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# taz.de -- Eine Reise durch das neue Kurdistan: Die Gewinner des Krieges
> Die Region zwischen der syrischen Stadt Kobane und der irakischen Stadt
> Kirkuk steht derzeit unter kurdischer Kontrolle. Ein Besuch.
Bild: 35.000 Einwohner sollen bislang nach Kobane zurückgekehrt sein. Die Aufr…
Kobane taz | Durch ein großes Loch in der Decke fällt Sonnenlicht in die
Fabrikhalle. Ein gleißender Strahl in der Mehl- und Staubgeschwängerten
Luft. „Eine Mörsergranate des IS“ sagt Ibrahim Saleh, Chef der Bäckerei in
Kobane, und deutet mit der verbundenen Linken nach oben. An der Hand hatte
ihn eine Kugel getroffen, als die Terrormiliz Ende Juni Kobane überfiel.
Die Fabrik läuft wieder, produziert flache Brotfladen für immer mehr
Menschen, die nach Kobane zurückkehren. 35.000 sollen es schon sein, meldet
die Kurdische Selbstverwaltung. Zahlen, die niemand überprüfen kann. Für
Ibrahim Saleh ist jeder Rückkehrer ein Grund zur Freude.
Bomben und Sprengfallen des IS sind entschärft, sagen die kurdischen
Sicherheitskräfte, ein Wiederaufbau-Komitee plant ein neues, moderneres
Kobane. Vieles davon ist noch Vision. In der Realität leben viele Menschen
noch immer in Trümmern. Doch Kobane ist zum Symbol geworden für den
kurdischen Aufbruch in Syrien.
Kurdische Kämpfer haben die Stadt gegen den IS verteidigt, Kurden verwalten
sie jetzt, Kurden bauen sie wieder auf. Kobane könnte die Keimzelle sein
von so etwas wie einem Kurdenstaatl. „Es ist der Traum der Kurden, einen
eigenen Staat zu haben, „ sagt Ibrahim Saleh, „ein stabiler Staat, in dem
wir nicht von anderen beherrscht werden.“
## Verschärfte Spannungen
Die Kurden sind bislang - trotz aller Opfer - die Gewinner eines
Bürgerkriegs, der die altbekannten staatlichen Strukturen in Syrien und dem
Irak zertrümmert hat. Heute gibt es ein zusammenhängendes Kurdengebiet vom
irakischen Kirkuk bis zum syrischen Kobane. Für die ARD waren wir in der
Region unterwegs, mehr als 1000 Kilometer in acht Tagen. Offizielle Grenzen
haben keine Bedeutung mehr: an provisorischen Übergängen zwischen beiden
Staaten wehen die Flaggen der Kurden. Und genau das ist Problem. Denn die
de fakto-Autonomie der Kurden verschärft alte Spannungen in einer
Weltgegend, die eigentlich schon Probleme genug hat.
Die türkische Führung sieht das Erstarken der Kurden mit Argwohn. Auch
deshalb, weil es eng mit der PKK verbunden ist, die in der Türkei als
Terrororganisation bekämpft wird. Syrische PKK-Kämpfer bauten zu Beginn der
Revolution in Syrien die sogenannten Volksverteidigungs-Einheiten YPG auf.
Mittlerweile ist die YPG die bestimmende Organisation im kurdischen
Nordsyrien.
Offiziell sind PKK und YPG voneinander unabhängig, aber beide sind einander
sehr nah. Im Kampf gegen den IS setzt der Westen auf Luftschläge und die
irakischen Peschmerga. Jene bekommen zum Beispiel deutsche Waffen und
Training in einer internationalen Ausbildungsmission. Doch die
spektakulären militärischen Erfolge haben bislang YPG und PKK erkämpft –
ohne vergleichbare Unterstützung aus dem Westen.
Vor einem Jahr schockierten Bilder aus dem irakischen Sindschar die Welt.
Zehntausende Jesiden waren vor dem IS ins Gebirge geflohen, ohne Nahrung
und Wasser eingeschlossen. PKK und YPG kämpften damals einen Korridor frei,
durch den die Jesiden sich retten konnten. Und noch immer kämpft die PKK im
Sindschar an vorderster Front. Aus dem Sindschar-Gebirge führt eine
gewundene Straße hinab nach Sindschar-Stadt. Am Wegesrand Autowracks –
liegengeblieben bei der Flucht der Jesiden vor einem Jahr.
