# taz.de -- Europaspiele 2015: Schmutziges Feuer | |
> Das europäische Megaevent „Europaspiele“ wird im aserbaidschanischen Baku | |
> eröffnet. Menschenrechte und Pressefreiheit bleiben ausgesperrt. | |
Bild: Aufmarsch für das Sportfest: Sicherheitskräfte in Baku. | |
Berlin taz | Es ist angerichtet. Das europäische Sportfeuer ist in Baku | |
angekommen. Am Freitag wird es im nagelneuen Olympiastadion der Hauptstadt | |
ankommen. Dann kann es losgehen, jenes irrwitzige Sportfest, das sich die | |
Spitzenfunktionäre des europäischen Sports ausgedacht haben. | |
Zum ersten Mal wird es Europaspiele geben. Weit über eine Milliarde Euro | |
hat das Land für die Sportstätten und die Errichtung des Athletendorfs | |
ausgegeben. Nun strahlen die neuen Fassaden Vorfreude auf das Großereignis | |
aus. Die freie Presse ist ausgeschaltet. Menschenrechtsaktivisten und | |
kritische Journalisten sitzen im Knast. Staatspräsident Ilhan Alijew und | |
sein Frau Mehriban, die Chefin des Organisationskomitees der Spiele, sind | |
stolz. | |
Nicht einmal Patrick Hickey, der Präsident des Europäischen Olympischer | |
Komitees und oberster Promoter einer kontinentalen Olympiade, kann so recht | |
erklären, was das Ganze eigentlich soll. Irgendwie habe er sich nach dem | |
Olympischen Spielen 2008 in Peking gedacht, dass es so nicht weitergehen | |
kann mit dem europäischen Sport, erklärte er der New York Times. Weniger | |
als die Hälfte der Goldmedaillen seien an Europäer gegangen. „Es gab keinen | |
Europasinn“, hat er festgestellt, keine „europeanness“, wie er es | |
ausgedrückt hat. Das soll sich nun ändern mit den Spielen in Baku. | |
## Autokrat Alijew | |
Die Proteste von Menschrechtsorganisationen wie Amnesty International oder | |
Reporter ohne Grenzen gegen die Zustände im Land hat er wohl zur Kenntnis | |
genommen. Er hält sie für nicht viel mehr als Protestfolklore. „Je näher | |
die Spiele kommen, desto mehr Protest gibt es“, sagt er. Vor Beginn der | |
Spiele in Peking sei das auch nicht anders gewesen. | |
Bei der Vergabe der Spiele in das Land von Präsident Ilham Alijew hat die | |
Menschenrechtssituation im Land eh keine Rolle gespielt. Aserbaidschan war | |
der einzige Kandidat, der zugesichert hat, ein Spektakel für über 6.000 | |
Sportler zu stemmen. Weil Öl und Gas reichlich sprudeln im Land und vor der | |
Küste im Kaspischen Meer, spielte Geld nie eine Rolle – sogar die | |
Anreisekosten der Teams werden übernommen. Außerdem, so der irische | |
Multifunktionär Hickey: „Wir sind nicht der Weltpolizist.“ | |
Michel Forst, der Berichterstatter der Vereinten Nationen zur | |
Menschenrechtslage in Aserbaidschan, würde die üblichen | |
menschenfreundlichen Sportworthülsen gerne wörtlich genommen wissen. „Als | |
Gastgeber der Spiele wäre es nur zu natürlich für die Regierung von | |
Aserbaidschan, ihr Einverständnis mit den Regeln von Fairness und | |
Olympischen Geist dadurch zu zeigen, dass diejenigen freigelassen werden, | |
die wegen ihres Einsatzes für Menschenrechte um ihre Freiheit gebracht | |
wurden.“ | |
In einer Stellungnahme, die er Anfang Juni verschickt hat, verurteilt er | |
die Praxis des Staates, Menschenrechtler nach offensichtlich ersonnenen | |
Anklagen wie Hochverrat, illegalen Geschäften oder Steuervergehen jahrelang | |
wegzusperren. | |
## Einreiseverbot für Amnesty | |
Die Hoffnung, dass sich die Menschenrechtslage in unmittelbarer zeitlicher | |
Nähe zu den Europaspielen verbessern würde, hat sich längst zerschlagen. So | |
wollte Amnesty International in Baku eine Pressekonferenz zur | |
Menschenrechtslage im Land abhalten. Doch den Mitarbeitern wurde die | |
Einreise verwehrt. Am Dienstag wurde die englische Aktivistin Emma Hughes | |
am Flughafen von Baku festgehalten. | |
Sie wollte für die britische NGO Platform gegen das Engagement des Ölmultis | |
BP in Aserbaidschan protestieren. BP, Hauptsponsor des Großevents, ist seit | |
20 Jahren der wichtigste Partner des Landes beim Ausbeuten der riesigen Öl- | |
und Gasvorkommen im Land und schert sich traditionell wenig um die | |
Menschenrechtssituation. | |
Die wird gerne auch dann nur am Rande verhandelt, wenn es um die | |
