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# taz.de -- Essayist über Lebensentwürfe von Frauen: „Dein Eigenes musst du…
> Die Mutter des Autors Stephan Wackwitz wollte Künstlerin werden und ist
> Hausfrau geworden. Darüber hat er nun ein Buch geschrieben.
Bild: Das Eigene muss man verteidigen: eine Mode-Illustration von Margot Wackwi…
taz: Herr Wackwitz, zwei Ihrer Bücher kreisten um die Gewordenheit Ihres
Großvaters und Ihres Vaters – die Frage lag jedoch immer nah: Wann
schreiben Sie über Ihre Mutter. Jetzt ist es veröffentlicht: „Die Bilder
meiner Mutter“ hat die Geschichte zum Titel. Warum erst jetzt?
Stephan Wackwitz: Ich glaube, das ist so ein Generationending – das meiner
und das der vorigen. Wir haben uns an den beiden großen totalitären
Bewegungen abgearbeitet, den Nazis und den Kommunisten. Ich in den Büchern
„Ein unsichtbares Land“ und „Neue Menschen“ …
… von denen sich das eine mit Ihrem Großvater, das andere mit dem Lebensweg
Ihres Vaters auseinandersetzt.
Ja, der eine Nazi, der andere Hitlerjunge. Ich hatte jedoch immer mehr das
Gefühl, dass wir, dass meine Generation sich viel zu wenig um das gekümmert
hat, was man Demokratietheorie nennen kann.
Das klingt ziemlich theoretisch, groß.
Na ja, machen wir‘s eine Nummer kleiner. Früher kam mir nicht dringend
genug in den Blick, wer ein Vorbild demokratischen Lebens sein kann. Je
länger ich darüber nachdachte, desto mehr fiel mir auf, dass es soziale
Bewegungen gab, die im 20. Jahrhundert quasi unter dem Radar der großen
Debatten wirkten und nicht als politisch einflussreich wahrgenommen wurden.
Von welchen sprechen Sie?
Das war einerseits die Schwulenbewegung in den „Neuen Menschen“, die auf
meinen Vater großen Einfluss hatte. Dann eben die zeitgenössische, moderne
Kunst – und die Frauenkultur.
Dass etwa die soldatisch geprägte Männerkultur sich eher auf
Heilbringendes, auf Eschatologisches verlegt hat – und das nahe, praktische
Leben abtat?
Ja. Männerkultur setzt darauf, dass Demokratisches ein Zustand ist, den man
irgendwann erreicht. Das war‘s dann. Das kann man dann nur noch verwalten.
Aber Demokratie funktioniert so nicht. Sondern sie ist ein persönliches
Experiment.
Ein lebensweltliches Beispiel?
In meinem neuen Buch habe ich die Echos von philosophischen
Befreiungsbewegungen im Leben einer Künstlerin – keiner bedeutenden, aber
einer Künstlerin – verfolgt. Nämlich im Leben meiner Mutter. Es waren vor
allem amerikanische Philosophen, die das praktische Leben reflektierten.
Die amerikanischen Denker versuchten, Demokratie, das Zusammenleben von
Menschen in Freiheit, als ewigen Prozess zu umreißen. Nicht als Ziel, das
man erreichen kann, um den Prozess für beendet zu erklären. Als dauerndes
Experiment.
Sie schildern am Beispiel Ihrer Mutter, wie sie nach dem 8. Mai 1945 die
Freiheit nutzen wollte. Was ist passiert, dass sie wie auch die meisten
Frauen in der Bundesrepublik die eigenen Wege ins Dasein unter ihren
Männern münden ließen.
Mein Bild dafür ist: Nach dem Nationalsozialismus ging eine Tür auf. In die
Freiheit. Dann ging sie wieder zu.
Und unter NS-Lebensverhältnissen?
Waren noch Reste der Weimarer Zeiten untergründig eine Zeit lang spürbar
und wurden gegen das Regime gelebt. Wenn man die Autobiografie von Helmut
Newton liest, ist besonders eindrucksvoll, dass unter der Naziherrschaft
sehr viele Elemente der Goldenen Zwanziger noch da waren.
Als flamboyante Stile?
