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# taz.de -- Spanische Pyrenäen: Zerschnittene Berge
> Im Montsec-Gebirge zwischen Katalonien und Aragón. Selten kann man auf
> engstem Raum so dramatische Landschaftswechsel erleben wie hier.
Bild: Wasserfall im Ordesa Nationalpark.
Quebrantahuesos: Dieses Wort kommt einem nicht so schnell über die Lippen.
Aber wenn man in den Vorpyrenäen unterwegs ist, geht es einem irgendwann
nicht mehr aus dem Kopf. Wörtlich übersetzt heißt es „Knochenbrecher“, u…
es ist der spanische Name für „Bartgeier“. Und die gehören zum Land der
Schluchten nun mal dazu, wie die bizarren Felsen aus erodiertem Kalkstein
und die sengende Hitze. Auf der Wanderung im Montsec sind die Vögel
jedenfalls unsere ständigen Begleiter.
Kilometerlange Anfahrt auf steiniger Piste. Kurven über Kurven, immer
wieder müssen tiefe Löcher umfahren werden. Wo soll das hinführen?
Schließlich kommen wir am Albergue de Montfalcó an, einer Herberge, die von
einem verlassenen Dorf übrig geblieben ist. „Ihr könnt hier nicht rein. Ich
muss sofort weg“, meint eine junge Frau, bevor wir das Haus überhaupt
betreten haben, steigt in einen Jeep und fährt hastig davon. Wir stehen
ratlos im Regen. Bei Nässe soll das Gelände nicht ungefährlich sein.
Gern hätten wir erst mal einen Kaffee getrunken. Stattdessen laufen wir
jetzt etwas ziellos ins Tal hinunter. Links und rechts die tropfnassen
Blätter von Steineichen und Erdbeerbäumen, der würzige Duft von Rosmarin.
Als wir unten an der Talsperre Canelles ankommen, hat der Regen aufgehört.
Der Nebel lichtet sich. Und wir trauen unseren Augen nicht: Vor uns tut
sich eine gewaltige Schlucht auf. Gran Canyon? Nein, der Congost de
Mont-rebei. Das Spektakulärste, was die Vorpyrenäen zu bieten haben. Im
Montsec-Gebirge zwischen Katalonien und Aragón blieb die Schlucht
touristisch lange Zeit unentdeckt, ist heute aber beliebtes Klettergebiet.
Der Name „Mont-sec“, der sich von „Mont segat“, zu Deutsch „zerschnit…
Gebirge“ herleitet, sagt schon alles: Berge, wie mit dem Messer scharf
zerteilt, mit bis zu fünfhundert Meter hohen Felswänden.
## Erodierter Kalkstein, mediterranes Buschwerk
An manchen Stellen kommen sie sich so nah, dass sie sich fast berühren.
Dann driften sie wieder auseinander und machen Platz für den Stausee
Canelles. Wie ein Smaragd schimmert das Wasser zwischen den rotbraunen
Felsen. „Die Farbe hat es vom Kalkstein im Untergrund“, erklärt Harry,
unser Guide. Eine Weile laufen wir am Ufer auf und ab, dann windet sich der
Weg hinauf in schwindelnde Höhe. Auf Himmelsleitern – Holztreppen und
Stegen, die in das Gestein montiert wurden und über dem Abgrund schweben –
geht es konzentriert an den Felswänden hoch.
Tief unten das Wasser, rundum die wilde Landschaft aus erodiertem Kalkstein
und mediterranem Buschwerk, über uns ziehen Bartgeier, Gänsegeier und
Steinadler ihre Kreise. Da ist alle paar Schritte ein Foto fällig. Der ein
oder andere macht natürlich auch ein Selfie. So dauert es über vier
Stunden, bis wir den rund acht Kilometer langen, vorbildlich angelegten Weg
durch die Schlucht bewältigt haben.
Einigermaßen erschöpft, aber stark beeindruckt kommen wir schließlich an.
Und überzeugt, dass es sich lohnt, auf einer Pyrenäenreise einen
Zwischenstopp im Montsec einzulegen. „So faszinierend das Hochgebirge ist,
so faszinierend ist der Kontrast zwischen alpiner Landschaft und den
Schluchten der Vorpyrenäen. Hier die alpine Vegetation, dort die
Halbsteppe. Nur selten kann man auf so engem Raum so dramatische
Landschaftswechsel erleben“, schwärmt Harry, der die Gegend seit Jahren
durchforstet und maßgeschneiderte Reisen für den Summit Club des Deutschen
Alpenvereins konzipiert.
## Die typischen Bergdörfer als Skigebiet
Tatsächlich: Dreißig oder vierzig Kilometer weiter nördlich ändert sich das
Bild komplett. Nadelbäume ersetzen die Steineichen, statt des rotbraunen
Konglomeratgesteins dominieren Granit und dunkler Schiefer. Neben der
Straße rauschen Gebirgsbäche, hier und da gibt es saftige Wiesen. Dazu
typische Bergdörfer. Sort, Rialp, Llavorsí … In Espot machen wir halt. Im
Winter eine kleine Skistation, ist es im Sommer idealer Ausgangspunkt für
Touren in den Nationalpark Aigüestortes.
