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# taz.de -- Sportgroßereignisse in Aserbaidschan: Der Sport lässt Sowetski st…
> Wie Aserbaidschan mit Europaspielen und der Formel 1 groß rauskommen
> möchte. Und wer dabei in der Hauptstadt verliert.
Bild: Bolide trifft Baku: Mit Megasportevents soll Aserbaidschans Hauptstadt zu…
BAKU taz | Holz schlägt auf Holz, Würfel fallen, Spielsteine werden schnell
über das große Brett geschoben. Das Brett steht auf einem klapprigen
Campingtisch auf der schmalen Vidadi-Straße im Bakuer Stadtteil Sowetski.
Riesige Jeeps schlängeln sich daran vorbei, die Fahrer hupen, grüßen,
ärgern sich.
Die Männer spielen Nerd – die aserbaidschanische Variante von Backgammon.
Etwa zehn Männer stehen und sitzen um die zwei Spieler herum. Sie
kommentieren oder telefonieren und schlürfen den brühheißen Tee aus
birnenförmigen Gläsern. „Nun gut – na, ja … Wir wollen nicht, dass es
niedergerissen wird. Es ist im Zentrum der Stadt. Wir wollen das nicht“,
sagt Eldar ohne aufzublicken. Er sei hier geboren und aufgewachsen, seit 50
Jahren wohne er hier. Schon sein Urgroßvater lebte hier in Sowetski. Seine
Söhne gehören zur letzten Generation, die hier gelebt haben wird.
Sowetski, benannt nach der großen Hauptstraße, welche das Viertel im Norden
begrenzt, liegt unweit des Stadtzentrums. Seine Gebäude und Bewohner,
passen nicht zum Rest des Stadtkerns, sie passen nicht zu dem, was Baku
sein will: schick, modern, repräsentativ. Das ölreiche Land am Kaspischen
Meer investiert stark in sein Image. 2012 fand der Eurovision Song Contest
in Baku statt, im Juni 2015 wird Aserbaidschan Gastgeber der allerersten
Europaspiele sein. Andere Kandidaten gab es ohnehin nicht. Außerdem sollen
2016 ein Formel-1-Grand-Prix und 2020 drei Gruppenspiele sowie das
Viertelfinale der Fußball-EM in Baku ausgetragen werden.
Aktuell bieten die Europaspiele einen Anlass das Land im besten Licht zu
präsentieren – und eine Ausnahmesituation, die alle Eingriffe rechtfertigt.
Die Welt soll auf Baku blicken und es bewundern.
## 10.000 Familien sollen gehen
Sowetski soll eine 50 Hektar große grüne Lunge Bakus werden. Die
Stadtverwaltung argumentiert mit schlechter Bausubstanz und mangelhaften
hygienischen Bedingungen. Wegen illegal gebauter eingeschossiger Häuser,
engen Gassen, schlecht verlegten Leitungen, Müll in den Straßen und
Ungeziefer soll das Viertel unattraktiv sein. Hinzu kommt der Ruf des
Viertels als geschlossene Gemeinschaft mit mafiösen Strukturen, in das sich
schon zu Sowjetzeiten niemand Außenstehendes hineingewagt hätte.
Laut Azeri-Press Agency (APA) wohnen in dem Viertel Sowetski 10.000
Familien. Manche, wie Eldar, seit mehreren Generationen. Andere sind in den
letzten 20 Jahren vom Land hergezogen: Hier gab es bezahlbaren Wohnraum.
2011 hatte die Stadtverwaltung Bakus beschlossen, die Häuser abzureißen und
den Bewohnern eine Kompensation von 1.500 Manat, etwa 1.700 Euro, pro
Quadratmeter anzubieten. Das ist zu wenig angesichts des
Durchschnittspreises für einen Quadratmeter Wohnfläche in dieser zentralen
Lage von etwa 4.500 Euro.
Baku gibt sich gerne als moderne Metropole: Grünanlage, renovierte Gebäude,
Park, Einkaufszentrum, Meer, Glaspalast, Fontäne und wieder Grünstreifen.
