# taz.de -- ESC-Kolumne #Queerjungfrauen VI: Dekorationsplunder und Buhrufe | |
> Starke Unmutsbekundungen beim ESC – die hatte es zuvor noch nie gegeben. | |
> Doch in Kopenhagen traf es erwartbar das russische Duo. Das aber im | |
> Finale ist. | |
Bild: Die Tomatschew-Zwillinge sangen „Shine“, die Zuschauer goutierten es … | |
Am Ende, bei der Pressekonferenz, lächelte Philippe Kirkorov, Russlands | |
Liberace und Mentor wie Produzent der Tomatschewa-Zwillinge, etwas trunken: | |
Hatte er es doch allen gezeigt. Sein Act, notdürftig in Moskau vor sieben | |
Wochen ausgewählt, weil man ob der Ukrainepolitik und der Olympischen | |
Winterspiele keine Kapazitäten für eine Vorentscheidung zum Eurovision Song | |
Contest hatte, schaffte neben neun anderen Beiträgen die Qualifikation für | |
das Grand Final am Samstag (21 Uhr, ARD und [1][eurovision.de]). | |
Aber was hatte dieser Mann, was hatten seine Schützlinge in der | |
Kopenhagener B&W-Halle – eine ehemalige, bei genauem Blick immer noch | |
schrottreife Werft – erleiden müssen. Buhrufe der muhigsten Art wehten | |
durch die Arena, nachdem die Zwillinge ihr eher belangarmes Lied „Shine“ | |
dargeboten hatten.Und sie ernteten diese krass ablehnende Reaktion auch | |
kurz vor 23 Uhr, als die Finalisten bekanntgegeben wurden. Als Russland | |
genannt wurde, abermals starke Buhrufe in der Halle. | |
Das war, selbst bei neutralster Betrachtung, eine politische Symbolik, die | |
schon Tage zuvor in der Luft lag: Russlands Delegation wurde zwar beim | |
bürgermeisterlichen Empfang am Sonntag nicht kalt geschnitten, aber es war | |
nun auch nicht so, dass man die Gesellschaft von Kirkorov und den | |
Tomatschewa-Frauen gesucht hätte. | |
Starke Unmutsbekundungen beim ESC – die hatte es zuvor noch nie gegeben. | |
Lediglich Applaus über das ästhetische Empfinden hinaus wurde bei einer | |
Gelegenheit gespendet: Das war 1993, als der ESC in Millstreet, Irland, | |
Station machte, und Bosnien und Herzegowina erstmals als eigener Staat | |
mitmachte. Als am Ende der Show die Punkte aus Sarajewo durchgegeben | |
wurden, war es, so glaubte das Publikum, als hörte man durch die | |
Telefonleitung Kriegslärm im Hintergrund des Punkteverkünders. Woraufhin | |
sich wärmster, solidarischster Applaus entzündete. | |
Aber sonst, Politisches, Gestisches aus Welt des politisches Bekenntnisses | |
– und sei es in Form von Ablehnung? Kopenhagen war hier die Premiere, und | |
Russland, naturgemäß, traf es als erstes Land. | |
## Der Rote Stern in der Drag Show | |
Wenige Minuten nach Russland ging die ukrainische Sängerin Marija | |
Jaremtschuk an den Start – auch sie ist für das Finale qualifiziert. Ihre | |
Performance wurde von stärkstem Per-Se-Beifall umflutet: Offenbar meint es | |
das Europa des ESC gut mit diesem Land. | |
Noch fundamentaler fiel die Sympathiebezeugung aus, als für einen kurzen | |
Moment der aus Kiew eingeflogene Gast, Verka Serduchka, in der Arena | |
eingeblendet wurde. Dieser Mann, der die Rolle einer ukrainischen | |
Proletarierin in satirischer Hinsicht gibt, witzelnd mit sowjetischen | |
Symbolen wie dem Roten Stern umgeht als sei dieser ein Accessoires für eine | |
Drag Show, belegte vor Jahren den zweiten Platz für die Ukraine: Ein Star, | |
der durch den ESC über die nachsowjetischen Länder hinaus berühmt werden | |
konnte. | |
Es war ein politisch aufgeladener Abend der aber, trotzdem, auch in | |
eurovisionärer Hinsicht Überraschungen parat hatte. Nicht, dass sich | |
wirklich viele Acts bescheiden gegeben hätten. Was wurde wieder viel | |
Dekorationsplunder und Feuerwerkeffekthascherei geboten. Ein Rhönrad, eine | |
Rollschuhläuferin, Trickkleider, alle Frauen in höchst hohen Schuhen – und | |
derlei Details mehr: Es war wieder ein Buhlen und Bangen um das Ticket für | |
das Finale. | |
Wer auf der Strecken bleiben würde, musste als Blamierter gelten. Es traf | |
sechs Länder, von denen zwei nicht damit gerechnet haben dürften. Estland | |
und Lettland, ein Eighties-Pop-Ding und ein Kinderliedchen, sowie Portugal | |
(Pep ohne Pop), Albanien (Hersi als Sängerin versagte stimmlich total), | |
Moldau (windmaschinengeschädigt, selbst schuld, dass die Frisur nicht mehr | |
saß) und der opulente Belgier Axel Hirsoux scheiterten. | |
## Dankbarkeit an die Adresse der Mutter | |
Letzterer auch, weil er eines der scheußlichsten Popthemen der Welt | |
erörterte, das der Dankbarkeit an die Adresse der Mutter. „Mother“ klang so | |
flehentlich erbarmungswürdig, dass er vermutlich selbst nicht wusste, wie | |
ihm geschah. In Brüssel noch in der Vorentscheidung turmhoch allen | |
Konkurrenten überlegen – und jetzt zu Schutt gemacht. | |
Die Weitergekommenen waren meist erwartet worden: Schwedens Sanna Nielsen, | |
Aserbaidschans Dilara und Montenegros (erstmals im Finale) Sergej. Ungarns | |
Andras ist ebenfalls in der Endrunde, obwohl er beschämenderweise aus dem | |
Thema Kindesmissbrauch ein Stück Moral-Pop gemacht hat. Der Armenier Aram | |
MP3 und seine 10CC-verwandte Bummer „Not Alone“ (im Original der britischen | |
Rockband: “I’m Not Alone”), in den Wettbüros Kandidat auf den Sieg des | |
Grand Final gar, kam weiter. San Marino ist eine eigene Geschichte: Ralph | |
Siegel hat es zum dritten Mal hintereinander mit diesem Land probiert – und | |
Valentina Monetta, die „Maybe“ so einigermaßen okay sang, gelang dies | |
tatsächlich. Es ist vermutlich Siegels größter Erfolg nach „Ein bisschen | |
Frieden“ 1982, am Dienstag wie damals saß er selbst am Klavier, um die | |
Performance zu unterstützen. | |
Islands Vollbart-Jungmänner-Truppe Pollapönk, in ultrabunten, | |
teletubbieartigen Monteurskostümen, schafften es ebenso – das stand nicht | |
in der Kalkulation der Experten, dass diese eher Hoppelrocknummer es | |
schaffen würde. Das modernste Lied kam von den Niederländern. The Common | |
Linnets sangen ohne viel Schnickschnack als Post-Country-Duo ihr sanftes | |
Lied – und wären sie nicht belohnt worden, hätten man weinen müssen: Aber | |
sie gehen gerechterweise ins Finale. Sie können als Mitfavoriten für den | |
Samstag gelten: Wenigstens die Jurys, die ein 50-Prozent-Stimmengewicht | |
haben, werden sie stark mögen. | |
7 May 2014 | |
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[1] http://www.eurovision.de | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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