# taz.de -- Deutschland im WM-Halbfinale: Dominieren heißt nicht gewinnen | |
> Nach dem Spiel bleibt: Die Französinnen spielten spanisch, allein es | |
> fehlten die Tore. Die deutsche Kampfmaschine kam nicht in die Gänge. | |
Bild: Entscheidende Szene, aber verloren haben die Französinnen die Partie wä… | |
Montreal taz | Wäre im Stade Olympique nicht kurz nach Ende des | |
Elfmeterschießens das gewohnt laute Fifa-Musikprogramm in die Halle | |
gespielt worden, es hätte gespenstische Ruhe geherrscht. Zwar feierten auf | |
dem Platz die deuschen Spielerinnen und die angereisten deutschen Fans | |
jubelten ihnen zu. Doch die Mehrheit des Stadions im französischsprachigen | |
Montréal hatte das deutsche Team vorher ausgebuht und war in ähnlicher | |
Schockstarre wie die französischen Spielerinnen. | |
„Ein Spiel zu dominieren heißt nicht, dass man es auch gewinnt“, zog der | |
Trainer der Französinnen, Philippe Bergeroo, die bittere Bilanz. Die | |
Französinnen machen einen auf Spanier, könnte man sagen. Sie spielen | |
schönen Ballbesitzfußball, sie kombinieren, sie spielen kurze Pässe, sie | |
sind schnell und zweikampfstark. Was fehlt, sind die Tore. „Unser Problem | |
ist die Effektivität“, so Bergeroo. Tatsächlich sind die Französinnen zwar | |
erst im Elfmeterschießen gescheitert. Aber nicht für Bergeroo: „Das Spiel | |
haben war damit verloren, dass wir die drei oder vier Möglichkeiten, die | |
wir hatten, nicht genutzt haben.“ | |
Dem Trainer war deutlich anzumerken, dass es der Horror gewesen sein muss, | |
nach dem Spiel in die Umkleidekabine zu seinen Spielerinnen zu gehen. | |
Mehrmals betonte er, wie schwer es gewesen war, mit ihnen zu sprechen. Noch | |
auf dem Platz brachen einige Spielerinnen in regelrechte Weinkrämpfe aus, | |
anderen stand der Schrecken im Gesicht. Kapitänin Wendie Renard, die den | |
deuschen Stürmerinnen keinen Zentimeter Platz gelassen hatte, fand dann | |
aber doch die Worte, die alle hören wollten: „Wir können uns alle in die | |
Augen gucken. Wir haben alles gegeben und es verdient, weiterzukommen.“ | |
Das Team von Silvia Neid hatte es nicht geschafft, die nach ihrem | |
überragenden Spiel gegen Südkorea leicht favorisierten Französinnen vorher | |
spielerisch unter Kontrolle zu bringen. Im Gegenteil: Die Französinnen | |
machten das Spiel. Das bessere. | |
## „Wir sind nur noch im Dreieck gelaufen“ | |
Auch die deuschen Spielerinnen und Trainerin Silvia Neid waren sich dessen | |
bewusst. „Wir sind nur noch im Dreieck gelaufen“, sagte Babette Peter, die | |
für die gesperrte Verteidigerin Saskia Bartusiak gespielt hatte. „Wir waren | |
in der ersten Halbzeit zu ängstlich und vielleicht auch ein bisschen | |
beeindruckt“, kommentierte Célia Sasic, die zwei Elfmeter eiskalt | |
verwandelte, sonst aber überhaupt nicht ins Spiel kam. | |
„Frankreich ist aus unserer Sicht eine wahnsinnsgute Mannschaft. Für | |
Frankreich war es sicher ein sehr gutes Spiel. Für uns war es kein gutes | |
Spiel“, sagte Neid und hörte sich dabei fast an als müsste sie eine | |
Niederlage ihres eigenen Teams kommentieren. „Ich hatte schon Bedenken, vor | |
allem als das 1:0 fiel. Gute Hoffnung hatte ich, fühlte mich aber nicht so | |
sicher, dass ich dachte: Jaja, wir schaffen das schon.“ Ihrem Gesicht sah | |
man noch während des Spiels und sogar nach dem Anschlusstreffer zum 1:1 | |
durch den Elfmeter von Sasic an, dass ihre Mädels gerade vorgeführt werden. | |
Die berüchtigte deutsche Kampfmaschine kam nicht in die Gänge. | |
„Man kann schon sagen, dass wir mit Glück gewonnen haben“, sprach | |
Verteidigerin Annike Krahn aus, was die Wahrheit ist. „Aber das ist mir | |
jetzt scheißegal. Wenn die den da nicht reinmachen, kann ich ihnen auch | |
nicht helfen.“ Annike Krahn ist neben Nadine Angerer die letzte, die sich | |
irgendetwas vorwerfen lassen muss. Geholfen hat Annike Krahn, die bei Paris | |
Saint Germain spielt, vor allem ihrem eigenen Team. Ohne ihre wuchtigen, | |
beherzten und hellwachen Abwehrreaktionen hätte man Silvia Neid bei ihrer | |
letzten Pressekonferenz bei einer Weltmeisterschaft erlebt. | |
„Wir haben uns in der zweiten Halbzeit reingekämpft und es bis ins | |
Elfmeterschießen geschafft“, sagte sie stattdessen. Dass es eine Leistung | |
ist, als Weltranglistenerste ins Elfmeterschießen zu kommen, wer hätte das | |
vor dieser WM gesagt? | |
## Stammtischgespräche | |
Vor dieser WM wurde in Stammtischgesprächen darauf gewettet, dass in Kanada | |
der Torrekord purzeln würde. Man hatte mit etlichen hohen Ergebnissen | |
gerechnet, weil die WM der Frauen erstmals mit 24 Teams ausgetragen wird | |
und unterstellt, dass ein krasses Niveaugefälle herrschen würde. Wer darauf | |
gewettet hat, kann seine Wettscheine jetzt schon wegschmeißen. Mit einem | |
Torrekord wird diese WM wohl nicht in die Fußballgeschichte eingehen. | |
Teilt man die Bilanz aller Beteiligten vor Ort, dann liegt das daran, dass | |
sich das Niveau im Frauenfußball weltweit angeglichen hat. Das | |
Viertelfinale zwischen Deuschland und Frankreich ist ein weiterer Beleg für | |
diese These und hat jetzt schon Geschichte gemacht: Noch nie musste der | |
Weltranglistenerste während einer WM in ein Elfmeterschießen. | |
Man kann nur hoffen, dass sich dieses Spiel für die Französinnen nicht als | |
ein weiteres Trauma in ihre mentale Geschichte einschreibt. Am Ende aber | |
hat ihr Trainer Belgeroo noch die in diesem Moment wirklich erlösenden | |
Worte gefunden: „Man muss es aber auch mal runterbringen: Es ist nur ein | |
Spiel.“ Die Spielerinnen würden jezt erstmal Urlaub machen und mit einer | |
Lektion nach Hause fahren, dass sie das Tore schießen üben müssten. | |
Für die Deutschen gilt dasselbe. Außer, dass sie frühestens am Dienstag | |
nach Hause fahren müssen. Dann findet in Montréal das Halbfinale gegen die | |
USA statt. Die haben zwei Dinge: Hope Solo im und Killerinstinkt vor dem | |
Tor. | |
27 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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