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# taz.de -- Chancen der kurdischen Selbstverwaltung: Autonom in der Region
> Einen kurdischen Staat wollen weder Nachbarn noch Großmächte. Mit dem
> Zerfall Iraks und Syriens ergeben sich trotzdem Chancen.
Bild: Kämpfen lässt man sie: Mitglieder der kurdischen Miliz YPG in Syrien.
Istanbul taz | Wer die Nachrichten aus der Türkei und den kurdischen
Gebieten in Syrien und dem Irak verfolgt, muss annehmen, die gesamte Region
stehe in Flammen. Die türkische Luftwaffe bombardiert kurdische Camps in
Nordirak. In vielen Städten und Dörfern in den kurdischen Gebieten der
Türkei wird nach jahrelangem Waffenstillstand wieder gekämpft. In Syrien
werden die Kurden von den Terrortruppen des Islamischen Staates
angegriffen.
Doch diese Momentaufnahme verdeckt, dass die Kurden heute so gut dastehen
wie noch nie seit dem Ende des Osmanischen Reiches. Bis 1918 lebten die
Kurden überwiegend unter der Kontrolle der Osmanen. Ein kleiner Teil der
kurdischen Population befand sich innerhalb der Grenzen des Persischen
Reiches. Erst nach der Aufteilung des Osmanischen Reiches begann die
Leidenszeit der Kurden.
Die auf Stammesstrukturen basierende kurdische Gesellschaft war zu diesem
Zeitpunkt nicht in der Lage, ein gemeinsames nationales Interesse zu
artikulieren, und ging bei der Aufteilung des Imperiums leer aus.
Die von den Engländern und Franzosen gezogenen Grenzen führten vielmehr
dazu, dass die Kurden sich in den Grenzen von vier Nationalstaaten
wiederfanden: der Türkischen Republik, Irak, Syrien und Iran. Diese Staaten
kämpften selbst um eine nationale Identität und waren deshalb nicht
gewillt, den Kurden Minderheitenrechte zuzugestehen.
Die jeweiligen Zentralregierungen gingen mit aller Härte gegen
Autonomiebestrebungen vor. Kurdische Aufstände in der Türkei, in Iran und
Irak wurden brutal niedergeschlagen. Die kurdische Identität wurde
verleugnet, und den Kurden wurde als Volksgruppe jede Partizipation an den
Gesamtstaaten verwehrt. Viele Kurden in Syrien bekamen nicht einmal
syrische Papiere und waren deshalb völlig rechtlos.
Bis Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre herrschte in den
kurdischen Siedlungsgebieten Friedhofsruhe. Dann nutzten die irakischen
Kurden die Konflikte zwischen dem irakischen Diktator Saddam Hussein und
dem iranischen Schah für einen ersten großen Aufstand. Die Führungsfigur
der irakischen Kurden war der Stammesführer der Barsani, Mustafa Mollah
Barsani, der Vater des jetzigen Chefs der irakischen Autonomieregion,
Massud Barsani.
Mit der Revolution im Iran wagten auch die iranischen Kurden den Aufstand.
Doch wie Saddam Hussein im Irak ließ auch Revolutionsführer Chomeini alle
Selbstbestimmungsbestrebungen der Kurden blutig niederschlagen. Die
iranischen Kurden werden weiterhin vom schiitischen Regime in Teheran
unterdrückt, doch die Lage der irakischen Kurden verbesserte sich
dramatisch.
Wenn es überhaupt einen „Gewinner“ des von George W. Bush befohlenen
US-Einmarsches im Irak gibt, dann sind es die Kurden. Mit massiver
US-amerikanischer Unterstützung gelang es ihnen, aus den Trümmern des Irak
ihr Autonomiegebiet auf- und so weit auszubauen, dass es heute bereits
viele Merkmale eines eigenständigen Staates zeigt.
Den syrischen Kurden bot der Zerfall des syrischen Staates als Folge des
Aufstands gegen das Assad-Regime die Chance, es den irakischen Brüdern
gleichzutun und sich in ihrem Siedlungsgebiet entlang der türkischen Grenze
ebenfalls eine Art Autonomiezone zu sichern. Dieses Autonomiegebiet wird
von der Assad-Armee toleriert, aber von den Islamisten des sogenannten
Islamischen Staates permanent angegriffen. Unterstützung erhalten die
syrischen Kurden vor allem von der PKK, der einflussreichsten kurdischen
Formation.
In der Türkei leben rund 15 Millionen Kurden. Das sind fast dreimal so
viele Kurden wie in Irak oder Iran, von der knappen Million Kurden in
Syrien gar nicht zu reden. Die PKK ist die dominierende Gruppe unter den
Kurden der Türkei. Was sie und die legale kurdische Partei HDP mit dem
türkischen Staat aushandeln, wird auch für die Kurden in Irak und in Syrien
entscheidend sein.
## Militärisch nicht zu lösen
Bevor der Kampf zwischen dem türkischen Staat und der PKK Ende Juli wieder
mit aller Brutalität aufgenommen wurde, hatte die Regierung Erdogan fast
ein Agreement mit der PKK erreicht. Es lief, nach allem was man über die
geheim geführten Verhandlungen weiß, eher auf eine verstärkte kommunale
Selbstverwaltung als auf eine Autonomie heraus. Beide Seiten wissen, dass
der Konflikt nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden kann, weswegen
zu hoffen ist, dass sie nach den im November geplanten Neuwahlen in der
Türkei wieder miteinander verhandeln werden.
Der Traum eines kurdischen Staats scheint durch die Fragmentierung Iraks
und Syriens zwar ein Stück nähergerückt zu sein, er bleibt aber
unrealistisch. Selbst wenn Irak und Syrien sich in der bisherigen Form
tatsächlich auflösen sollten – ein eigener kurdischer Staat wird von den
beiden verbleibenden Regionalmächten Türkei und Iran weiter bekämpft
werden. Er würde auch von den entscheidenden Großmächten nicht unterstützt.
Was pragmatische kurdische Politiker dagegen für realistisch halten, ist
eine Art kurdischer Schengenraum: offene Grenzen zwischen den kurdischen
Gebieten in Irak, der Türkei und Syrien, bei einem unterschiedlich stark
ausgeprägten Selbstverwaltungsniveau in den jeweiligen kurdischen Regionen.
„Wir hoffen, zwischen den kurdischen Regionen in der Türkei, in Nordirak
und in Syrien einen gemeinsamen Wirtschaftsraum aufbauen zu können“, sagt
der kurdische Politveteran Sertac Bucak. Erste Ansätze dazu gibt es bereits
zwischen dem wirtschaftlich prosperierenden kurdischen Autonomiegebiet in
Nordirak und der angrenzenden kurdischen Region in der Türkei.
Die Voraussetzung für einen kurdischen Schengenraum wären allerdings
freundschaftliche Beziehungen der Kurden zu Ankara, weil der
wirtschaftliche Austausch mit dem Rest der Welt im Wesentlichen über
türkisches Hoheitsgebiet stattfinden müsste. Die Türkei wiederum dürfte die
kurdischen Gebiete nicht als Bedrohung sehen, sondern sollte sie als eine
vorteilhafte Pufferzone zwischen dem eigenen Territorium und der unruhigen
arabischen Region betrachten.
29 Aug 2015
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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