| # taz.de -- Anwalt Horst Wesemann über politischen Protest: „Das war eher zi… | |
| > Horst Wesemann beteiligte sich in Bremen an den Ausschreitungen bei einer | |
| > Rekrutenvereidigung. Bald sitzt der Strafverteidiger in der | |
| > Innendeputation. | |
| Bild: War immer auf der Seite der Autonomen: Horst Wesemann. | |
| taz: Herr Wesemann, Sie werden Rolf Gössner ablösen und für die Linkspartei | |
| in der Bremer Innendeputation sitzen. Waren Sie nicht selbst schon im | |
| Visier der Strafverfolgungsbehörden? | |
| Horst Wesemann: Ständig. Ich habe eine Zeit lang meine Tür gar nicht mehr | |
| repariert, so oft ist die Polizei zu uns reinmarschiert. Aber das war in | |
| den 1970er-Jahren. Da häufte sich das, gerade wegen der Unterstützung der | |
| RAF-Gefangenen, in den Anti-Folterkommitees. Aber in Stockholm war ich | |
| nicht dabei ... | |
| … als zur Freipressung von RAF-Gefangenen die deutsche Botschaft besetzt | |
| und zwei Diplomaten erschossen wurden? | |
| Ich habe die Entführungen, die damals gelaufen sind, nicht gebilligt. Aber | |
| die Gefangenen zu unterstützen und eine Erleichterung der Haftsituation zu | |
| schaffen, dazu stehe ich noch heute. Später habe ich Adelheid Schulz als | |
| Anwalt vertreten, die wegen der Morde an Ponto und Schleyer zu | |
| lebenslänglich verurteilt wurde. Sie hatte schreckliche Haftbedingungen. | |
| Das konnte man schon als Folter bezeichnen und damit war man sofort im | |
| Visier der Polizei. Dann kam die Zeit in der Anti-AKW-Bewegung und da war | |
| noch mehr los. | |
| Waren Sie einer der friedlichen Sitzblockierer? | |
| Nein, ich gehörte zu den Aktiveren, habe mich aber auch an Sitzblockaden | |
| beteiligt. Ich war immer auf der Seite der Autonomen. Wir haben zum | |
| Beispiel Häuser besetzt oder den Pavillon im AKW Esenshamm. In Brake sind | |
| wir ins Gesundheitsamt eingebrochen, also eingebrochen ist zu viel gesagt. | |
| Wir haben das besetzt – aber nur, weil wir wussten, dass der | |
| Katastrophenplan für einen Super-GAU im AKW Esenshamm dort aufbewahrt | |
| wurde. Wir wollten die Bevölkerung darüber aufklären – eine wilde Zeit. | |
| Ist das heute alles verjährt? | |
| Ja, so schlimme Sachen sind das nicht gewesen. Das erforderte nicht so sehr | |
| viel Mut, das war eher ziviler Ungehorsam. | |
| Mit welchen Themen wollen Sie nun in der Innendeputation Akzente setzen? | |
| Ob ich Akzente setzen kann, weiß ich noch nicht. Ich kenne den | |
| Koalitionsvertrag. Die Reform des Polizeigesetzes steht an, die | |
| Zusammenlegung der Polizei von Bremerhaven und Bremen wird ein Kraftakt. | |
| Bei der personellen Aufstockung von Polizei und Feuerwehr wird so getan, | |
| als würde tatsächlich jemand eingestellt. Die personelle Misere wird aber | |
| nicht beseitigt. Anders ist es bei der Frage der personellen Aufstockung im | |
| Bereich der Kriminaltechnik. | |
| Inwiefern? | |
| Damit habe ich jeden Tag als Strafverteidiger zu tun: Die Bearbeitungsdauer | |
| wird immer wieder mit zwölf Monaten beschrieben. Eine höhere Ausstattung | |
| bringt vielleicht eine Entlastung, aber ich meine, man sollte aufhören, | |
| über den Anlass einer Ermittlung hinaus jedes einzelne irrelevante Handy | |
| oder jeden Computer auszuwerten – das würde auch entlasten. Als Jurist | |
| quälen mich viele Auslegungen des Gesetzes, mit denen ich nicht | |
| einverstanden bin. | |
| Zum Beispiel? | |
| Die Polizei steigt regelmäßig ohne eine alternative Arbeitshypothese in | |
| Ermittlungsverfahren ein und sagt: Das ist der Täter und dem weisen wir es | |
