# taz.de -- ARD-Koordinator über Musikwettbewerb: „Man muss den ESC ernst ne… | |
> Der ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber über die Bedeutung des | |
> ESC in Zeiten von YouTube, das Problem mit dem Schlager und Industrial | |
> Flair. | |
Bild: Die Gewinnerin des ESC im Jahre 2012, Loreen, landete mit „Euphoria“ … | |
taz: Herr Schreiber, freuen Sie sich auf Kopenhagen? | |
Thomas Schreiber: Aber klar. | |
Was macht Ihre Zuversicht aus? | |
Ich bin mir sicher, dass die Dänen eine schöne Veranstaltung hinlegen | |
werden. Ich freue mich darauf, dass es mit einer ehemaligen Werfthalle eine | |
einmalige Location sein wird, die zwar nicht das Vorbild für die nächsten | |
Jahre sein kann … | |
… weshalb nicht? Industrial Flair ist doch so trendig wie nix. | |
Weil es unfassbar aufwendig ist, eine Industrieruine in einen TV-Show- und | |
Konzertsaal zu verwandeln. Dennoch: Eine eigene Ästhetik wird es dieses | |
Jahr durch die Halle haben, das ist sicher. | |
Zurück zu Ihrer Vorfreude? | |
Australien wird im zweiten Halbfinale am Donnerstag dabei sein. | |
Nun, durch einen Showact außerhalb der eurovisionären Konkurrenz. | |
Ja, aber Australien wird sich mit einem großen Auftritt darum bewerben, | |
vielleicht zukünftig eine größere Rolle beim ESC spielen zu können. Und | |
natürlich freue ich mich, weil wir mit „Elaiza“ einen sehr guten deutschen | |
Beitrag haben. | |
Nochmals zu Australien. Wäre eine Teilnahme dieses Landes ein Signal für | |
viele andere außerhalb Europas, sich um den ESC zu kümmern? | |
Nein, Australien ist besonders, weil der ESC dort seit Abbas Sieg 1974 sehr | |
bekannt ist – und weil dort viele Menschen mit europäischen Vorfahren | |
leben. Der ESC ist eine der zwei oder drei erfolgreichsten Shows des Jahres | |
in Australien. | |
Gleichwohl: Dieses Jahr sind in Kopenhagen beim 59. Eurovision Song Contest | |
seit 1956 recht wenige Länder dabei – 37. Die Türkei, Serbien, Kroatien | |
oder auch Bulgarien zogen zurück. Bedauern Sie deren Fehlen? | |
Ja, aber was soll ich sagen? Man muss die wirtschaftliche Situation bei | |
vielen Ländern zur Kenntnis nehmen – ich freue mich, dass Länder wie Polen | |
oder Portugal wieder dabei sind. | |
Erwarten Sie im Hinblick auf die politische Situation in Russland und der | |
Ukraine, dass diese sich beim ESC niederschlagen? | |
Nein, ich bin mir nicht sicher, dass dies eine Rolle spielen wird – auch | |
weil ich nicht weiß, was bis dahin passieren wird. Ich bin mir ziemlich | |
sicher, dass es politische Wertungen geben wird, aber weiß nicht, ob es die | |
in einer solchen Menge geben wird, dass sie messbar sind. Am Abend des | |
Finales wird die Mehrheit des Publikums auf das reagieren, was gerade auf | |
der Bühne geschehen ist, nicht unbedingt auf das, was wochenlang vorher in | |
den Nachrichten war. | |
Was ist für Sie als ESC-Chef der ARD und deren Koordinator für das | |
Unterhaltungsprogramm dieses Event überhaupt – eine Show, die für die ARD | |
bei den Quoten erfolgreich ist, oder eine, die in europäischer Hinsicht das | |
einzige Entertainmentformat ist? | |
Der ESC ist in der Tat einzigartig. Es gibt zwei Dinge, die für die ARD das | |
Investment in Zeit und Geld rechtfertigen. Zunächst kann der ESC eines der | |
erfolgreichsten Programme des Jahres im Ersten sein – so wie in den letzten | |
Jahren. Zwischen 6 und 14 Millionen Zuschauer waren es in den Jahren seit | |
2008, das ist ein gutes Niveau. Der zweite Aspekt betrifft die Zukunft des | |
ESC. | |
Nächstes Jahr wird er zum 60. Mal aufgeführt. | |
Meine These ist, dass der ESC, wenn er sich ernst nimmt, wenn er von den | |
Teilnehmerländern ernst genommen wird, Land für Land, ein Schaufenster | |
zeitgenössischer Popmusik sein kann und sein sollte. Wäre das in Zukunft | |
noch stärker so, wäre er für die Zuschauer noch interessanter. Und für die | |
Musiker in allen möglichen Ländern des Eurovisionsgebietes. | |
Beispiele? | |
Loreens Erfolg 2012 in Baku hat dazu geführt, dass ihr Song „Euphoria“ | |
einer der international erfolgreichsten ESC-Songs aller Zeiten wurde. Für | |
Lena war der ESC der Beginn einer eigenständigen Karriere außerhalb des | |
ESC. Oder der Belgier Tom Dice, der 2010 Fünfter wurde, aber auch im | |