wirtschaftlichen Beziehungen zu Aserbaidschan geht. Wenn der staatliche | |
Energiekonzern Socar, der eigentliche Finanzier der Spiele, europäische | |
Politiker einlädt, dann wird um die Wette gestrahlt, so wie es EU-Kommissar | |
Günther Oettinger und CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder getan haben, als | |
sie sich vor gut einem Jahr über das große Pipelineprojekt von Baku nach | |
Norditalien bei Socar informiert haben. Am Ende könnte es sein, dass Baku | |
für Europa zu wichtig wird, um von hoher Stelle Diskussionen über den | |
Umgang mit Meinungs- und Pressefreiheit anzustoßen. | |
Und auch für den Sport wird Aserbaidschan ein immer wichtigerer Partner. | |
Socar gehört zu den Großsponsoren der Europäischen Fußballunion Uefa und | |
wird sich bei der anstehenden U21-EM in Tschechien zum ersten Mal groß | |
präsentieren. Aserbaidschan sponsert auch den spanischen Vorjahresmeisters | |
Atlético Madrid. | |
## Brief an Sponsoren | |
Der britische Ölkonzern BP, der wichtigste Partner von Socar, ist ebenso | |
wie die anderen Sponsoren der Spiele, Coca-Cola, Procter&Gamble, | |
McDonald’s, Nestlé, Motorola und Tissot, Adressat eines offenen Briefes der | |
Organisation Reporter ohne Grenzen, in dem die Konzerne aufgefordert | |
werden, die Freilassung inhaftierter Journalisten zu fordern. | |
Auch der Deutsche Olympische Sportbund wurde gebeten, eine solche Forderung | |
zu formulieren. Dessen Präsident, Alfons Hörmann, meinte dazu, man müsse | |
„die Chance solcher Spiele nutzen, um auf die unbefriedigenden und – je | |
nach Thema – inakzeptablen Situationen hinzuweisen“. Bemerkenswert in | |
diesem Zusammenhang ist die unmissverständliche Äußerung von Christian | |
Schreiber, dem Athletensprecher im DOSB, der eine Freilassung aller | |
politischen Gefangenen gefordert hat. | |
Unmissverständlich sind auch die Anträge zur Menschenrechtslage in | |
Aserbaidschan, die dem deutschen Bundestag zur Eröffnung der Spiele in Baku | |
heute zur Abstimmung vorgelegt werden. Dabei ist der Antrag der | |
Regierungsfraktionen ebenso deutlich wie jener der Grünen, und doch | |
unterscheidet er sich in einem entscheidenden Punkt vom Oppositionsantrag. | |
Im CDU/CSU/SPD-Antrag werden die Europaspiele mit keinem Wort erwähnt. Die | |
Trennung von Sport und Politik, von der auch die großen Sportverbände so | |
gerne reden, findet hier seine Fortsetzung. | |
Beinahe hat man den Eindruck, der Sport solle hier aus seiner Verantwortung | |
entlassen werden. Die Grünen dagegen fordern, einen „internationalen | |
Politikrahmen für Sport- und Menschenrechte“ zu initiieren, der in einer | |
Veränderung der Vergabekriterien für Großveranstaltungen münden soll. | |
## Niederlande will nicht mehr | |
Doch so weit ist es noch lange nicht. Gut möglich auch, dass sich Hickeys | |
Prophezeiung bewahrheitet und die Kritik an Aserbaidschan leiser wird, wenn | |
Turnsohn Fabian Hambüchen erst einmal die deutsche Fahne durch das | |
Olympiastadion getragen hat. Zu sehen ist das Spektakel in Deutschland bei | |
Sport1. | |
Der Spartensender lässt auf Anfrage mitteilen, dass er sich in einem | |
Hintergrundgespräch mit Reporter ohne Grenzen zur Lage in Aserbaidschan | |
informiert habe, und verspricht, „unter anderem die Erfahrungen unseres | |
Redaktionsteams im Gastgeberland im Rahmen unserer Berichterstattung | |
wiedergeben“ zu wollen. In erster Linie will der Münchner Sender, der | |
wahrlich nicht für kritische Berichterstattung steht, Sportbilder | |
präsentieren und das „Programmportfolio“ in Richtung Olympische Sportarten | |
erweitern. | |
Sicherlich würde Sport1 auch gerne von den nächsten Europaspielen | |
berichten. Wo diese stattfinden werden, ist seit Mittwoch wieder äußerst | |
ungewiss. Die Niederlande, die den Zuschlag erhielten, wollen nun doch | |
nicht mehr. Patrick Hickey ist natürlich enttäuscht und ist doch überzeugt, | |
„dass die ersten Europaspiele in Baku eine ideale Demonstration für dieses | |
Event werden. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir einen starken | |
Gastgeber für 2019 finden“. Wir sind gespannt. | |
12 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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