Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bremer Spicarium vor dem Aus: Ein Traum für wenige
> Das Bremer Spicarium ist ein Hybrid – irgendwo zwischen Science Center,
> Schifffahrts- und Stadtmuseum. Nun soll es geschlossen werden.
Bild: Auch in den Ferien finden wenig Besucher hierher, genauso wie ins benachb…
Bremen | taz Im Grunde ist so eine Institution wie das Spicarium ziemlich
naheliegend, ja, fast zwingend. Und zwar gerade hier in Vegesack, einem
traditionellen Bremer Arbeiterstadtteil. Nun aber ist es wieder mal akut in
seiner Existenz bedroht. Weil damit im klammen Bremen 130.000 Euro im Jahr
gespart werden könnten – vielleicht. Doch die Geschichte dieser Einrichtung
ist vor allem eine der enttäuschten Hoffnungen und Erwartungen.
Mit dem Namen fängt das Problem schon an. Das Spicarium ist – ja was
eigentlich? Es nennt sich selbst eine „interaktive Ausstellung“ und wirbt
mit dem Slogan „Maritimes Wissen erleben“, doch das hilft auch nur ein
bisschen weiter. Im Grunde ist‘s so eine Art Hybrid zwischen einem dieser
Science Center, einem Schifffahrts- und einem Stadtmuseum. Und der
kryptische Name? Lateinisch! Soll für „Speicher“ stehen. Selbst viele
Wörterbücher kennen ihn nicht.
2011 im „Alten Speicher“ eröffnet ist es Ausstellungsort und -objekt
zugleich: In dem 200 Jahre alten denkmalgeschützten Bau saß früher die
Lange-Werft, eine der Keimzellen des untergegangenen Bremer Vulkan, bis in
die 1990er-Jahre eine der großen Werften Europas. Hunderte Segelschiffe
liefen bei Lange vom Stapel, dazu eines der ersten Dampfschiffe des Landes.
Auf der einen Seite des Spicariums liegt seit langem der Dreimaster
„Deutschland“, 1927 in Bremerhaven gebaut, heute ein Denkmal, Hotel und
manchmal auch ein Standesamt. Auf der anderen Seite ist der beschauliche
Vegesacker Museumshafen, gleich neben dem dahinvegetierenden
Einkaufszentrum und den riesigen Hochhaussilos der Grohner Düne, einem
sozialen Brennpunkt. Hier war einmal Bremens Seehafen und 1624 obendrein
der erste künstliche Hafen Deutschlands.
Wenn man heute im Spicarium aus dem Fenster guckt, sieht man entweder
Lürssen oder Abeking & Rasmussen, die beide als Werften weltweit führend
sind, sowohl bei Yachten für Superreiche als auch bei, nun ja,
Kriegsschiffen.
Irgendwo zwischen all diesen Geschichten, Referenzen und Firmen bewegt
sich, bisher, auf nur 500 Quadratmetern, das Spicarium. Im Erdgeschoss,
zwischen den alten Holzständern, sieht noch vieles aus wie einst, in alten
Holzfässern lagert, was damals hier umgeschlagen wurde – Fische, Wein oder
Gewürze – dazwischen liegen altes Segeltuch, Tampen und Tauwerk, hängen
historische Fotos und Karten, stehen Modelle alter Boote. Und alles darf
man anfassen! Sogar in die Wanten kann man steigen, ein paar Meter
zumindest, dazu laufen Filme über Heringsfischerei und neben der langen
Werkbank mit Werkzeugen von damals erzählt ein fiktiver Schiffszimmermann
aus dem 19. Jahrhundert von seinem Leben.
Alles ist sehr familiengerecht, dazu barrierefrei und oben, wo es etwa um
Schiffsanstriche geht, die nicht so giftig, sondern wie Haifischhaut sind,
oder um neuartige Propeller, um Schiffe mit Solarantrieb oder Luxusyachten,
oben also haben sie eine „Plattform für Wissenschaftskommunikation“
etabliert, wie Ausstellungsleiterin Christina Voigt das nennt. Jeden Monat
gibt‘s hier Vorträge, Diskussionen mit 100, manchmal noch mehr Leuten.
„Das Spicarium wird geschlossen, es sei denn, Denkmalschutzauflagen oder
Rückzahlungsverpflichtungen stehen dem entgegen.“ So haben es jüngst SPD
und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen. Wobei: Bürgermeister
Carsten Sieling (SPD), sprach hernach – „ganz bewusst“ – lieber von ein…
„Prüfauftrag“. Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, sagte er dem
Weser-Kurier.
Vielleicht ist das schon eine Reaktion auf die harsche Kritik aus
Bremen-Nord, wo man sich – nicht ganz zu unrecht – eh oft vom Rest Bremens
zurückgesetzt fühlt. Vielleicht dämmert den Verantwortlichen auch, dass das
mit der Schließung nicht so einfach wird: Das Haus muss, zumindest in
Teilen, der Öffentlichkeit zugänglich sein. Das verlangt der Denkmalschutz.
