# taz.de -- Jugendmilizen in Burundi: Bis aufs Blut | |
> Eine große Protestbewegung erkennt die dritte Amtszeit des Präsidenten | |
> von Burundi nicht an. Das Land rutscht in die Anarchie ab. | |
Bild: In den Vierteln von Burundis Hauptstadt Bujumbura geht es mittlerweile zu… | |
BUJUMBURA taz | Es ist stockdunkel in den staubigen Gassen. Wie Schatten | |
huschen die jungen Männer umher. Man hört sie ächzen, dann ein stumpfer | |
Aufschlag. Im Licht der Taschenlampe lässt sich erahnen, was das emsige | |
Treiben am späten Abend soll: Sie schleppen schwere Wackersteine und ordnen | |
sie inmitten der Straße in einem schachbrettartigen Muster an. Baumstämme, | |
Sandsäcke, Zweige und Stacheldraht werden darüber geschichtet, eine | |
Straßenblockade errichtet. Sobald sie hoch genug ist, hocken sich die | |
jungen Männer am Straßenrand ins Gebüsch. Messerklingen blitzen auf. | |
In den Vierteln von Burundis Hauptstadt Bujumbura geht es zu wie in einem | |
Bürgerkrieg. Im Stadtteil Musaga hallen jede Nacht Schüsse durch die | |
Gassen, Einschläge von Granaten sind zu hören. Immer wieder versucht die | |
Polizei nach Musaga einzudringen, das Viertel unter ihre Kontrolle zu | |
bringen. „Wir verteidigen uns“, erklärt einer der Männer. Er ist älter a… | |
die anderen, trägt Jogginganzug und Baseballmütze. Er scheint der Anführer | |
zu sein, seinen Namen will er nicht nennen. Er guckt nervös um sich. Jedes | |
Geräusch, jeder Lichtstrahl ist verdächtig. „Der Feind ist überall“, | |
flüstert er. Wer ist dieser Feind? „Die Polizei, der Geheimdienst und der | |
Präsident.“ | |
Ein Auto kommt angefahren, ohne Scheinwerferlicht. Es biegt von der | |
geteerten Hauptstraße ab, die vom Stadtzentrum nach Musaga führt: über eine | |
Brücke, an der Polizisten Fahrzeuge nach Waffen kontrollieren, vorbei an | |
der Militärkaserne – hinein nach Musaga, wo es keine Straßenlaternen gibt. | |
In der düsteren Seitengasse kommt der Geländewagen nicht weit: Die Reifen | |
stocken an den Wackersteinen. Die Jungen hüpfen aus dem Dickicht, umzingeln | |
den Wagen. „Was wollt ihr, wer seid ihr?“, brüllen sie die Männer im Auto | |
an. Es wird aggressiv diskutiert. Dann legt der Fahrer den Rückwärtsgang | |
ein und braust davon. „Wir lassen niemanden in unser Viertel, das können | |
Leute vom Geheimdienst sein“, erklärt der Anführer. | |
So wie in Musaga geht es nachts in vielen Vierteln Bujumburas zu. Besonders | |
in denjenigen, in denen die Menschen im Mai gegen die dritte Amtszeit von | |
Präsident Pierre Nkurunziza protestiert haben. Schon damals errichteten sie | |
Barrikaden, zündeten Autoreifen an und verteidigten sich gegen die | |
staatlichen Sicherheitskräfte: Polizisten und Soldaten waren entsandt | |
worden, die Demonstrationen niederzuschlagen. Die Polizei kannte kein | |
Erbarmen: „Es gab viele Tote und noch mehr Verletzte“, erzählt der | |
Anführer. „Wir lassen uns nicht weiter von diesem Regime drangsalieren – | |
wir wehren uns jetzt!“ Dann berichtet er von nächtlichen Verhaftungen. | |
## Gescheiterter Putschversuch | |
Nach dem gescheiterten Putschversuch durch Teile der Armee im Mai hatte | |
Präsident Nkurunziza die Protestler zu Putschisten erklärt und sie mit | |
Terroristen verglichen. Er schickte seine Schergen los, auch nach Musaga. | |
Die Polizisten kamen stets in der Dunkelheit: Hundertschaften mit | |
Geländewagen. Sie gingen von Haus zu Haus, zerrten die Männer in die | |
Fahrzeuge. „Wir haben viele unserer Nachbarn seitdem nie wiedergesehen“, | |