## Adel aus Ludwigsburg
Wir sind kaum im Stützpunkt der PKK in den Ruinen der Stadt angekommen, da
hören wir eine dumpfe Explosion. Ein Kämpfer, der sich auf Deutsch mit dem
Namen Adel vorstellt, lacht. „Das war die Koalition, die Flugzeuge,“ sagt
er und lacht noch mal. Durch ein kleines Loch in der Wand sieht man eine
Wolke über den Ruinen von Sindschar-Stadt aufsteigen. Erst schwarz, dann
weiß. Was auch immer die Flugzeuge der Anti-IS-Koalition da bombardiert
haben – jetzt bewegt sich nichts mehr.
Adel, Kurde aus der Türkei, hat 17 seiner 28 Lebensjahre im süddeutschen
Ludwigsburg verbracht, aber „Kurdistan“ sei seine Heimat. Adel ist heute
den ersten Tag an der Front in Sindschar-Stadt. Er hat sich durch das
Gewirr von Löchern vorgearbeitet, die seine PKK-Genossen in die Häuserwände
und Keller geschlagen haben, da wo nicht schon eine Granate diese Arbeit
erledigt hatte. Er huscht vorbei an verhängten Kreuzungen, duckt sich
hinter Sandsackbarrieren oder sprintet über freie, ausgesetzte Plätze. Der
Krieg in Sindschar ist ein Krieg der Scharfschützen geworden.
70 Prozent dessen, was von der Stadt übrig ist, hält die Terrormiliz IS, im
Rest hat sich die PKK festgesetzt. 250 IS-Kämpfer stehen etwa 1000
PKK-Guerillas gegenüber, sagt ein Kommandant, der sich mit Ahmed vorstellt.
Die Kurden könnten den IS schon vertreiben, sagt er. Aber leider gebe es
unter den verschiedenen bewaffneten Gruppen der Kurden keinerlei
Koordination.
Die irakischen Peshmerga haben neue und schwere Waffen und können, anders
als die PKK, Luftschläge der Koalition anfordern, sagt der Kommandant. Sie
stimmen sich aber nicht mit der PKK ab. „Wenn wir vormarschieren, werden
wir plötzlich selbst zum Ziel,“ ergänzt Kommandant Ahmed.
## Innerkurdische Rivalitäten
„Im Moment sind nur die PKK-Kämpfer wirklich in der Lage, den IS zu
besiegen. Wenn die Türkei jetzt also die PKK angreift, dann nutzt dies
letztlich allein der Terrormiliz IS,“ sagt der operative PKK-Chef, Cemil
Bayik, selbstbewusst. Wir treffen ihn an einem geheimen Ort im
Kandil-Gebirge nahe der irakisch-iranischen Grenze. Eigentlich hat hier
Masud Barsani mit seinen Peshmerga das Sagen.
Der pflegt beste und einträgliche Beziehungen zur Türkei und wäre die
PKK-Kämpfer ganz gerne los. Doch das Kandil-Gebirge ist seit Jahren ein
Rückzugsgebiet der kurdischen Untergrund-Organisation, das Konterfei des
inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan ist allgegenwärtig. Deshalb fallen
hier auch türkische Bomben auf vermutete Verstecke von PKK-Kämpfern.
Tatsächlich hat die PKK mit ihrer syrischen Schwester-Organisation, der
YPG, beeindruckende Erfolge im Kampf gegen die Terrormiliz IS vorzuweisen.
Mit Luftunterstützung der US-geführten Koalition vertrieben sie den IS aus
Kobane, Mitte Juni eroberten YPG-Einheiten den Grenzübergang Tall Abiad,
sie bewahrten Hasaka vor der Einnahme durch die Terrormiliz. Jetzt verläuft
die Front etwa 40 Kilometer vor Al Raqqa.
Manche glaubten Anfang Juli noch, bald würden die Kurden zum Sturm auf die
Hauptstadt der Terrormiliz ansetzen. Doch dann begannen türkische Kampfjets
PKK-Kämpfer im Nordirak zu bombardieren und offenbar auch Stellungen der
syrischen YPG. Vier Mal, so sagt Redur Xelil, Sprecher der syrischen
Kurdenmiliz YPG, hätten türkische Einheiten die YPG in Kobane und Tall
Abiad angegriffen. Seit die Kurden nicht nur den IS, sondern auch noch
türkische Kampfjets fürchten müssen, ist die Lage komplizierter geworden.
Redur Xelil sagt: „Eine Offensive auf Al Raqqa ist derzeit nicht geplant.“
25 Aug 2015
## AUTOREN
Volker Schwenck
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