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# taz.de -- Berührende Aufnahmen im Focke-Museum: Der Klang der Blicke
> Seit 15 Jahren begleitet die Fotografin Julia Baier die Deutsche
> Kammerphilharmonie auf ihren Tourneen von Rio bis Tokio und zurück nach
> Bremen.
Bild: Das Orchester wird erfasst von einer Suite wie die Halme auf einem Feld v…
Wenn es nur das wäre: Eine Ausstellung mit Fotografien der Deutschen
Kammerphilharmonie Bremen (DDKB) im dortigen Focke-Museum – ne, dann würde
man sich ehrlich gesagt hier jetzt verabschieden. Denn klar, die Deutsche
Kammerphilharmonie ist ein Spitzenorchester. Auf der ganzen Welt spielt
niemand besser Beethoven. Und die Brahms-Sinfonien – sen- sa- tio- nell!
Aber Orchesterfotografien sind langweilig. Es sei denn, sie sind sehr
langweilig.
Denn ein klassisches Orchester gehorcht einem sehr festgelegten
Handlungsschema aus Proben. Die Optik ist öd: Reisen und Aufführungen in
Sälen, deren räumliche Disposition einander gleicht. Orchester oben.
Publikum unten. Orchester geigt. Publikum lauscht. Orchester steht.
Publikum klatscht.
Mit dem Zauber, den die Musik entfalten kann, scheint dieses Setting nur
wenig zu tun zu haben. Und noch weniger mit Schaulust: Der ergriffene
Rezipient schließt im klassischen Konzert andächtig die Augen, um zur
Extase der Musik vorzustoßen. Oder sie zu simulieren.
Das muss den MusikerInnen der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen klar
gewesen sein, als sie vor 15 Jahren Julia Baier als Orchesterfotografin
dauerhaft engagierten. Denn Julia war schon damals, als Studentin an der
Bremer Hochschule für Künste und Fotografin der örtlichen taz-Redaktion
eine Meisterin darin, das individuelle Moment selbst in den Strukturen
einer scheinbar standardisierten und normierten Wirklichkeit nicht bloß zu
erkennen. Sondern es sichtbar zu machen.
Zum Beispiel in leicht vom Muster abweichenden Situationen, etwa einem Bild
von fünf Orchestermusikern an der Copa Cabana. Die gehen halt, schwarz
gekleidet, den Strand entlang. Und genau in dem Moment, wo die Kamera
auslöst, lässt eine auslaufende Welle die vier Männer und die Frau nach
rechts schwenken, und ein Windstoß hebt den Frackschoß des Nachzüglers an
und verrät seinen Beruf: Solche Anzüge tragen eigentlich nur Musiker, und
schon erinnern diese schwarzen Figuren auf dem weißen Sandstrand an Noten
einer Partitur.
Roland Barthes hat 1980 in „Die helle Kammer“, seinem berühmten Essay zur
Fotografie, den Begriff des punctum geprägt für das besondere, nicht in
Worte fassbare Detail, durch das eine Aufnahme lebt und beeindruckt und
subversiv wird. Und er hat behauptet, dass es, weil ja eben nicht
verbalisierbar und theoriefähig, ein Resultat des Zufalls sei. Und er hat
ja recht, es ist ja nicht planbar, es kann ja schlecht jemand hingehen, und
den Frackschoß anheben, und selbst wenn, das wäre etwas anderes. „Und ohne
das“, sagt Baier selbst, „wäre das Bild wahrscheinlich langweilig
geworden.“ Aber Julia Baiers Fotografien haben eben immer dieses besondere
Moment, diesen belebenden Blick.
Dabei ist das Copa-Cabana-Bild ja fast schon – na, nicht billig, es ist ein
hervorragendes Foto, aber vergleichsweise plakativ und ein wenig
inszeniert: Der Kontrast zwischen Abendgarderobe und Sandstrand ist keiner,
der sich von selbst ergeben hätte. Die anrührenderen, weil spontaneren
Fotografien sind jene, die backstage entstanden sind, in den
Funktionsräumen großer, berühmter Säle vom Palais Chaillot bis zum Teatro
Colón.
Hier wird Baier zur Zeugin, etwa davon, wie sich die MusikerInnen vorm
Auftritt vereinzeln, in Yoga-Übungen verknoten, sich mit ihrem Instrument
ein Eckchen suchen, ihre Stimme noch einmal durchgehen, in irgend einem
stillen Winkelchen, in dem an der Wand Bauhelme hängen, und ein schrottiger
Apparat, der mit der hausinternen Telefonanlage verbindet: Wird er gleich
klingeln und den Musiker auf die Bühne in die Konzertmaschine ordern, der
hier in seiner innigen und verletzlichen Versenkung gesehen ist? Fast
fürchtet man sich davor, dass das Konzert beginnt.
Diese Bilder, und das ist ihre große Kunst, wirken trotz dieser Nähe nicht
aufdringlich-voyeuristisch. Und sie wirken spontan wie Schnappschüsse, sind
vielleicht sogar mitunter ebenso schnell gemacht – aber dabei eben doch
immer großartig komponiert.
Denn Baier scheint einen eigenen Sinn für Strukturen, ein Auge für Linien
und formale Begrenzungen zu haben. Manche Aufnahmen – und da ist der
entschiedene und konsequente Verzicht auf Farbe ein großer Gewinn – können
grafisch wirken, ihr mimetischer Charakter tritt zurück und die Kontraste
der Bildpunkte, aus denen sie sich zusammensetzen, scheinen ihr einziger
Gegenstand zu sein.
Zum Beispiel in jenem Blick von der Bühne des Leipziger Gewandhauses ins
Publikum. Der Bühnenboden ist aus hellem Holz, Grundfarbe weiß, die
Notenpulte bilden nur Rahmen für die wieder weißen Partituren. Vom
Bühnenrand an aber, der genau die Mitte des Bildes scharf markiert,
dominieren die gedeckten Töne, es herrschen Schwarz und Dunkelgrau.
Noch ist hier kein Ton erklungen, aber es richtet sich alles entsprechend
den Gebräuchen des Betriebs ein: Die gespannte, durchaus konzentrierte
Erwartung, die Fokussierung der Sinne aufs Geräusch, auf die Töne. Und
daher klingt in diesem Bild das allmähliche Decrescendo des Publikums, das
eintrifft und nach und nach Platz nimmt, deswegen zeigt es das Verstummen
der Gespräche, gibt den Blick frei auf die wachsende Unruhe der noch nicht
auf die Bühne tretenden MusikerInnen: Das Bild ist das Konzert, das noch
sein wird.
17 Jul 2015
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Fotografie
Bremen
Fotografie
Bremen
Ausstellung
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