Zwischen allem immer wieder geometrisch genau bepflanzte Blumenkästen an
den Straßenlaternen. „Aus Deutschland seid ihr, dann gefällt euch sicher,
wie zivilisiert unsere Stadt ist. Wie ordentlich!“ bewirbt der Taxifahrer
die Hauptstadt Aserbaidschans. Baku soll mit Dubai und Wien mithalten. Am
besten mit beiden gleichzeitig.
## „Stadt der sauberen Seen“
Die Straße, in der die Männer Nerd spielen, führt auf den Winterpark zu.
Nach 300 Metern entlang von eingeschossigen Häusern, spielenden Kindern,
Auto waschenden jungen Männern und Teppich klopfenden Frauen erreicht man
den Besmertebe-Platz. Dieser Ort erlangte auch international traurige
Berühmtheit als 2011 dort sieben Hektar Wohngebiet dem Park weichen
mussten. Um Proteste einzudämmen, wurden die Häuser schnell geräumt und mit
dem Abriss begonnen – teils lebten da dortnoch Bewohner. Der Winterpark
wurde anlässlich des Eurovision Song Contests in 2012 errichtet.
Aserbaidschans Präsident Ilham Alijev twitterte vor Kurzem: „Baku ist heute
eine Stadt der Parks und Plätze, und in Zukunft wird Baku eine Stadt der
sauberen Seen werden.“ Zu deutschen Kanzlerin Angela Merkel sagte er, als
er sie in Berlin traf: „90 Prozent der Bürger unterstützen mich.“
Ob es denn nicht schon genug Parks gäbe, fragt Hüseyn, ein junger Student.
Seine Hand zeigt auf eine Art überdimensionierte Verkehrsinsel.
Symmetrische Wege und Blumenbeete, umzäunte Rasenflächen. Rechts und links
des 100 Meter breiten und etwa 700 Meter langen Streifens führen
fünfspurige Straßen. In der Mitte des Streifens Statuen und Fontänen.
Kinder fahren in Elektroautos für einen Manat, umgerechnet einen Euro, pro
zehn Minuten, in dem offenen Café sitzen Männer, trinken Tee und rauchen
dünne Zigaretten. Ein Mann mit leuchtend grüner Weste besprenkelt die
kurzen Grashalme. „Betreten verboten“, auch ohne Schild. Ein kleiner Junge
läuft darauf und wird verjagt. Jeder Grashalm ist ein Erfolg gegen die
Natur, den trockenen, sandigen Halbwüstenboden der Abseron-Halbinsel.
## Unerwartete Abrisspause
All das – die Bauprojekte, die Instandhaltung der Gebäude und Parks, aber
auch der gesunkene Ölpreis zehren an den Staatsfinanzen Aserbaidschans. Der
Abriss der Häuser in Sowetski ist zur Hälfte vollzogen, ruht aber zur Zeit.
Offiziell heißt es, es gäbe bürokratische Schwierigkeiten. Der
Wirtschaftsexperte Natig Jeferli äußerte jedoch in der Zeitung Azad Xeber,
dass die unerwarteten Mehrausgaben – insgesamt in Millionenhöhe – zur
Abrisspause geführt hätten.
Die Männer in Sowetski bekommen von alldem wenig mit. Oder sie haben sich
schon damit abgefunden. Sie werden noch einige Partien spielen und dann
müssen sie wegziehen. Eldar hatte Glück: Von dem Geld, das er bekommt, kann
er sich eine kleine Wohnung am Stadtrand leisten. Sein Gegenspieler Ferid
bekommt fast nichts, weil er sein Haus illegal erweitert hat und weniger
Quadratmeter angegeben hatte. Er wird mit seiner Frau, seinen Eltern und
Kindern zur Schwester ziehen. Und dann? „Dann werden wir sehen. Aber
erstmal gewinne ich noch ein paarmal gegen diesen Lump hier.“
29 May 2015
## AUTOREN
Duska Roth
## TAGS
Baku
Aserbaidschan
Formel 1
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Aserbaidschan
Baku
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