# taz.de -- Europa-Spiele in Aserbaidschan: Ringen um den Doppelsieg | |
> Armeniens Sportler werden bei der finsteren Sport-Party in Baku | |
> ausgepfiffen. Gewinnen sie eine Medaille, ist ihnen Ruhm in der Heimat | |
> gewiss. | |
Bild: Reizender Stoff: Die armenische Fahne bei der Eröffnungsfeier in Baku. | |
Es war ein rauschender Empfang, der dem neuen armenischen Sporthelden am | |
Dienstag bereitet wurde. Der Ringer Migran Arutjunjan hatte die erste | |
Medaille für sein Land bei den Europa-Spielen in Baku, der Hauptstadt des | |
verfeindeten Nachbarlands Aserbaidschan, gewonnen. Zurück in Armeniens | |
Hauptstadt Jerewan wurde er unter großem Jubel begrüßt und mit einem | |
schicken Lorbeerkranz geschmückt. | |
Ein Erfolg in Baku ist aus Sicht vieler Armenier ein Doppelsieg – gegen den | |
sportlichen Gegner und gegen das Publikum. Nach seiner Heimkehr berichtet | |
Silbermedaillengewinner Arutjunjan: „Während der Kämpfe der armenischen | |
Athleten schreit und pfeift das Publikum in Baku.“ | |
Schon bei der Eröffnungsfeier am vergangenen Freitag war das armenische | |
Team gnadenlos ausgepfiffen worden. Kein Wunder, dass sich in Armenien | |
viele Fernsehzuschauer besonders für jene Wettkämpfe begeistern, in denen | |
armenische Sportler aserbaidschanischen Athleten gegenüberstehen. | |
Die beiden Länder befinden sich im Krieg. Der Konflikt um die mehrheitlich | |
von Armeniern bewohnte autonome Region Berg-Karabach war im Jahre 1988 im | |
Zuge des Zerfalls der Sowjetunion ausgebrochen. Patrick Hickey, der Chef | |
des Europäischen Olympischen Komitees (EOC), wähnt sich vor diesem | |
Hintergrund beinahe schon als Friedensengel, weil es gelungen ist, Armenien | |
davon zu überzeugen, eine Mannschaft zu den Spielen nach Baku zu schicken. | |
## Die größten Feinde Aserbaidschans | |
Ob die armenischen Sportler nach Baku reisen sollten, wurde lang und heftig | |
diskutiert. So war es auch 2012, als Aserbaidschan Gastgeber des Eurovision | |
Song Contest (ESC) war und es um die Frage ging, ob Armenien seinen | |
Vertreter ins verfeindete Nachbarland entsenden sollte. | |
Es wurden damals vor allem Sicherheitsfragen diskutiert. Aserbaidschan | |
hatte der armenischen Delegation zwar Sicherheitsgarantien gegeben, | |
andererseits erklärte aber Staatschef Ilham Alijev, wenige Tage vor dem | |
Wettbewerb, dass Armenier die größten Feinde Aserbaidschans seien. Armenien | |
sagte daraufhin seine Teilnahme am Song Contest ab. | |
In diesem Jahr nun hat Armenien eine Delegation nach Baku geschickt. Im | |
Vorfeld stand erneut die Frage im Mittelpunkt, wie Aserbaidschan die | |
Sicherheit der armenischen Sportler und Betreuer gewährleisten kann. Das | |
Gastgeberland hat sowohl dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) als | |
auch dem EOC Sicherheitsgarantien gegeben. Doch in Armenien wird das Risiko | |
für die verreisten Athleten dennoch als hoch eingeschätzt. | |
Die armenische Delegation hat deshalb einen speziellen Reiseplan | |
entwickelt. Die Sportler fliegen in kleinen Gruppen über die georgische | |
Hauptstadt Tiflis nach Baku und, so schnell es geht, wieder zurück. Wegen | |
der bestehenden Sicherheitsbedenken verbringen sie keinen zusätzlichen Tag | |
