| # taz.de -- Ukrainischer Linker über Oligarchen: „Ukraine ohne Herren und Sk… | |
| > Fjodor Ustinows „Soziale Bewegung“ hat wenige Mitglieder und Großes vor. | |
| > Sie will die Oligarchen entmachten und eine Partei für Arbeitnehmer sein. | |
| Bild: Ukrainische Soldaten bei der Personenkontrolle an einem Checkpoint im Ost… | |
| taz: Herr Ustinow, Petro Poroschenko ist der beliebteste ukrainische | |
| Politiker. Nach aktuellen Befragungen würden 13 Prozent der Ukrainer dem | |
| Präsidenten ihre Stimme geben – trotz aller Kritik. Sie auch? | |
| Fjodor Ustinow: Natürlich nicht! 13 Prozent sind lächerlich im Vergleich zu | |
| der kolossalen Unterstützung, die er noch vor einem Jahr hatte. Präsident | |
| Poroschenko bleibt ein Oligarch. Er ist in seinem Leben schon Mitglied in | |
| vier völlig verschiedenen Parteien gewesen. Faktisch vertritt Poroschenko | |
| die Ukraine nur noch nach außen. Für die schmerzhaften und gegen die | |
| Bevölkerung gerichteten Reformen steht Premierminister Jazenjuk gerade. | |
| Wäre Poroschenko auch für innere Reformen verantwortlich, würde seine | |
| Popularität gegen null gehen. Ich glaube, jene 13 Prozent sind die | |
| Menschen, die Poroschenko noch eine letzte Chance geben. Die | |
| Desillusionierung ist aber total. | |
| Was sind die Gründe dafür? | |
| Die Parteien unterscheiden sich lediglich durch die Outfits ihrer | |
| Spitzenpolitiker. Der alte Sumpf kommt wieder hoch. Auch die Lebensumstände | |
| verschlechtern sich rapide. Die demokratischen Freiheiten werden | |
| eingeschränkt. Im Moment bietet keine politische Bewegung eine wirkliche | |
| Alternative, und das wird den Menschen immer klarer. Darum die allgemeine | |
| Resignation. | |
| Aber hat der Maidan nicht eine Reihe junger Aktiver auf die politische | |
| Bühne gebracht? | |
| Das stimmt. Der Maidan war wie ein Vulkan, eine Explosion, die viel Energie | |
| freisetzte. Wir haben während des Maidan das Bildungsministerium besetzt, | |
| und der Minister musste auf unsere Forderung hin die „offene Buchhaltung“ | |
| einführen. Seit einem halben Jahr kämpfen wir dafür, dass das Gleiche bei | |
| den Kiewer Verkehrsbetrieben passiert, denn solche Mammutunternehmen | |
| sollten von der Gesellschaft kontrolliert werden. Der Maidan hat ein Heer | |
| von Freiwilligen geboren, ohne das die Armee heute und viele bürgerliche | |
| Initiativen nicht funktionstüchtig wären. Auch neue politische Bewegungen | |
| sind entstanden. Nur unterscheiden die sich leider kaum von den bereits | |
| vorhandenen. | |
| Woran machen Sie das fest? | |
| Ich habe mit allen linken Kräften gesprochen, der ehemaligen | |
| Kommunistischen Partei, die sich heute Linke Front nennt, dem Bündnis der | |
| linken Kräfte, der Sozialistischen Partei. Die meisten agieren nicht | |
| selbstständig, sondern als Marionetten der Business-Elite. Ein Flügel der | |
| Sozialisten hat deshalb angekündigt, in unsere Partei, die Soziale | |
| Bewegung, einzutreten, weil er unsere Ideen teilt. | |
| Was ist an der Sozialen Bewegung anders? | |
| Wir sind nicht mit den Oligarchen, also mit den Arbeitgebern, verbunden. | |
| Wir sind eine Partei der Arbeitnehmer. Laut Statut gibt es Einschränkungen | |
| beim Sponsoring. Das legt uns gewisse Zwänge auf: Entweder wir werden eine | |
| Massenpartei, die sich ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge finanziert, | |
| oder die Partei kann sich ihre Existenz nicht leisten. | |
| Haben Sie westliche Vorbilder? | |
| Am nächsten stehen uns Podemos, Syriza, der portugiesische Linke Block, die | |
| dänische Rot-Grüne Allianz und die türkisch-kurdische HDP. Wir haben | |
| dieselben Schwerpunkte: antikapitalistische und antiautoritäre Politik, | |
| enge Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen, Gender-Gleichheit und | |
| Ökosozialismus. Podemos ähneln uns wegen des niedrigen Durchschnittsalters | |
| der Aktivisten und dem Drang, linke Alternativen zur harten Sparpolitik | |
| anzubieten. Wir machen auch Erfahrungen mit der „digitalen Demokratie“ wie | |