sagt der Anführer. | |
Die Jungen um ihn herum nicken, viele sind noch nicht volljährig. Ihre | |
abgeriegelten Stadtviertel werden jetzt quasi zu Gefängnissen. Die meisten | |
haben sich seit Mai nicht mehr aus Musaga hinausgetraut, aus Angst | |
verhaftet zu werden. Unter ihnen sind Hutu und Tutsi, gleichermaßen. | |
„Dieser Konflikt hat mit Ethnien nichts zu tun, es geht darum, wer für und | |
wer gegen das Regime ist“, sagt der Anführer. Wer ihnen in die rot | |
unterlaufenen Augen blickt, kann den Stress erkennen, unter dem sie stehen: | |
Schlafentzug, Alarmbereitschaft und Todesangst haben Spuren hinterlassen. | |
In Burundi gab es noch nie einen wirklich funktionierenden Rechtsstaat. | |
Doch seitdem Präsident Nkurunziza durch sein Bestreben nach einer illegalen | |
dritten Amtszeit die Verfassung aus den Angeln gehoben hat, rutscht das | |
Land in die Anarchie ab. Bewohner gründen Bürgerwehren, Polizei und | |
Geheimdienst werden zu Feinden erklärt. Irgendwo zwischen diesen Fronten | |
bewegt sich auch das Militär: Das Feuergefecht, das in der Nacht vor den | |
Wahlen am 21. Juli in Musaga zu hören war, hatte sich laut | |
Diplomatenquellen zwischen Militär und Polizei zugetragen. Die Soldaten in | |
der Kaserne am Eingang des Viertels wollten verhindern, dass Polizisten | |
eindringen. Staatszerfall par excellence. | |
Dass die Burundier ihrer eigenen Polizei nicht mehr trauen, hat einen | |
Grund. Jüngst desertierte ein Polizeikommandeur und erklärte im Interview: | |
Viele Polizisten seien Mitglieder der regimetreuen „Imbonerakure“, die | |
übersetzt „die Weitsichtigen“ heißen und in Polizeiuniformen eingesetzt | |
werden. | |
## Abgeriegelte Viertel | |
Sie wurden einst als Jugendarm der Regierungspartei CNDD-FDD | |
(Nationalkomitee/Kräfte zur Verteidigung der Demokratie) gegründet, als die | |
Hutu-Rebellenorganisation sich 2003 zu einer politischen Partei | |
umformierte. Heute sind sie eine gut organisierte Jugendtruppe. In Bussen | |
werden sie quer durchs Land gekarrt. Auf Wahlkampfveranstaltungen | |
marschieren sie im Stechschritt in die Stadien, dann singen und tanzen sie. | |
In jedem Dorf, auf jedem Hügel quer durchs Land sitzen sie am Dorfeingang | |
zu Dutzenden in den offenen Hütten, auf denen die Parteiflagge weht. Sobald | |
Fremde in den Dörfern auftauchen, kommen sie in kleinen Gruppen an, | |
umzingeln das Auto, stellen Fragen. Bis zu 50.000 Mitglieder hat die | |
Jugendpartei angeblich landesweit. „Sie sind einfach überall“, sagt ein | |
Menschenrechtsaktivist, der seinen Namen nicht nennen will. | |
Die Hochburg der Imbonerakure liegt in Kamenge am Stadtrand von Bujumbura. | |
Zahlreiche Partei- und Regierungsmitglieder stammen aus dem Viertel. Nach | |
Kamenge sind auch die Abertausenden Kämpfer zurückgekehrt, nachdem ihre | |
Rebellenchefs entschieden hatten, sie würden politische Parteien gründen. | |
Dies geschah vor rund zehn Jahren mit der CNDD-FDD, die seit den Wahlen | |
2005 mit dem Präsidenten Nkurunziza an der Macht ist. Als 2009 die Miliz | |
FNL – Kräfte der Nationalen Befreiung – ihre Waffen abgab, kehrten viele | |
der 11.000 Kämpfer ebenfalls nach Kamenge zurück. | |
An jeder Straßenecke stehen sie jetzt. Einige tragen Lederhosen und Rastas, | |
andere Goldketten. In der Masse wirken sie selbstbewusst. Tatsächlich haben | |
sie alles im Blick. Journalisten werden sofort umzingelt. Die Hände in die | |
Hüften gestemmt, durchbohren sie einen mit finsterem Blick. | |