Die gab es jedenfalls noch. Meine Mutter hat immer mit großer Befriedigung
erzählt, dass sie in den Dreißigern in Berlin, wohin sie aus Wüttemberg als
16-Jährige ging, um die Kunstschule zu besuchen, auf der Straße angehalten
wurde. Ein Mann giftete sie an, sie sei zu stark geschminkt: Wenn euch der
Bismarck sehen würde … Meine Mutter erzählte immer, sie habe keck gesagt,
dass der Bismarck vielleicht lieber geschminkte Mädchen gesehen hätte als
einen Schrumpfgermanen. Ich weiß nicht, ob es sich wirklich so zugetragen
hat – oder ob sie es nur gern gesagt hätte. Aber das war ihr Berlin, das
war ihr inneres Empfinden.
Die Zumutungen nationalsozialistischer Stile waren ja mit dem 8. Mai passé.
Was lief nach 1945 in der Bundesrepublik schief, dass die Unterordnung der
Frauen unter ihre Männer nicht beendet war.
Nach dem Krieg war sie verkrüppelt, schwer kriegsbeschädigt durch einen
Tieffliegerangriff. Sie ging dann noch zwei Semester an die Kunstakademie
in Ellingen. Sie hatte schon damals, viele Frauen haben sich auf diese Art
von innerer Sammlung verlegt, Zitate notiert – Sprüche von nichttotalitären
Autoren, Emerson oder St. Exupéry. In den fünfziger Jahren haben gerade
Frauen versucht, die Leichtigkeit der zwanziger Jahre zu rekonstruieren.
Und sie arbeitete als Künstlerin. Und sie war finanziell erfolgreich.
Begann der Prozess der Einhegung der Ansprüche von Frauen in Ehen, in eine
Position unter dem Mann gleich nach dem Krieg?
Nein, das hat länger gedauert. Die fünfziger Jahren waren so vernagelt
nicht, jedenfalls nicht für meine Mutter wie die frühen Sechziger. In den
fünfziger Jahren waren Frauen ja noch in Druckpositionen, sie wurden
außerhalb der Familien gebraucht, sie waren teilweise noch berufstätig.
Dieses Zurück-an-den-Herd kam erst ein bisschen später, in meiner
Familiengeschichte jedenfalls.
Woran lag es, dass Frauen sich das gefallen ließen?
An der traditionellen Vorstellung, dass eine Frau nicht arbeiten sollte.
Dass eigene Lebensentwürfe eigentlich nicht erlaubt sind. Dass sie sich
ihrem Mann unterordnen sollte. Und dass die Verfolgung eigener
Lebensvorstellungen für eine Frau eine Art Hybris ist, sobald die Kinder da
ist. Und das hat niemandem gutgetan.
Sieht das Ihr Vater auch so?
Der sagt heute, dass das falsch war. Aber darüber dachte man damals nicht
nach.
Das klingt wie ein Verhängnis.
Sie hat es so erlebt, ja. Denn niemand lebte so, wie es besser gewesen
wäre. Es gab eben keine Vorbilder. Für eine Demokratie sind Vorbilder
unglaublich wichtig. Wenn jemand anders als die anderen lebt, wird es
wertvoll. In der Bundesrepublik gab es ja Gustav Heinemann, der anders war
und lebte. Oder Willy Brandt. Als er von „Mehr Demokratie wagen“ sprach,
war das ja kein so toller Gedanke, dass man erstaunt sein müsste, doch er
verkörperte diesen Satz als Person und Vorbild. 1969 mit der
sozialliberalen Koalition wurde eine Regierung gewählt, die die
Adenauer-Jahre abschütteln sollte.
Sie bringen ein Lob des Konstruktivismus, wie Sie es nennen, aus: nicht
mehr abhängig sein müssen von den Lebensbildern anderer, sondern sein
eigenes Ding machen.
Ja – insofern, als der Rahmen des Demokratischen ja da war. Er musste nur
ausgefüllt werden. Aber nach 1945 – da haben sie, auch wenn sie schon die
Freiheiten der Weimarer Republik noch kannten, ihrem eigenen Mut nicht mehr
getraut.
Weshalb nicht?