| digitalen Abstimmungen zunutze, die wir uns bei der deutschen Linken | |
| abgeguckt haben. | |
| Aber die Linke in Deutschland ist gerade wegen ihrer uneingeschränkt | |
| prorussischen Haltung in der Kritik … | |
| Soweit ich weiß, betrifft das nur einen Teil der Partei. Wir knüpfen auch | |
| zu anderen linken europäischen Parteien Kontakte, ungeachtet ihrer | |
| Positionen zu Russland. Die europäische Linke befindet sich ja selbst in | |
| einer Krise, darum ist sie für uns nicht der Heiland. Außerdem ist unsere | |
| Situation sehr speziell. Wir werden einen eigenen Weg gehen müssen. Vor | |
| zwei Wochen fand in Kiew die Gründungsversammlung der Sozialen Bewegung | |
| statt, die sieben Stunden dauerte. | |
| Was ist Ihr Programm? | |
| Wir wollen die bestehenden Offshore-Verträge aufkündigen und so verhindern, | |
| dass alles Kapital abwandert. Das gehört zu unseren zentralen Anliegen | |
| ebenso wie eine De-Oligarchisierung der Wirtschaft. Der aktuelle | |
| wirtschaftliche Kollaps der Ukraine ist eine Folge dieses Übels. Wir | |
| fordern die Vergesellschaftung von Großbanken und Unternehmen, die Tilgung | |
| der Außenschulden der Ukraine, direkte Demokratie, die Einführung einer | |
| Frauenquote – die versuchen wir auch in unserer Parteiliste einzuhalten. | |
| Das ist bisher aber nur ein fernes Ziel. Außerdem wollen wir das | |
| parlamentarische Regierungssystem beseitigen und die Macht an Vertreter der | |
| Betriebskollektive und Gemeinden übergeben. Wir wollen eine Massenbewegung | |
| auf den Wege bringen, die unser Programm zum Kriterium für Gerechtigkeit in | |
| der ganzen Gesellschaft macht. | |
| Was verspricht die Soziale Bewegung den Menschen konkret? | |
| Kostenlose Bildung und Medizin zum Beispiel. Stichwort Steuerprogression. | |
| Wie kommen solche Ideen in der Bevölkerung an? | |
| Die Postmaidan-Gesellschaft steckt in einer Sackgasse. Einerseits machen | |
| sich eine antikommunistische und populistische Stimmung breit. Andererseits | |
| besteht angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage eine Nachfrage | |
| nach sozialer Gerechtigkeit. Die Maidan-Rhetorik wurde im Wesentlichen von | |
| rechts geprägt. Die linke Idee muss erst noch in Worte gekleidet werden. | |
| Die neue Linke will also die Nische zwischen Kommunisten und Rechtem Sektor | |
| ausfüllen? | |
| Ich glaube, die Ereignisse des vergangenen Jahres haben alle traditionellen | |
| politischen Kriterien außer Kraft gesetzt. Wenn man sich Kommunisten und | |
| Rechte genau anschaut, stellt man fest, dass beide für die gleichen | |
| patriarchalen konservativen Werte eintreten, für einen starken Staat und | |
| die Einschränkung der Demokratie. Der einzige Unterschied ist, dass die | |
| Kommunisten sowjetische und die Rechten nationalistische Chauvinisten sind. | |
| Wir sind die Einzigen, die mit Oligarchen und dem politischen Establishment | |
| nichts am Hut haben. Wir sind wesentlich linker als jeder von denen. | |
| War der Rechte Sektor nicht ausschlaggebend für den Euromaidan? | |
| Am Anfang war er als am besten organisierte Kraft der Maidan-Bewegung | |
| tatsächlich unentbehrlich. Manche Aktionen, wie das Erzwingen der | |
| Entschädigungen für die Familien der Maidan-Gefallenen oder Gewaltaktionen | |
| gegen bezahlte Schläger und korrumpierte Angestellte, waren linker als die | |
| Aktionen meiner linken Freunde. Das muss ich zugeben. Zudem haben sich dem | |
| Rechten Sektor anfangs viele demokratisch Gesinnte angeschlossen mit der | |
| Absicht, konkrete Probleme in ihrem Haus, Dorf oder Viertel zu lösen. | |
| Inzwischen hat sich der Rechte Sektor etabliert. Die konservative Rhetorik | |
| und Politik nimmt überhand. Dass er nun in die Nationalgarde integriert | |
| wird, finde ich gefährlich. | |
| Was ist Ihr Traum für die Ukraine? | |
| Der lässt sich mit dem Worten des ukrainischen Dichters Iwan Franko | |
| beschreiben: eine Ukraine ohne Herren und Sklaven. | |
| 18 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jarina Kajafa | |
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