in Baku, sondern verlassen die Stadt unmittelbar nach ihren Wettkämpfen. | |
Insgesamt nehmen 25 Sportler aus Armenien an den Europaspielen teil. Sie | |
vertreten sechs Sportarten: Ringen, Boxen, Judo, Schießen, Taekwondo und | |
Sambo, einem zu Sowjetzeiten entwickelten Kontaktkampfsport. | |
## Weltmeister reisten nicht an | |
Doch nicht jeder Sportler möchte nach Baku reisen. Zwei prominente | |
armenische Athleten sind zu Hause geblieben: Arsen Julfalakjan und Artur | |
Aleksanjan. Beide sind amtierende Weltmeister im Ringen, der eine im | |
Welter-, der andere im Halbschwergewicht. Bei den Olympischen Spielen in | |
London 2012 hat Ersterer Silber gewonnen, der andere Bronze. | |
Julfalakjan glaubt zu wissen, was ihn in Aserbaidschan erwartet hätte. 2007 | |
war er nach Baku gereist, um an den Weltmeisterschaft der Ringer | |
teilzunehmen. „Die Bedingungen waren sehr schlecht, man fühlte sich | |
gefangen“, erinnert er sich. Er ist einer der wenigen Armenier, die | |
Erfahrungen mit Reisen in das Nachbarland haben. Nach einem Entscheid der | |
aserbaidschanischen Regierung unter Präsident Alijev wird Armeniern | |
grundsätzlich die Einreise nach Aserbaidschan verweigert. | |
Der armenische Oppositionspolitiker Tevan Poghosjan, der die Partei „Erbe“ | |
vertritt und in Jerewan im Auswärtigen Ausschuss des Parlaments sitzt, | |
gehört ebenfalls zu den wenigen Armeniern, die schon einmal nach Baku | |
reisen durften. Im Rahmen eines Nato-Seminars hat er das Nachbarland | |
besucht – seinem Bericht zufolge „unter strenger Kontrolle und isoliert“. | |
Trotzdem hält Poghosjan das, was er als Public Diplomacy bezeichnet, für | |
sehr wichtig, was die Normalisierung der Beziehung zwischen Armenien und | |
Aserbaidschan betrifft. | |
Für Poghosjan stellt die Sportdiplomatie einen wichtigen Baustein in | |
möglichen Verhandlungen mit Aserbaidschan dar. „Wir haben keine Angst vor | |
Verhandlungen und unsere Sportler waren und sind bereit, uns vor dem | |
aserbaidschanischen Publikum zu vertreten. Doch die aserbaidschanische | |
Gesellschaft kann den Sieg von Armeniern in Baku nicht tolerieren“, sagte | |
Poghosjan der taz. Aserbaidschanische Medien verbreiteten weiter Hass auf | |
Armenier, was zeige, wie stark der Nationalismus das Land präge. | |
Für ihn stelle sich eine grundsätzliche Frage: „Wie kann es sein, dass die | |
ersten europäischen Spiele in einem Land stattfinden, in dem jeden Tag | |
europäische Werte wie Menschenrechte und Meinungsfreiheit verletzt werden, | |
wo Journalisten im Gefängnis sitzen und Fremdenfeindlichkeit Staatspolitik | |
ist?“ Poghosjan gibt sich die Antwort selbst: Die Europäische Union | |
toleriere all das wegen des aserbaidschanischen Öls, der Gasvorräte und der | |
Kaviardiplomatie des Landes. | |
Der Oppositionspolitiker wünscht den armenischen Sportlern jedenfalls viel | |
Erfolg in Baku. Dort wird es am 22. Juni noch mal spannend – und wohl auch | |
besonders angespannt. An diesem Tag reisen der Sambo-Europa- und | |
Weltmeister Aschot Danieljan und die Bronzemedaillengewinnerin dieser | |
Disziplin, Sose Balasanjan, zum Wettkampf in die Arena. Beide kommen aus | |
Berg-Karabach. | |
18 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Tigran Petrosyan | |
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