ihrer ehrenamtlichen Helfer rangen der deutschen
Weltpresse ein gewaltiges Staunen ab. Plötzlich konnten es alle sehen: Die
Deutschen können Weltmeister, können Weltkrieg – und plötzlich sogar
Weltfrieden. Nun hat der Spaß ein Ende: Wie schon Ungarn, Dänemark und
Nordkorea hat auch Deutschland seine Grenzen für Flüchtlinge dichtgemacht.
Doch das Engagement der Deutschen für die Opfer von Flucht und Vertreibung
reißt nicht ab. Tausende Facebook-Nutzer erklären sich weiterhin bereit,
Flüchtlinge aufzunehmen. „Es ist so einfach, jeder kann mitmachen“, sagt
die Aktivistin, die unter dem Profilnamen Fridoline Suppenzwiebel agiert.
Sie ist Administratorin der offenen Facebook-Gruppe „Refugees STILL welcome
– No Border, no Broder!“
Mit drei Freundinnen kümmert sie sich in Sechsstundenschichten um die
zahllosen Mitgliedsanträge, die die Gruppe derzeit erhält. „Gerade aus dem
süddeutschen Raum gibt es viele, die jetzt ins sichere Facebook reisen
wollen. Zu lange hat der Westen Seehofer ungestört walten lassen.“
## Digitaler Bürgersinn
Die Lage in der provisorischen Auffanggruppe ist alles andere als rosig.
Zehn bis zwanzig Personen müssen sich ein einziges, schlecht aufgelöstes
Katzen-Meme teilen, Mütter mit Kindern teilweise Stunden warten, bis ihre
Babyfotos vom Admin freigeschaltet werden. „Wir hoffen, endlich von der
Politik ernst genommen zu werden“, sagt Fridoline Suppenzwiebel, bevor sie
einem Neuankömmling ein handgefertigtes Pseudonym (“Acab Bomberharris“)
überreicht.
Überall in Deutschland regt sich der digitale Bürgersinn. Spezialisierte
Teams jagen durch Farsi sprechende Gruppen, versuchen so viele Personen wie
möglich auf die deutschen Seiten herüberzuretten. In der Kommentarspalte
eines anonymen Wieners hat sich ein kompletter Strang ganz auf
Flüchtlingsarbeit spezialisiert; Tausende Kommentare (“Guten Morgen, was
geht bei euch?“) zeugen von übermenschlichem Einsatz. Neuankömmlinge werden
identifiziert, freundlich angeschrieben und dann an spezialisierte Teams
vermittelt. Einige werden notdürftig in Chats untergebracht, andere finden
in Diskussionsgruppen ein Heim.
„Das deutsche Facebook ist zu einem Hafen für Kriegsopfer aus aller Welt
geworden“, sagt der Mediennutzer Sascha Lobo, wenn man ihn dafür bezahlt.
Natürlich gebe es die Fan-Seiten der großen Parteien – „CDU, SPD und
nichtlustig.de. Die haben auch schon ganz viele aufgenommen.“ Doch reiche
der Einsatz der Politik angesichts der Not nicht aus, seien die Flüchtlinge
weiter auf private Nutzer angewiesen.
## Strahlende Emojis
Da ist zum Beispiel Malte Mackenbrot aus Hannover. In wochenlanger
Kleinarbeit ist es ihm gelungen, über zweihundert Syrer in einem einzigen
Foto zu markieren. „Das war harte Arbeit. Zum Teil hatten die Leute gar
kein Facebook-Profil; zum Teil wollten sie sich zunächst gar nicht mit mir
befreunden. Verständlich, aber nicht hilfreich.“ Mittlerweile habe jeder
der neuen Freunde eine eigene kleine Seite, können sich als Erntehelfer bei
Farmville ein Zubrot verdienen. Einer seiner Schützlinge konnte sogar mit
einer Dachdeckerlehre bei Simcity beginnen. Die strahlenden Emojis, die
seine neuen Freunde posten, sind für Malte der Beweis dafür, dass sich sein
Engagement gelohnt hat.
