# taz.de -- Demokratie und Sprache: Populistisch? Aber gerne! | |
> Darf man Neonazis „Pack“ nennen? Linksintellektuelle echauffieren sich | |
> gerne über Sigmar Gabriels Wortwahl. Dabei übersehen sie etwas. | |
Bild: Sigmar Gabriel nutzt sein berühmtes P-Wort kalkuliert, nicht im Affekt | |
Das sich liberal, aufgeschlossen und weltoffen fühlende Bürgertum verachtet | |
Populismus, egal ob er sich politisch links oder konservativ verortet. Es | |
verachtet Populismus in etwa genauso sehr wie Weißwein aus dem Tetrapack, | |
wie RTL-Dokusoaps oder schlecht sitzende Anzüge. Als der SPD-Vorsitzende | |
Sigmar Gabriel es wagte, die gewaltbereiten Neonazis in Heidenau als „Pack“ | |
zu bezeichnen, bekam er den Ekel der Eliten zu spüren. | |
[1][Ulf Poschardt] schrieb in Springers Welt, mit dieser verbalen | |
Entwürdigung rutsche „die Exekutive den braunen Ängstlingen zivilisatorisch | |
entgegen“. Interessanter als der Widerwillen des konservativen Publizisten | |
aber war der Abscheu, der viele Linksintellektuellen geradezu schüttelte. | |
Hat Gabriel nicht neulich Pegida besucht? Und jetzt nennt er Nazis „Pack“? | |
Kann er sich nicht gewählter ausdrücken? Igitt, das ist ja mal wieder | |
typischer SPD-Populismus. So in etwa lauten die Thesen im progressiven | |
Freundeskreis. | |
Mal abgesehen davon, dass diese Analysen wenig originell, also populistisch | |
sind – Sprache ist ja ein wichtiges Distinktionsmerkmal des Bürgertums –, | |
sie gehen auch am wichtigsten Punkt vorbei. Linke dürfen vor Populismus | |
keine Angst haben, sie brauchen ihn. Eine simple, zuspitzende Sprache ist | |
gerade für die SPD und für die Linkspartei lebenswichtig. | |
Der Begriff des Populismus wabert und schillert, er wird in der Politologie | |
seit Jahrzehnten diskutiert. Ende des 19. Jahrhunderts kam er auf, als | |
Bezeichnung für soziale und politische Bewegungen, „die – oft stark | |
personengebunden – auf die Mobilisierung breiter, vor allem | |
unterprivilegierter sozialer Schichten zielen“, heißt es im Brockhaus. | |
Historisch gesehen ist Populismus ein linkes Konzept, was man leicht | |
vergisst angesichts einer CSU, die über Deutschland als das Weltsozialamt | |
polemisiert. | |
Neonazis lieben es bekanntlich, Schwache und Verzweifelte anzupöbeln. Sie | |
bewerfen sie mit Steinen, oft bringen sie sogar Menschen um. Warum sollte | |
ein Spitzenpolitiker solche Leute nicht klar ausgrenzen? Weil Nazis zarte | |
Seelen sind, die mit gütigen Worten durchaus vom Wert des Grundgesetzes zu | |
überzeugen wären? Wer dies denkt, sollte sich mal bei der nächsten rechten | |
Demo auf den Bürgersteig stellen. Weil der Wettlauf der Worte bei | |
Politikern immer auch etwas Symbolisches hat? Natürlich, aber Symbole sind | |
im Kampf gegen rechts entscheidend, sie bestimmen das gesellschaftliche | |
Klima mit. | |
Vor allem aber nutzte Gabriel sein berühmtes P-Wort ja kalkuliert, nicht im | |
Affekt. Es ist bekannt, dass Wahlen in Deutschland zu einer | |
Exklusivveranstaltung für die Mittel- und Oberschicht geworden sind. Das | |
untere Drittel der Gesellschaft verweigert sich. Die Nichtwähler sind | |
unterprivilegiert, also arm, ungebildet und frustriert. Sie hegen | |
Ressentiments gegen „die da oben“, und viele von ihnen sind anfällig für | |
die einfache Erzählung, die Ausländer seien schuld. | |
## Ressentiments mit Argumenten begegnen | |
Gabriels Populismus hat also ein Ziel. Er versucht, einfach denkenden | |
Menschen klarzumachen, wo die Grenze nach rechts verläuft. Linke | |
Kommentatoren werfen dem SPD-Chef nun vor, er habe mit seinem Besuch bei | |
Pegida rechts geblinkt, jetzt blinke er halt mal links. Sie übersehen, dass | |
beides Teil derselben Strategie ist. | |
Gabriel möchte ängstliche Pegida-Bürger nicht verloren geben, Leute also, | |
die nicht mehr SPD oder CDU wählen, aber auch noch nicht NPD. Und er macht | |
sich keine Illusionen darüber, dass Ängste vor angeblicher Überfremdung | |
auch in Milieus der SPD oder der Linkspartei verbreitet sind. Was ist gegen | |
einen verständlichen Dialog einzuwenden, solange man dem Ressentiment mit | |
guten Argumenten begegnet? | |
Die große Aufgabe der SPD ist ja, eine narrative Klammer für das | |
linksliberale Bürgertum und das Prekariat zu finden. Schafft sie das nicht, | |
kann sie die Hegemonie von Merkels CDU niemals brechen. Statt Verachtung | |
für die da unten wäre Solidarität im progressiv denkenden Bürgertum | |
hilfreich. Oder, etwas populistischer formuliert: Es steckt ein Widerspruch | |
darin, bei einem Glas Pinot Grigio über Rot-Rot-Grün nachzusinnen, aber | |
gleichzeitig Gabriels Populismus und RTL-guckende Prolls zu verachten. | |
31 Aug 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.welt.de/autor/ulf-poschardt/ | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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