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# taz.de -- Kolumne German Angst: Er schießt, sie fließt
> Auch Anders Breivik spricht die Sprache von AfD und Teilen der
> Konservativen. Dass Europa sich selbst abschaffe, hören wir jeden Tag.
Bild: Der Attentäter Anders Behring Breivik lächelnd im Gerichtssaal
Ziemlich genau vier Jahre ist es her, dass Anders Behring Breivik auf Utøya
69 Menschen erschoss. Junge SozialdemokratInnen. In den Augen des
Rechtsradikalen sind das nämlich Steigbügelhalter des größten Grauens —
„Kulturmarxismus“ und „Multikulturalismus“, des Islam. Und der
Gleichberechtigung. Besonders trieb Breivik der Hass auf „die“ Frau, die er
vor die Wahl gestellt sieht „Nonne, Prostituierte oder Mutter zu werden“.
Es ist ein Ton, der an die „Männerphantasien“ erinnert, die Rudolf Augstein
1977 im Spiegel unter „Frauen fließen, Männer schießen“ zusammenfasste. …
„Männerphantasien“ beschreibt Klaus Theweleit die Externalisierung all
dessen, was den soldatischen Mann im Inneren bedroht: das Weibliche, alles,
was fließt, sich vermischt. Und da die Frauen nicht in Gänze vernichtet
werden können, werden sie aufgespalten in die abstinente Schwester und die
(rote) Hure. So tut es auch Breivik.
In den vergangenen Tagen wurde wieder über den Attentäter berichtet.
Breivik nämlich darf nun studieren. Für viele unbegreiflich – wie kann
schließlich „so einem“ erlaubt sein, was wir auch dürfen? Dahinter steht
die tröstliche Annahme, Breivik sei nicht ganz normal, keiner von uns. Ein
Verrückter.
Hört man seine Verteidigungsrede, ist eher erschreckend, wie normal der Typ
ist: ein informierter Bürger Europas, belesen, rhetorisch gewandt. Er
spricht die Sprache von Pegida, AfD und Teilen der Konservativen. Dass sich
Europa mit seiner Einwanderungspolitik selbst abschaffe, sagt Breivik;
oder: „Es ist ein Boykott der Demokratie, wenn die Meinungsfreiheit
systematisch eingeschränkt wird. Wenn rechte Parteien als ‚Rassisten‘
beschimpft werden.“ Versatzstücke dieser Rede hören wir täglich.
Auf den Bildern, die nun durch die Medien gehen, ist Breivik abgebildet,
wie er sich selbst gern sieht: grinsend. Ein entspanntes Siegerlächeln.
Eine Strategie, die ihn „entdämonisieren“ soll? Vielleicht. Überlebende d…
Attentats berichteten, wie Breivik lachend über die Insel lief und in
kindlicher Freude jeden Treffer, jeden ermordeten Teenager bejubelte. Neben
der Normalität der Täter ist vor allem ihre fröhliche Inszenierung
verstörend. Ihr Lachen – hier knüpft übrigens Theweleit in seinem neuen
Buch „Das Lachen der Täter“ an.
Und wie bei den „Männerphantasien“ verweist er auf eine gesellschaftliche
Struktur der Gewalt, in der eine solche (männliche) Mordlust entsteht, und
stellt die Frage nach dem Körper dort, wo politische und ideologische
Erklärungsansätze versagen – wo das Lachen des Killers das Mitgefühl
verstellt, das Quälen Freude bereitet. Die Forschung täte darum gut daran,
die Täter beim Wort zu nehmen, die affektive Struktur ihrer Sprache unter
die Lupe zu nehmen.
Dafür muss man nicht zu den Inszenierungen lachender IS-Kämpfer gehen oder
den Selfies der Folterer in Guantánamo. Man kann auch nach Hannover
schauen, wo ein Bundespolizist kürzlich einen jungen Afghanen misshandelte
und sich damit brüstete. Als wäre es das Normalste von der Welt. Und ein
großer Spaß: „Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War
witzig.“
22 Aug 2015
## AUTOREN
Sonja Vogel
## TAGS
Anders Breivik
German Angst
Täter
Klaus Theweleit
Schwerpunkt AfD
Klaus Theweleit
Anders Breivik
Späti
Deutsche Sprache
Schwerpunkt Flucht
Serbien
Judentum
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