| jetzt nach. Man sucht nur nach dem, was seine Schuld beweisen soll, | |
| tatsächlich ist aber vielleicht keine vorhanden. Die Polizei müsste | |
| ergebnisoffener ermitteln. Aber ob man das über die Innendeputation | |
| erreichen kann, weiß ich nicht. Über den legalen Zugang zu | |
| Cannabis-Produkten gibt es jedenfalls viel zu diskutieren. Man sollte sich | |
| nicht an dem Modell aus Berlin-Friedrichshain orientieren; dort sollen | |
| „Konsumkarten“ eingeführt werden. Da kann ich mir an fünf Fingern abzähl… | |
| wer alles ein großes Interesse daran hat, die Konsum-Gewohnheiten der | |
| Menschen zu kennen. | |
| Was befürchten Sie? | |
| Dass dann alle Konsumenten von Cannabis anschließend ohne Führerschein | |
| dastehen. Die erhoffte personelle Entlastung der Schutzpolizei wird durch | |
| das erhöhte Arbeitsaufkommen bei der Führerscheinstelle kompensiert. Wenn | |
| es nach mir ginge, könnte man das Betäubungsmittelgesetz komplett | |
| abschaffen. Das ist keine realistische Forderung, aber auch die aktuelle | |
| Debatte geht ja davon aus, dass bei einer Legalisierung nicht noch mehr | |
| Leute hinzukommen, die Drogen nehmen. | |
| Dann hätten auch die Kontrollen im Ostertor-Viertel ein Ende, die nur | |
| Schwarze betreffen. | |
| Im Koalitionsvertrag wird ja explizit erwähnt, dass das „Racial Profiling“ | |
| eingeschränkt werden soll. Andererseits ist es nicht zu übersehen, dass es | |
| offensichtlich afrikanische Landsleute gibt, die im Viertel mit Drogen | |
| handeln. | |
| Und deshalb soll jeder mit schwarzer Haut im Viertel Kontrollen befürchten | |
| müssen? | |
| Gerade nicht! Es geht doch darum, dass hier nur ein ohnehin vorhandenes | |
| Bedürfnis bedient wird, die stehen ja nicht vor der Schule, um Kindern | |
| Drogen zu bringen. Es hat immer einen gleichbleibenden Anteil von Menschen | |
| gegeben, die Betäubungsmittel konsumiert haben, egal ob es legal war oder | |
| nicht. | |
| Wird Sie der Untersuchungsausschuss zum Bremer Terroralarm beschäftigen? | |
| Ohne Fraktionsmitglied zu sein, darf ich keine Fragen stellen, und ich | |
| werde wohl auch nicht als beratendes Mitglied im Ausschuss sitzen. | |
| Sind Sie Mitglied der Linkspartei? | |
| Ich bin parteilos. Aber die Inhalte der Linkspartei kann ich mir gut zu | |
| eigen machen. Seit ich denken kann, bin ich ein politischer Mensch und | |
| nehme an politischen Auseinandersetzungen teil. | |
| Und heute? | |
| Ich bin 66 Jahre und erwarte von den jungen Leuten, dass sie jetzt Gas | |
| geben. Ich unterstütze das, was ich kann. Die ganze Bewegung gegen die | |
| Neonazis finde ich absolut gerechtfertigt. Nicht alles, aber dass sich | |
| Leute dagegen wehren und Widerstand leisten – auch aktiv – das finde ich | |
| vertretbar. | |
| Sie meinen mit mehr als Worten? | |
| Nun, das kann man sich eben nicht immer aussuchen. Die Nazis sind auch | |
| nicht zimperlich, da ist ruck, zuck die Lippe dick. Ich würde mich in so | |
| einer Situation auch wehren. | |
| Sagen Sie das gerade als Politiker oder als Strafverteidiger? Sie vertreten | |
| ja Valentin, den linken Ultra, der wegen einer Schlägerei mit einem | |
| Hooligan in U-Haft sitzt ... | |
| Das sage ich allgemein, nicht nur als Verteidiger. | |
| Es wäre nicht ihr erstes Verfahren, das eine größere, teils politische | |
| Dimension annimmt. Kann sich Ihre Arbeit als Strafverteidiger mit der in | |
| der Innendeputation widersprechen? | |
| Wenn eine Interessenkollision entstehen sollte – und gerade bei Valentin | |