„Es hat keinen Sinn, Leerstand zu produzieren“, sagt der Sprecher des
Wirtschaftsressorts, der im übrigen das Spicarium als eine „wunderbare
Einrichtung“ lobt.
Was aus dem Haus sonst so werden könnte, dazu gibt es bislang keine Idee,
es ist noch nicht einmal klar, wann der „Prüfauftrag“ überhaupt bearbeitet
wird. Die Lokalpolitik in Vegesack ist aufgebracht und selbst im Spicarium
haben sie von der geplanten Schließung „aus der Zeitung erfahren“, sagt
Voigt. Viel mehr weiß sie nicht. „Wir kämpfen weiter“, sagt sie dann noch.
Es ist ja nicht das erste Mal, dass über die Schließung des Spicariums
nachgedacht wird.
Das Kernproblem: Die Besucherzahlen. 2012 kamen 8.356 Gäste, 2013 waren es
9.857 und im vergangenen Jahr nur 6.596. Macht im Schnitt etwas mehr als
700 Besucher – im Monat.
Bevor 2011 alles begann, war sogar mal von jährlich 30.000 BesucherInnen
die Rede, aber das, sagt auch SPD-Wirtschaftssenator Martin Günthner, war
eine politisch motivierte Schätzung, die dazu diente, das Projekt
durchzusetzen. „Das ist die Absurdität“, sagte Günthner schon 2012: „Da…
wir aus einem Selbstzwang der Politik heraus solche Chancen überfrachten.“
Vor der letzten Wahl war dann noch von 10.000 BesucherInnen die Rede. Auch
die wurden nie erreicht, weswegen das Spicarium derzeit 130.000 Euro
Zuschuss bekommt. Das ist die Summe, die sich einsparen ließe. Wenn eine
künftige Nutzung des „Alten Speichers“ der Stadt – er gehört ihr – sie
zumindest nichts kostet.
## Blütenträume in Bremen
Bis heute leidet das Spicarium unter den großkoalitionären Blütenträumen in
Bremen-Nord. Nach dem Ende der Vulkan-Werft hatte die Politik dort den
Tourismus als „einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor“ ausgemacht. Und
Science-Center waren in der Bremer Politik damals sehr beliebt, der
Stadtstaat hat gleich mehrere davon.
Auch in Vegesack wurden vier Millionen Euro in eine „Maritime Meile“
investiert. Unter anderem in eine schon vor Jahren wieder geschlossene
„Gläserne Werft“, die halb Tourismus-Projekt war, halb Schiffsbau-Lehre.
Ihr bekanntestes Projekt war der Nachbau der Hansekogge. Auch das Spicarium
wurde mit dem Geld gefördert.
„Welche Auswirkungen wären im Falle einer Schließung des Spicariums für die
Maritime Meile in Vegesack zu befürchten?“ will die CDU dieser Tage vom
Senat wissen. Ehrlicherweise müsste man sagen: Sie wäre am Ende. Die
Antwort der Landesregierung steht aus. „Wir sind in Sachen Tourismus einem
Phantom hinterher gelaufen“, sagte Günthner schon 2012: „Es kommt niemand
aus Griechenland oder Amsterdam nach Vegesack zum Urlaub.“
Derzeit gibt es eine Sonderausstellung im Spicarium, sie zeigt die
Entstehungsgeschichte einer Luxusyacht, 24 Meter lang und 300 Quadratmeter
Segelfläche groß, gezeichnet von Beiderbeck Designs, einer international
renommiertenn Firma, die ihr Büro über dem Spicarium hat. Es ist eines
dieser Schiffe, bei denen, sagen wir: 130.000 Euro, keine große Rolle
spielen.
25 Aug 2015
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
Bremen
Museum
Schifffahrt
Wissenschaftskommunikation
Schifffahrt
Gegenwartskunst
Fotografie
Kulturpolitik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wissenschaftskommunikation verbessern: Digitales Wettrennen
Die Wissenschaftsakademien entdecken Social Media. Sie wollen Twitter und
Facebook mit unabhängigen Plattformen Paroli bieten.
Maritime Meile: Ende eines Missverständnisses
Weil zu wenig Besucher kommen, soll das Science-Center „Spicarium“ zum
Jahresende schließen. In Vegesack gibt es großen Protest dagegen.
Kunst im öffentlichen Raum: Bloß keine Stadtmöblierung!
„Im Inneren der Stadt“ hinterfragen drei Bremer Kunstinstitutionen den
öffentlichen Raum auf wunderbare leichte und hintersinnige Weise
Berührende Aufnahmen im Focke-Museum: Der Klang der Blicke
Seit 15 Jahren begleitet die Fotografin Julia Baier die Deutsche
Kammerphilharmonie auf ihren Tourneen von Rio bis Tokio und zurück nach
Bremen.
Streit um Bremer Museum Weserburg: Geld kann man nicht ausstellen
Die Stadt Bremen will Europas erstes Sammlermuseum abwickeln. Sie verkauft
es stattdessen als eine „radikale Neuaufstellung“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.