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# taz.de -- Flucht über die Berge: Der letzte Ausweg
> Der Weg übers Gebirge war für die vom NS-Regime Verfolgten oftmals der
> letzte Ausweg, um sich in Sicherheit zu bringen. Ohne kündige Führung war
> das nicht möglich.
Bild: Der Krimmler Wasserfall im Nationalpark Hohe Tauern.
Zu Fuß war er im griechischen Atalanti losgegangen. Vom mazedonischen
Skopje fuhr der 21-jährige Hilar Huber mit dem Fahrrad weiter nach Villach
in Kärnten. Das klingt nach Urlaub. Aber was Huber 1941 unternahm, war
schlicht die Flucht, um zu überleben. Er war aus einem
Gebirgsjägerbataillon desertiert, weil er die griechische Zivilbevölkerung
nicht drangsalieren wollte.
Als er nach 2.000 Kilometern endlich im heimischen Walsertal angelangt war,
wurde Huber verhaftet, doch er konnte wieder fliehen. So ging es vier Jahre
lang weiter: Verhaftung, Flucht, Versteck, Verhaftung. Immer wieder zog er
sich in die Berge zurück.
Hilar Hubers Vorteil war, dass er klettern konnte. Bei anderen Flüchtlingen
war das anders. Wilhelm Hoegner etwa, nach 1945 bayerischer
Ministerpräsident, musste als Sozialdemokrat 1933 aus Nazideutschland
fliehen. Zwei bergerfahrene Genossen führten ihn durch das
Karwendelgebirge. Hoegner nutzte etwas, das bis heute nur wenig bekannt
ist: organisierte Fluchthilfe über die Alpen, das Elbsandsteingebirge oder
die Pyrenäen.
1933 hatten überwiegend kommunistische Bergsteiger begonnen, einen
illegalen Hilfsdienst aufzubauen. Zu ihnen gehörte Eduard Rabofsky, ein
österreichischer Arbeiterbergsteiger, aktiv bei den Naturfreunden. Eher
zufällig traf er bei einer Klettertour in den Berchtesgadener Alpen andere
rote Bergsteiger.
„Ein Eisenbahner aus Bischofshofen vermittelte meinen ersten Einsatz bei
einer neuen Form des Bergsteigens und der politischen Arbeit: dem illegalen
Transport über die Grenzen“, erinnert sich Rabofsky.
## Bei der Polizei denunziert
Nicht nur die alpinen Gefahren lauerten, auch vor Denunziation oder dem
Zugriff der Polizei war man nie sicher. Das zeigt etwa die gescheiterte
Flucht des Jura Soyfer. Der Schriftsteller und Kabarettist, Kind
russisch-jüdischer Eltern und aktiv in der sozialistischen Bewegung, wollte
zusammen mit seinem Freund Hugo Ebner über das Schlappiner Joch (2.202
Meter) entkommen.
Auf Skiern stiegen sie am 13. März 1938 hoch, einen Tag nach dem
„Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich – und wurden von einer
Grenzkontrolle entdeckt. Weil eine Sardinenbüchse in eine
Gewerkschaftszeitung eingewickelt war, die der Grenzpolizist für
kommunistische Propaganda hielt, wurden sie verhaftet. Soyfer kam ins KZ
Dachau, wo er das „Dachau-Lied“ schrieb. Später wurde er ins KZ Buchenwald
deportiert, wo er mit 26 Jahren an Typhus starb.
Als die bekannteste Flucht vor den Nazis über die Berge gilt die
Überquerung der Pyrenäen durch den deutschen Philosophen Walter Benjamin.
Er gelangte auf einem Gebirgsweg nach Spanien, wo er sich am 26. September
1940 in Portbou umbrachte, um der Auslieferung an Deutschland zu entgehen.
Insgesamt flüchteten etwa 50.000 Menschen über die Pyrenäen.
## Gewundene Pfade im Elbsandsteingebirge
Und über das Elbsandsteingebirge wurden bedrohte Menschen in die
Tschechoslowakei geführt, bis sie 1938 von der Deutschen Wehrmacht besetzt
wurde. Einer der Bergsteiger, die als Fluchthelfer wirkten, berichtet: „Da
führten wir sie die gewundenen Pfade hinüber, auf denen wir einstens mit
unseren Liebsten so gerne gegangen.“
Wenn die Gruppe in Schnee oder Matsch an die Grenze kam, gingen alle
rückwärts, um Verfolger in die falsche Richtung zu locken.
Gerhard Grabs war der Kopf einer fast hundertköpfigen Bergsteigergruppe,
die als trotzkistisch galt. Sie kamen fast alle aus Loschwitz, einem
kleinen Ort bei Dresden. Bis 1937 organisierte diese Gruppe eigenständig
Flucht- und Schmuggeldienste über die deutsch-tschechische Grenze: Nicht
nur bedrohte Menschen hinaus- und Emissäre hineinführen war ihr Job. Auch
mindestens 60 umfangreiche Literaturtransporte gab es, um Broschüren und
Flugblätter einzuschleusen.
Was noch weniger bekannt ist als die alpinistischen Fluchten aus
Nazideutschland, ist die Fluchtbewegung, die nach 1945 einsetzte.
Sogenannte DPs, Displaced Persons, also meist aus den KZ befreite Juden,
versuchten oft illegal in das britische Mandatsgebiet Palästina zu
gelangen.
## Über die Alpen nach Israel
Der Weg führte von Deutschland aus über die Alpen nach Italien, und von
dort mit Flüchtlingsschiffen ins spätere Israel. Etwa 15.000 Menschen
gingen zu Fuß über die Alpen, etwa 3.000 von ihnen nahmen den gefährlichen
Weg über die Krimmler Tauern (2.634 Meter) – der kürzeste Weg von Salzburg
nach Venedig.
Viktor Knopf, ein jüdischer Sportlehrer aus Cieszyn an der
polnisch-tschechischen Grenze, der als Einziger seiner Familie den
Holocaust überlebt hatte, organisierte diesen Teil der Massenflucht.
Gruppen zu 200 Personen, in der Regel ohne passendes Schuhwerk und
körperlich geschwächt. Drei Gruppen pro Woche waren Knopfs Pensum.
Der österreichischen Gendarmerie blieb die Massenflucht nicht verborgen. Im
Protokollbuch findet sich der Eintrag: „Nach Angaben einzelner Judenführer
haben die Juden einen Geheimbefehl erhalten, wonach alle Juden Europa auf
was immer für einem Weg zu verlassen haben.“ Die Gendarmen erkundigten sich
beim Innenminister in Wien – und erhielten die Anweisung: „Schauts net
aus’m Fenster!“
13 Jul 2013
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
Walter Benjamin
Flucht
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