# taz.de -- Attacken gegen Radsportteam Sky: Urin für ihn | |
> Ein Faustschlag für Rad-Profi Porte, ein Pipi-Anschlag auf Kapitän | |
> Froome. Auf der Tour de France regt sich Unmut, vor allem gegen Team Sky. | |
Bild: Igitigit. Sky-Fahrer Chris Froome wurde mit Urin beworfen. | |
Auch der Radsport hat offenbar ein paar Hooligans. Während der 14. Etappe | |
der Tour de France wurde Chris Froome nach eigenen Angaben mit einem Urin | |
gefüllten Becher beworfen. Das ist nicht schön. | |
Bislang gab es in diesem Sport Rabauken vornehmlich auf Rädern. Legendär | |
die Prügelei zwischen dem Spanier Carlos Barredo und dem Portugiesen Rui | |
Costa nach einer Touretappe im Jahre 2010. Dschamolidin Abduschaparow, der | |
bullige, stets im Stil eines Preisboxers unterwegs gewesene Sprinter aus | |
der verblichenen Sowjetunion, erinnerte sich jüngst in einem Interview in | |
der L’Equipe, wie Rivale Mario Cipollini einmal mit Fäusten auf ihn | |
losgegangen sei. | |
Aber das sind recht wenige Episoden von Gewalttätigkeit, die bislang mit | |
diesem Sport verbunden waren. Auch die Zuschauer, die ihren Idolen im | |
Wettkampf so nah kommen wie in keinem anderen Hochleistungssport, hielten | |
sich meist zurück (bis auf ein paar übereifrige Selbstdarsteller). Wenn am | |
Rande der Straße von Stadionatmosphäre die Rede war, dann meinte dies | |
begeisterte Menschenmengen, die kaum von Polizisten in Schach gehalten | |
werden mussten. Anfeuerung ist im Radsport fast immer positiv; Transparente | |
oder Sprechchöre im Stile von „Sch …ß-Bayern“ sind im Reich der | |
muskelgetriebenen Räder selten. | |
Klar, es gab und gibt Sprüche und Transparente gegen Doping. Da wird auch | |
mal dem einen oder anderen Fahrer Doping zugeschrieben, obwohl es ihm noch | |
nicht nachgewiesen wurde. Das mag im Einzelfall ungerecht sein. Im Zweifel | |
für den Angeklagten, so lautet eine zivilisatorische Grundkonstante, an die | |
sich nicht immer alle erinnern. | |
## Dopst du? | |
Radprofis haben es in der Vergangenheit ihrem Publikum aber auch nicht | |
leicht gemacht, an deren Ehrlichkeit zu glauben. Wie sagte Michael | |
Rasmussen, Exbergkönig, Exgroßdoper und jetzt als Kolumnist einer dänischen | |
Zeitung im Pressezelt der Tour? „Es gibt nur eine Antwort auf die Frage, ob | |
du dopst. Und diese Antwort lautet: ‚Nein.‘ “ | |
Genau, Doping zuzugeben, ist karriereschädigend. Nicht dopen – und trotzdem | |
verdächtigt werden, ist ärgerlich. | |
Ziele des Unmuts werden bei dieser Tour vor allem die Fahrer von Team Sky. | |
Banner mit der Aufschrift „Sky Dopé“ oder „Froome Dopé“ findet man | |
mittlerweile am Rande jeder Etappe. Das fällt noch unter Meinungsäußerung, | |
vergleichbar mit Klischees wie: „Jeder DDR-Bürger war bei der Stasi“ oder | |
„Jeder Sizilianer ist ein Mafioso“. Von Einzelnen wird auf eine ganze | |
Population geschlossen und vom Generalurteil zurück auf den Einzelnen | |
verwiesen. Mindestens zwei logische Fehler sind da mit im Spiel. | |
## Verrohung der Sitten | |
Dass inzwischen Fahrer tätlich angegangen werden – Sky-Profi Richie Porte | |
erhielt einen Faustschlag, dessen Kapitän Chris Froome einen Becher mit | |
Urin –, verweist auf eine Verrohung der Sitten. Das Meuteverhalten, das | |
bisher vor allem in der digitalen Welt der Foren verbreitet war, hat nun | |
die Schwelle zur analogen Welt überschritten. Einen Gang zurückzunehmen, | |
ist hier geboten, am besten in der digitalen wie der analogen Sphäre. | |
Allerdings hat sich Chris Froome weder den optimalen Zeitpunkt für seine | |
Klage noch eine schlaue Analyse der Ereignisse zurechtgelegt. Das Jammern | |
des „weißen Kenianers“ erfolgte ausgerechnet am Mandela Day, dem Ehrentag | |
des Anti-Apartheid-Helden Nelson Mandela, der fast zwei Jahrzehnte auf der | |
Gefängnisinsel Robben Island schmorte. Froome hätte seine Pipi-Klage - bei | |
allem Ärger über die unwürdige Situation – auch auf den Folgetag | |
verschieben können. | |
Dass er die in seinen Augen „verantwortungslose Berichterstattung“ zur | |
Ursache des Angriffs auf ihn erklärt, ist ziemlicher Humbug. Kein Medium | |
dürfte dazu aufgerufen haben. Selbst wenn es doch eines gegeben haben | |
sollte, hat der Urinwerfer den Schritt vom Diskurs zur Tat noch ganz allein | |
vollzogen. Er ist ein Citoye, der sich in der Form seiner Meinungsäußerung | |
schlichtweg vergriff – und mitten in der Transformation zum | |
Radsporthooligan steckt. Das ist ein bitterer Preis, den der Radsport mit | |
seiner infolge einer (gefühlten) Dopingeindämmung wieder anwachsenden | |
Popularität zahlt. Möge wieder jeder seine Körperflüssigkeiten in den dafür | |
vorgesehenen Räumlichkeiten abgeben. | |
19 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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