Das lag bestimmt auch am wirtschaftlichen Erfolg. Meine Eltern waren arm.
Mein Vater hatte keinen Abschluss, meine Mutter diese Kriegsverletzung. Und
wenn man dann in Lohn und Brot kommt, sich ein Auto leisten kann, eine
Wohnung sich einrichtet, dann macht das die eigenen Ansprüche klein.
Plötzlich war Geld da. Und das macht die Menschen konservativ. Die dachten,
na, läuft‘s halt. Es gibt so ein Märchenmotiv: Der Berg geht auf, nachdem
man eine unscheinbare Blume gepflückt hat. Aber dann wirft man sie achtlos
weg – und der Berg schließt sich wieder.
Sie schildern beeindruckend, wie sehr Ihre Mutter im Leben Ihrer Familie
zur Furie wurde.
Ja, sie war sehr schlecht gelaunt, sehr oft. So habe ich das empfunden:
Frauen in jenen Jahren hatten wahnsinnig schlechte Laune. Das brach erst
Ende der Sechziger auf, mit einer anderen Kultur, etwa mit dem Film „Zur
Sache, Schätzchen“, mit der deutschen Nouvelle Vague – das war die
fröhliche Seite der Achtundsechziger, das war toll. Ich hab an einem
Weihnachtsfest von den Beatles „Why Don’t We Do It In The Road“ im Radio
gehört, das war das schönste Weihnachtsgeschenk, das mir damals zuteil
wurde.
Das Tauwetter begann – und Ihre Mutter wurde gar zur Hippiebraut: eine
berührende Passage.
In der Tat. Der Künstlerstil setzte sich durch. Sie trug Kittel, Broschen,
weite Hemden, eine Gertrude-Stein-Frisur. Das fand ich prima, dass meine
Eltern weniger spießig wurden. Mein Vater ließ sich einen Vollbart stehen.
Es war einfach etwas anderes da, man traute sich. Die Filme von Ingmar
Bergman haben in meiner Familie eine große Rolle gespielt. Sie haben „Das
Schweigen“ angeguckt …
… und darüber gesprochen?
Na, eher getuschelt. Später waren es „Szenen einer Ehe“ in den Siebzigern.
Ihre Schwester musste freilich leiden.
Ja, die hat’s nicht einfach gehabt. Der Neid meiner Mutter auf das eigene
nicht gelebte Leben wurde an ihr ausgetragen.
Welche Schlüsse haben Sie aus dem Leben Ihrer Eltern für Ihr eigenes
gezogen?
Es anders machen zu wollen. Ich habe nie in einer WG gelebt, aber diese
alternativen Ansätze des Zusammenlebens haben mich immer stark fasziniert.
Überhaupt, dass Bewegungen wie die der Schwulen zeigten, dass es auch
anders geht.
Und sie leben selbst nicht in einer Ehe wie Ihre Eltern.
Nein. Das ist mir nicht gelungen, obwohl ich es versucht habe. Leider.
Was würden Sie Ihrer Mutter heute sagen?
Etwa dies: Du hättest nie aufhören dürfen, deinen Begabungen zu folgen, das
war dein Lebensfehler. Das ist so wertvoll, das muss man verteidigen. Dein
Eigenes musst du mit Klauen und Zähnen verteidigen. Das abzugeben, das ist
der größte Fehler.
Das soll als Plädoyer für Eigensinn gelesen werden?
Als Idee vom Vertrauen in die Zukunft. Von der Vorstellung, dass so, wie
man ist, man sich durchsetzen kann. Mit Richard Rorty gesagt: Wenn du auf
deinen Idiosynkrasien bestehst, hast du eine Chance auf ein gutes Leben.
Diese muss man nutzen: Das ist die subjektive Essenz von Demokratie.
Haben es Ihre Eltern alles in allem gut gemacht?
Insofern, als sie immer zusammengehalten haben, auch während der Krankheit
meiner Mutter. Sie haben einander sehr geliebt und waren da füreinander.
Sie haben trotzdem nicht genug auf sich selbst gehört. Aber damit waren sie
nicht allein.
17 Aug 2015
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Frauenrolle
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Gespräche
Demokratie
Schwerpunkt Stadtland
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