Um das Ortszentrum gruppieren sich rustikale Beherbergungsbetriebe wie das
hundertjährige Hotel Roya, das heute in der vierten Generation geführt
wird. Die Chefin tischt persönlich die Spezialitäten der Region auf:
luftgetrockneten Schinken, Stockfischkroketten, Trinxat, ein Gericht aus
gebratenem Kohl und Kartoffeln, das mit ausgelassenem Speck gewürzt wird
und Vedella amb bolets, ein Kalbfleischragout mit Waldpilzen. Noch eine
Crema catalana – die katalanische Variante der Crème brulée – und unsere
Batterien sind wieder aufgeladen.
Am nächsten Morgen kann es dann in den Nationalpark gehen. Privaten
Fahrzeugen ist der Zugang versperrt. Dafür steht eine Kolonne von
Geländewagen bereit, für rund fünf Euro wird man nach oben chauffiert. Kaum
sind wir angekommen, zücken alle ihre Kameras. Vor uns das Motiv, das jede
Postkarte vom Nationalpark ziert: der Sant-Maurici-See, in dem sich die
hochalpine Landschaft mit Schwarzkiefern, Fichten und Almrausch spiegelt.
Dazwischen ein paar Schneeflecken, ringsum die zackigen Gipfel der
Dreitausender. Die grauen Felsnadeln sind ebenso charakteristisch wie das
Gewässer, das zusammen mit mäandernden Bächen und rund zweihundert Karseen
dem Nationalpark seinen Namen Aigüestortes – zu Deutsch: „verschlungene
Wasser“– gab. Gleich neben uns ragt der markanteste Doppelgipfel Encantats
auf.
## Hohe Baukunst in der Bergabgeschiedenheit
Der Sage nach handelt es sich um zwei Jäger, die den Gottesdienst verlassen
hatten, um zu jagen, und zur Strafe versteinerten. Doch die lassen wir
links liegen und laufen in weitem Bogen um den See herum. Mal durch
schattigen Wald, mal über Geröllfelder steigen wir zum Refugi d’Amitges
auf. Die Hütte in 2.380 Meter Höhe ist die erste Etappe auf der Querung des
Nationalparks. Kaiserschmarrn gibt es nicht. Aber gute Sandwichs mit
Tortilla. Dazu serviert das junge Team das beliebte Naturbier aus der
Brauerei Moritz in Barcelona.
Viele wandern von hier aus eine ganze Woche auf der Carros-de-Foc-Runde von
Hütte zu Hütte. Wir begnügen uns mit der Querung des Nationalparks und
kommen auf der anderen Seite ins Vall de Boí hinunter. Auch hier im Tal ein
betriebsames Bergdorf mit kleiner Skistation. Doch was Espot nicht hat: In
Taüll stehen gleich zwei romanische Kirchen aus dem 12. Jahrhundert, die
zum Weltkulturerbe der Unesco zählen.
Weithin sichtbar erhebt sich der elegante sechsstöckige Glockenturm von
Sant Climent in der Gebirgslandschaft, im Ort selbst steht das kleinere
Pendant Santa María de Taüll. Beide Male umschließt das dreischiffige
Innere expressive Fresken, deren Originale im Nationalmuseum katalanischer
Kunst in Barcelona aufbewahrt werden. Welch hohe Baukunst in der
Bergabgeschiedenheit! Und was für ein Kontrast zu den einförmigen
Ferienhäusern, deren Fensterläden außerhalb der Hochsaison fest
verschlossen bleiben!
Immerhin begegnen uns die romanischen Kirchen immer wieder, sie sind eine
Art Markenzeichen der Pyrenäen. Auch in Torla westlich vom Boí-Tal steht
ein schönes Exemplar. Ansonsten ist das tausend Meter hoch gelegene
mittelalterliche Dorf in Aragón Tor zum Nationalpark Ordesa und
Ausgangspunkt unserer nächsten.Wanderung. Wieder eine neue Facette der
Pyrenäen: Auf dem Sendero de Cazadores, dem legendären Jägerpfad, laufen
wir durch kühlen Buchenwald gemütlich an einem Bach entlang bergauf, bis
plötzlich gewaltiges Donnern ertönt. Das vorausgesagte Gewitter?
## Fast wie im Gran Canyon
Nein, die Cascada de Aripas, wo eine geballte Ladung Wasser mit voller
Wucht in die Tiefe stürzt. Dort dreht es sich wütend in einem Strudel, um
danach über weitere Felsen zu schäumen. Ein Stück weiter bekommen wir noch
eine Zweitauflage dieses Schauspiels zu sehen. Dann mündet der Weg in einen
schmalen Pfad und führt oberhalb der Baumgrenze in ein weite Ebene. Grüne
Almwiesen, die von gewaltigen Felswänden eingekesselt sind. Jetzt ist der
Vergleich mit dem Gran Canyon tatsächlich angebracht.
Und wieder greifen alle zur Kamera. Aber ausgerechnet jetzt fallen die
ersten Tropfen. Ob wir dennoch noch zur Cola de Caballo laufen soll? Zu
jenem Punkt, wo sich der Wasserfall wie ein Pferdeschwanz auffächert und
über die Felsen ergießt?
Harry besteht darauf und erzählt vom verlorenen Berg, dem 3.348 Meter hohen
Monte Perdido darüber, der das höchste Kalkmassiv Europas darstellt. Ja,
doch, den hätten wir uns schon gern noch näher angesehen. Doch bleibt uns
nur noch Zeit für ein schnelles Picknick, dann spült uns der Gewitterregen
wortwörtlich ins Tal hinunter. Unser Guide hatte recht: In den Pyrenäen
kann man dramatische Landschafts- und Wetterwechsel erleben!
17 Aug 2015
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
## TAGS
Wandern
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