## Lederhosen und Rastas | |
Tagsüber hängen die meisten auf dem Fußballplatz herum. Sie haben nichts zu | |
tun, sind arbeitslos, erklärt Bruder Pierre Maniragarura. Der katholische | |
Geistliche leitet das von der italienischen Kirche gegründete Jugendzentrum | |
in Kamenge. Es ist ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche aus allen | |
Vierteln. Doch seit dem Putschversuch sei es leer geworden in den | |
Bibliotheken, den Filmsälen und im Internetcafé. „Wir sehen nur noch die | |
Imbonerakure, die Jugendlichen aus anderen Vierteln trauen sich nicht mehr | |
hierher“, sagt der Geistliche. | |
Fürchtet er, dass die Imbonerakure Gewalt anwenden könnten? „Es sind | |
gewalterfahrene Männer – sie sind leicht zu indoktrinieren“, sagt er. Er | |
macht ein Zeichen, ihm in sein Büro zu folgen. Dort zeigt er auf ein Foto | |
hinter seinem Schreibtisch, das eines 23-jährigen Mitglieds des | |
Jugendzentrums: „Er wurde ermordet.“ | |
Lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen sowie die UNO haben | |
Hinweise, dass die Imbonerakure in den Bergen des Ostkongos trainiert | |
wurden. Die Grenze zum Nachbarland liegt nur einen Steinwurf von Bujumbura | |
entfernt. | |
Der Vorsitzende der Imbonerakure, Denis Karera, streitet diese Vorwürfe ab: | |
„Wir sind eine gewaltlose Jugendpartei“, sagte er Journalisten. Als die taz | |
ihn telefonisch um ein Interview bittet, legt er auf. | |
## Fahnenflucht ganzer Armee-Einheiten | |
Doch die Beweise verhärten sich. Claver Pierre Mbonimpa, der Chef des | |
Menschenrechtsverbands APRODH, sammelt sie: „Die Imbonerakure haben die | |
Polizei ersetzt, der Geheimdienst hat ihnen Waffen ausgehändigt“, sagt der | |
66-Jährige. Sie lungerten auch vor seinem Haus herum. „Ja, das macht mir | |
Angst“, gibt er zu. Sie sind der verlängerte Arm von Nkurunzizas | |
gefürchtetem Sicherheitsapparat, dem er wegen des Putschversuches und der | |
Fahnenflucht ganzer Armeeeinheiten nicht mehr trauen kann. Die Imbonerakure | |
hingegen sind ihm treu ergeben. | |
Ihr Hauptquartier liegt in der berühmtesten Kneipe in Kamenge: „Iwabo wa | |
Bantu“, inmitten des Volkes, heißt sie. Am Eingang prangt ein schwarzer | |
Adler, das Wahrzeichen der CNDD-FDD und der Imbonerakure. Daneben parkt ein | |
schwarzer Geländewagen mit dunkel getönten Scheiben. Soldaten der | |
Präsidentengarde stehen drum herum, mit Raketenwerfern im Anschlag. | |
Der Kneipenbesitzer General Adolph Nshiririmana war bis Ende 2014 | |
Geheimdienstchef. Dann versetzte ihn Nkurunziza in die Präsidialverwaltung, | |
genauso wie General Alain Guillaume Bunyoni, den Expolizeichef. Beide | |
gelten als die eigentlichen Machthaber. In der Nacht nach dem Putschversuch | |
berieten sich die Generäle in Adolphs Bar in Kamenge. | |
## Schwere Waffen | |
Auch für die jungen Männer der Bürgerwehr im Viertel Musaga ist Adolph – | |
vielmehr als der Präsident – der eigentliche Übeltäter. „Er ist der grö… | |
Imbonerakure im ganzen Land“, sagt ihr Anführer. Die anderen nicken und | |
verkriechen sich wieder hinter ihren Barrikaden. Klingen blitzen auf. Was | |
bis zum Putschversuch im Mai eine gewaltlose Protestbewegung war, | |
radikalisiert sich jetzt zunehmend. Wenn die Gewaltspirale sich weiter | |
dreht, steht sich die Jugend von Musaga und die von Kamenge demnächst | |
schwer bewaffnet gegenüber – bereit, sich bis aufs Blut selbst zu | |
verteidigen. | |
30 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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