Doch herrscht nicht nur Freude über das neu entdeckte Helfersyndrom der
Deutschen. Jens Spahn, Nerdbeauftragter der CDU, warnt: „Leider Gottes ist
Facebook nicht unendlich. Es gibt Grenzen.“ Spahn erinnert daran, dass bei
Zuckerbergs Portal nach 5.000 Freunden grundsätzlich Schluss sei. „Bis
jetzt habe ich zwar erst zwölf Freunde, aber bei meinen Sympathiewerten
werden sich die Syrer bald darum prügeln, auf meinen Selfies auftauchen zu
dürfen. Und leider müssen wir davon ausgehen, dass sich unter die ehrlichen
Asylsuchenden auch Photobomber gemischt haben.“ Spahn warnt auch vor
Hardware-Problemen. Schon jetzt sind die Facebook-Server überlastet; der
Netzwerkknoten DE-CIX in Frankfurt am Main laufe seit Wochen ohne Pause,
auf Volllast.
„Wir haben inzwischen Latenzzeiten von über neun Millisekunden, das kann so
nicht lange gutgehen“, meint Spahn, der sich auf Facebook „Coolguy J
Certified Topchecker“ nennt. Die Einwanderung in die sozialen Medien sieht
er nicht ausschließlich als Bereicherung: „Ich weiß nicht, ob ich das alles
liken kann, was ich da sehe. Ich versuche es, aber mein Daumen tut so weh!“
## Deutsche entfreunden sich
Spahn ist nicht das völlig verstrahlte CDU-Wiesel, für das ihn viele
halten. Er hat auch Zahlen und Fakten parat: „Alle diese Menschen benötigen
Essensfotos, individuell angepasste Instagram-Filter und Zugang zu
Fashion-Blogs. Wir müssen internationale Standards garantieren.“ Andere in
der CDU sehen das radikaler: „Facebook wurde auf Basis einer
christlich-abendländischen Weltanschauung mit Schnurrbart geschaffen“,
twitterte vor Kurzem die Abgeordnete Erika Steinbach aus dem Heim.
„Facebook muß deutsch bleiben. Schlimm genug, daß viele junge Menschen
schon Shitstorm statt Gülleregen sagen!“ Wenn die gemeinsame Basis verloren
ginge, so ihre These, dann würden sich die Deutschen irgendwann massenhaft
entfreunden, um schließlich ihre kollektive Identität komplett aufzugeben
und sich bei Tinder ein Fakeprofil einzurichten, das nichts mehr mit
traditionellen Werten zu tun habe.
## Nur Likes abgreifen
Zusammen mit anderen CDU-Angehörigen fordert sie stärkere Kontrollen bei
der Einreise nach Facebook. Heute braucht man dazu nur ein Telefon und eine
Mailadresse – beides bekommt man derzeit beim IS günstig. „Vielen Menschen
sieht man es leider auch nicht an, ob sie wirklich flüchtig sind oder nur
Aufmerksamkeitsschmarotzer, die schnell ein paar Likes abgreifen und sich
dann umbenennen“, sagt Steinbach.
Um Abhilfe zu schaffen, sollen Facebook-Neulinge, deren Identität noch
nicht zweifelsfrei festgestellt wurde, mit einem gelben Sternchen als
„nicht bestätigter Account“ gekennzeichnet werden. „Damit setzen wir auch
eine positive Botschaft – nämlich, daß hochqualifizierte Einwanderer die
Stars von morgen sein könnten!“ Grundsätzlich hat Steinbach Verständnis
dafür, dass Menschen eine Krisenregion auch mal verlassen möchten. „Wer im
von Haß und Verfolgung bestimmten Twitter unterwegs ist, der sehnt sich
nach der Wärme und relativen Sicherheit von Facebook.“
Die Bundesregierung hat ihren Ruf gehört – und will jetzt statt Likes
Sachleistungen an die Geflüchteten ausgeben. Geplant ist ein Sticker-Set,
das die beliebten Smileys mit Variationen von „Danke“, „Gerne“, „Das
unterschreibe ich sofort“ und „Stimmt, eigentlich brauche ich kein Handy“
ersetzt.
19 Sep 2015
## AUTOREN
Leo Fischer
## TAGS
Schwerpunkt Meta
Flüchtlinge
Asyl
Panama Papers
Schwerpunkt Rassismus
NSA
Skandal
Diktatur
Akif Pirinçci
Wladimir Putin
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