Nachbarland Deutschland wahrgenommen wurde. Alles in allem kann der ESC | |
eine Plattform sein, die den Musikern hilft. | |
Früher brauchte es den ESC, um allen Popkünstlern, die nicht in | |
Großbritannien beheimatet waren, über ihr eigenes Land hinaus sich Geltung | |
zu verschaffen. Abba etwa, die mit ihrem Sieg 1974 über Schweden hinaus | |
bekannt werden konnten. Inzwischen gibt es so viele Kanäle, um sich | |
international zu profilieren. Braucht es den ESC noch in dieser Hinsicht? | |
Selbstverständlich, durch das Internet, durch YouTube etwa, gibt es für | |
Künstler heutzutage ganz andere Wege, sich zu profilieren, auch | |
international. Trotzdem hat der Eurovision Song Contest, wenn für diesen | |
die richtigen Weichen gestellt werden, eine Größenordnung, die durch | |
YouTube, durch keine andere Adresse im Netz aufgewogen wird. Der ESC | |
versammelt europaweit soviele Menschen wie keine andere | |
Unterhaltungssendung. Wo gibt es für Künstler eine vergleichbare Bühne? | |
Welche Weichen müssten denn gestellt werden? | |
Zuerst muss der ESC in den einzelnen Ländern von den Sendern ernst genommen | |
werden. Ich denke, dass in den einzelnen Ländern das Publikum entscheiden | |
sollte, wer für das Land antritt – das ist schon für die Identifikation mit | |
dem eigenen Künstler wichtig. Es ist gut, dass Großbritannien dieses Jahr | |
den ESC mit einer interessanten jungen Künstlerin betraut. | |
Ketzerisch gefragt: Warum sollten das Künstler mit Popambitionen in großen | |
Ländern wie Deutschland tun? Sie haben doch einen Markt, der sie sättigt – | |
die brauchen doch Europa nicht. | |
Richtig, viele sind mit dem einheimischen Markt zufrieden, er ist | |
tatsächlich auskömmlich. Aber andere Musiker hat es immer wieder gegeben, | |
die international Karriere gemacht haben – die relevant sind, wie Rammstein | |
etwa, oder es waren, wie Tokyo Hotel. Es hat in jüngster Zeit tolle | |
Künstler gegeben – Zaz aus Frankreich oder Stromae aus Belgien –, die in | |
ihrer Landessprache international Erfolg haben. In meiner idealen Welt | |
würden diese auch beim ESC mitmachen. Und wenn nicht sie, die bereits | |
erfolgreich sind, dann eine neue Generation, die ihren Weg aber über den | |
ESC geht. Die Plattform ist da – man muss sie nur nutzen. | |
Muss sie nicht auch seriös sein? | |
Eben. Der ESC ist wie eine Marke – wenn man sie nicht pflegt, verliert sie | |
an Bedeutung. Man kann den ESC gucken, muss es aber nicht. Damit das | |
Publikum ihn als Event ernst nimmt, muss man als Macher den ESC selber | |
ernst nehmen. Man kann in der Hinsicht viele Fehler machen. | |
Nicht, dass jetzt Künstler wie die von „Unheilig“ verschnupft sind, dass | |
sie nicht die Vorentscheidung gewonnen haben? | |
Zu unserer Arbeit zählt, dass niemand der an der Vorentscheidung | |
beteiligten Künstler mit dem Gefühl nach Hause reist, verloren zu haben. | |
Klar, der Ehrgeiz war bei allen vorhanden – zu gewinnen und nach Kopenhagen | |
zu reisen. Aber das es „Elaiza“ geworden ist, hat den anderen vom Image her | |
nicht geschadet. | |
Ist es nicht gelegentlich deprimierend, wie neulich etwa in der | |
Süddeutschen Zeitung einen Text zu einem der Moderatoren des ESC in | |
Kopenhagen, Pilou Asbaek, zu lesen – hierzulande bekannt durch seine Rolle | |
im Krimimehrteiler „Borgen“ –, in dem in puncto ESC mit hämischem Klang … | |
„Schlager“ geschrieben wird? | |
Wer liest die Medienseite und für wen schreibt der Autor? Ich weiß es | |
nicht. Das breite Publikum schaut das Programm und liest weniger die Texte | |
über das Programm. | |
Cascada belegte voriges Jahr den 21. Platz – das weckte keine | |
Glücksgefühle, nehme ich an. Von welchem Platz an, den „Elaiza“ in | |
Kopenhagen erreicht, ist dieser ESC für Sie keine Enttäuschung? | |
Ich habe gleich nach „Elaizas“ Sieg in Köln vor allzu hohen Erwartungen | |
gewarnt. Nicht schon auf Platz eins hochschreiben. Natürlich treten wir an, | |
um zu gewinnen. Wünschen uns eine Top-10-Platzierung und ein TV-Publikum | |
der ARD, das sich über diesen Eurovision Song Contest freut und ihn | |
einschaltet. Und das heißt: möglichst viele Zuschauer. | |
10 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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