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# taz.de -- Debatte Gewalt in Syrien: Erst Assad, dann der Islamische Staat
> Wer die IS-Miliz erfolgreich bekämpfen will, muss den Syrienkonflikt
> beenden. Dafür braucht es vor allem eine Alternative zum Assad-Regime.
Bild: Zerstörte Altstadt: Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee patrouillier…
Viel ist in Bewegung in Sachen Syrien. Der UN-Sicherheitsrat spricht mit
einer Stimme, Außenminister rotieren zwischen Moskau, Teheran, Riad,
Ankara, den Golfstaaten und Damaskus, und selbst erklärte Feinde reden
miteinander. Stehen wir also kurz vor einer politischen Lösung des
Syrienkonflikts? Leider nein.
Was wir sehen, ist dreierlei. Erstens ein Wetteifern zwischen Russland und
Iran in der Frage, wer in Syrien mehr Einfluss und somit mehr
diplomatisches Gewicht hat. Zweitens den verzweifelten und gnadenlosen Plan
des Assad-Regimes, die Zeit bis zu unvermeidbaren Verhandlungen zu nutzen,
um strategisch wichtige Gebiete im Westen des Landes zu sichern. Und
drittens eine hysterische Angst vor dem „Islamischen Staat“ (IS), die alles
dominiert – das Denken in Washington und Europa, die Strategien und
Allianzen in der Region.
Dabei lässt sich, was kompliziert klingt, in zwei einfachen Sätzen sagen.
Baschar al-Assad kann Syrien nicht mehr kontrollieren. Und den IS will
niemand dort haben. Diesen Aussagen stimmen auch Unterstützer des Regimes
zu. Sie wären folglich eine gute Arbeitsgrundlage. Doch die Zeit scheint
dafür noch nicht reif.
Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura will die Syrer deshalb zunächst in
vier Arbeitsgruppen über den Schutz von Zivilisten, rechtliche Fragen, den
Antiterrorkampf und den Wiederaufbau diskutieren lassen. Das klingt
konstruktiv, kann aber dauern – damit haben alle jene, die an einer
militärischen Lösung festhalten, Zeit gewonnen und die internationale
Gemeinschaft kann sich einreden, eine diplomatische Lösung sei auf dem Weg.
Während de Misturas Plan eine „Übergangsregierung mit voller
Exekutivgewalt“ vorsieht, sprechen Moskau und Teheran lieber von einer
„Regierung der nationalen Einheit“.
Genau da liegt der Knackpunkt. Der im Genfer Abkommen 2012 formulierte
„Übergang“ bedeutet, dass Syriens heutige Machthaber, insbesondere
Präsident Assad selbst, am Ende keine politische Rolle mehr spielen. So
fordert es die Opposition, die sich über alle Lager hinweg einig ist, dass
man mit Regimeverantwortlichen zwar verhandeln muss, aber nicht zukünftig
regieren wird. Denn ohne Machtwechsel kein glaubwürdiger Neuanfang.
## Vorwand Anti-Terror-Bekämpfung
Russland und Iran dagegen wollen, dass Assad sich mit Vertretern der
Opposition verständigt und eine Einheitsregierung unter seiner Führung
bildet. Ein illusorischer Plan, da nach mehr als 250.000 Toten und 12
Millionen Vertriebenen kein syrischer Oppositioneller mehr zu einer
Koalition mit Assad bereit ist. Deshalb versuchen es Moskau und Teheran
jetzt über den Antiterrorkampf. Sie wollen eine internationale Allianz
gegen den IS schmieden und Assad darin einbinden. Die Sicherheit und
Stabilität der Region stehe auf dem Spiel, so heißt es, da müsse man alles
andere unterordnen.