| könnte das durchaus dazu kommen – werde ich das mit der Fraktion | |
| diskutieren. Im Zweifel würde ich das Mandat niederlegen, damit Valentin | |
| vernünftig verteidigt wird. Im Moment sehe ich einen solchen Konflikt aber | |
| nicht. | |
| Was brachte Sie überhaupt zur Juristerei? | |
| Ich habe erst ein Lehrerstudium begonnen, unter anderem bei Johannes Beck. | |
| Dann wurde ich selbst festgenommen, weil ich den reaktionären ZDF-Moderator | |
| Gerd Löwenthal geohrfeigt hatte – mein erster Kontakt zur Justiz. Das hat | |
| mich beschäftigt. Ich besuchte an der Uni juristische Vorlesungen, damals | |
| bei Johannes Feest und Ulrich Preuß. Als ich diesen als Anwalt erlebte, | |
| wollte ich auch Strafverteidiger werden. | |
| Bereuen Sie keine Ihrer eigenen politischen Aktionen von damals? | |
| Die 1970er-Jahre kann man nicht mit heute vergleichen. Die | |
| Studentenbewegung war tot, die Kommunisten dachten, sie kriegen es mit | |
| ihren Parteien hin, und wir dachten, wir nehmen es jetzt selbst in die | |
| Hand. Die Einheit von Leben und politischer Arbeit war unser Programm. Wenn | |
| wir etwa ein Haus besetzt haben, haben wir darin gewohnt und uns | |
| gleichzeitig gegen die Sanierungspolitik im Ostertor gewandt. Ich wohne | |
| heute noch in dem damals besetzten Haus – inzwischen haben wir das Haus | |
| gekauft und wohnen dort mit 14 Personen als Mehrgenerationenhaus. | |
| Sie wurden vom einstigen Besetzer zum Vermieter und Aufwerter des Viertels? | |
| Da ist schon etwas dran, auch wenn es sich mit dem Vermieten sehr in | |
| Grenzen hält. Ich gebe aber zu, ich bin inzwischen etabliert, verdiene mein | |
| Geld als Strafverteidiger – mehr als ich vielleicht früher mal gedacht | |
| habe. Aber ich arbeite auch mehr als ich gedacht hatte. | |
| Und jetzt der nächste Schritt in die Politik? | |
| Ich plädiere auf nicht schuldig. | |
| 7 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
| ## TAGS | |
| Widerstand | |
| Ziviler Ungehorsam | |
| Bremen | |
| Die Linke | |
| Hausbesetzer | |
| Rote Armee Fraktion / RAF | |
| Cannabis | |
| Bremen | |
| Ultras | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Ultras | |
| Fußball | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Parteibasis soll über Cannabis abstimmen: SPD will es durchziehen | |
| Berliner SPD will im Herbst die Basis über das Wahlprogramm 2016 abstimmen | |
| lassen – auch darüber, ob Kiffen legalisiert werden soll. | |
| Linke Ultras treffen auf rechte Hooligans: Partys mit Gewaltpotenzial | |
| In Bremen spielt die Antifa-Band „Feine Sahne Fischfilet“ am Freitag ein | |
| Soli-Konzert für den linken Ultra Valentin. In Rufweite wollen rechte | |
| Hooligans feiern. | |
| Freiheit für Valentin: Solidarität mit Antifa-Ultra | |
| Jusos und Grüne Jugend fordern die Freilassung von Valentin: Der linke | |
| Werder-Ultra sitzt in U-Haft, weil er einen Hooligan verprügelt haben soll. | |
| Kameradschaft hetzt gegen Flüchtlingsheim: Pusdorfs Kameraden | |
| In Woltmershausen hetzen BürgerInnen gegen ein geplantes Flüchtlingsheim. | |
| Vorne dabei: „Nordic 12“ – eine neofaschistische Bruderschaft. | |
| Sportpolitik in Bremen: Der Kampf ums Stadion | |
| Auseinandersetzungen zwischen linken Werder-Ultras und rechten Bremer | |
| Hooligans nennt das Innenressort des Senats „unpolitisch“. | |
| Ultras gegen Hooligans: Ausschreitungen beim Nordderby | |
| Rechte Bremer Fans haben Werder-Ultras angegriffen. Zeugen zufolge trieb | |
| die Polizei die Ultras direkt den Hooligans in die Arme. |