Wie wahr. Sicherheit und Stabilität, genau darum geht es. Auch uns in
Europa angesichts von Hunderttausenden Flüchtlingen. Nur leider ist Assad
unfähig, irgendwo für Sicherheit zu sorgen. Im Gegenteil, er ist der
Hauptverursacher von „Instabilität“, indem er mit seiner Luftwaffe
mindestens siebenmal so viele Zivilisten tötet wie der IS, geächtete
Fassbomben abwerfen lässt (mehr als 11.000 seit dem UN-Verbot im Februar
2014), chemische Stoffe einsetzt (mehr als 120 Angriffe mit Chlorgas) und
etwa 500.000 Menschen in abgeriegelten Gebieten aushungert.
Wenn weder gemäßigte Kräfte noch die UN den Syrern Schutz bieten können,
dann erscheint der IS irgendwann als letzte Rettung. Schon jetzt inszeniert
sich die Terrorgruppe als Schutzmacht der Sunniten im weltweiten Krieg
gegen den Islam. Eine Katastrophe, die zeigt, dass der IS nicht nur
militärisch, sondern auch ideologisch bekämpft werden muss.
Dafür braucht es vor allem eines: eine glaubwürdige Alternative zu Assad.
Das Ende des Regimes ist die Voraussetzung für einen Sieg über den IS. Je
schneller das auch Iran und Russland begreifen, desto besser – schließlich
sind sie es, die das Überleben Assads militärisch und finanziell sichern.
## Dominanz radikaler Gruppen
Eine Alternative braucht auch der Westen. Er lässt Assad gewähren – nicht
weil er Massenmord gutheißt oder Syrien zerstören will (wie viele Syrer
glauben), sondern weil er nicht weiß, was ihm nachfolgt. Amerikaner und
Europäer verhindern so lange eine effektive Unterstützung der Rebellen und
einen Zusammenbruch des Regimes, bis klar ist, dass nicht der IS und auch
nicht die Nusra-Front das Machtvakuum in Damaskus füllen.
Dummerweise haben sie mit ihrer Zögerlichkeit genau das bekommen, was sie
verhindern wollten: die Dominanz radikaler Gruppen in Syrien. Wie also
sollten in dieser Lage verbündete Oppositionelle und gemäßigte Rebellen ans
Ruder kommen, die einem Zusammenbruch staatlicher Institutionen
entgegenwirken und Sicherheit für alle herstellen können?
Der erste Schritt wäre zu verhindern, dass das Regime weiterhin jedes
zivile Bemühen um alternative Strukturen zerbombt. Es gibt in Syriens
oppositionell kontrollierten Gebieten acht demokratisch legitimierte
Provinzräte sowie Hunderte Lokalräte und zivilgesellschaftliche Gruppen,
die mit dem Ausheben von Massengräbern und dem Beschaffen von Essen und
Medikamenten beschäftigt sind statt mit dem Aufbau eines neuen Syriens.
Diese Syrer – ob Rebellen, Aktivisten, Oppositionelle oder einfache Bürger
– fordern alle nur eins: Schutz vor den Luftangriffen des Regimes. Dafür
braucht es mit großer Wahrscheinlichkeit nur die erklärte Bereitschaft,
Helikopter und Kampfjets des Regimes in einem bestimmten Gebiet nicht mehr
zu dulden.
Eine solche Zone würde nicht nur Menschenleben retten, Flüchtlingen die
Rückkehr ermöglichen und der Opposition den nötigen Raum für den Aufbau
einer neuen Ordnung bieten. Sie würde auch Assad an den Verhandlungstisch
zwingen und Russland und Iran das Umdenken erleichtern. Zu teuer, nicht
gewollt, international nicht durchsetzbar? Alles vorgeschoben. Schutzzonen
sind der Schlüssel zu einer politischen Lösung in Syrien. Ohne sie keine
Alternative zu Assad. Und ohne einen Übergang in Damaskus kein Sieg über
den IS.
4 Sep 2015
## AUTOREN
Kristin Helberg
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
„Islamischer Staat“ (IS)
Baschar al-Assad
Menschenrechtsverletzungen
Syrischer Bürgerkrieg
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