# taz.de -- Nachruf Harry Rowohlt: „Verfatz dich!“ | |
> Er war der einzige Übersetzer, dessen Name auf Buchcovern so viel galt | |
> wie der des Autors. Und Harry Rowohlt war noch vieles mehr. | |
Bild: 16. April 2003. Harry Rowohlt während einer Lesung im Hamburger St. Paul… | |
Er hatte mir ein großes Fest zu seinem 80. Geburtstag versprochen, als ich | |
ihm am 27. März dieses Jahres zum 70. gratulierte. Am Montagabend ist Harry | |
Rowohlt gestorben. Er wurde oft gefragt, ob er etwas mit dem Rowohlt Verlag | |
zu tun hatte. Hätte er für diese Frage jedes Mal fünf Euro kassiert, wäre | |
er ein reicher Mann, sagte Harry einmal. Wohlhabend war er aber auch so, | |
weil er seine Anteile am Verlag verkauft hatte. Als er volljährig wurde, | |
gratulierte ihm sein Halbbruder Heinrich Maria Ledig-Rowohlt und schrieb: | |
„Vor Dir liegen die schönsten Aufgaben im denkbar lohnendsten Beruf.“ | |
Er meinte den Beruf des Verlegers, doch daran hatte Harry kein Interesse, | |
und das war gut so. Harry hatte viele Berufe, zuallererst war er aber ein | |
genialer Übersetzer. Rund 150 Bücher hat er geschafft. Er war wohl der | |
einzige deutschsprachige Übersetzer, dessen Name genauso groß auf den | |
Umschlag gedruckt wurde wie der des Autors. Es gibt ein Cartoon dazu. Ein | |
dicker Verleger sitzt hinter seinem Schreibtisch und sagt zu dem | |
schmächtigen Schriftsteller auf der anderen Seite des Schreibtisches: „Wie | |
heißt ihr Buch? Übersetzt von Harry Rowohlt? Ist gekauft.“ | |
Das erste Buch, das er übersetzt hat, war „Die grüne Wolke“ von A. S. | |
Neill, dem Erfinder der antiautoritären Erziehung, der aber auch dieses | |
Buch für Kinder geschrieben hatte. Heinrich Maria Ledig-Rowohlt hielt es | |
für unübersetzbar, weil es im Vierziger-Jahre-Gangster-Amerikanisch | |
geschrieben war. Das stachelte Harrys Ehrgeiz an. Er besorgte sich ein | |
Wörterbuch des Rotwelschen und übersetzte Neills Buch, das es sogar in die | |
Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Besonders stolz war Harry darauf, dass | |
dadurch der Begriff „Verfatz dich“ in den allgemeinen Sprachgebrauch | |
einging. | |
Zu seinen Lieblingsautoren gehörte Flann O’Brien, der ebenfalls viel Freude | |
an Alkohol und skurrilen Geschichten hatte. Harry hatte „Zwei Vögel beim | |
Schwimmen“ von O’Brien gelesen, in der Übersetzung von Lore Fiedler. Als er | |
das Buch dann in der Originalsprache las, bemerkte er, dass die Übersetzung | |
„etwa 1.400 Fehler“ enthielt. Der gravierendste betraf einen Briefkasten, | |
an dem sich zwei Männer der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) verabreden | |
und der später von der IRA in die Luft gesprengt wird. Im Original heißt es | |
„the pillar“ und damit war eben kein Briefkasten, sondern die | |
Admiral-Nelson-Säule in der Dubliner O’Connell Street gemeint. | |
## Liebe zur Grünen Insel | |
Harry liebte Irland, seit er auf dem Weg in die USA auf dem westirischen | |
Flughafen Shannon zwischengelandet war. „Das war eine ganz normale, | |
langweilige Flughafenhalle“, erzählte er. „Ich hatte auf unerklärliche | |
Weise das Gefühl, zum ersten Mal in meinem Leben nach Hause zurückzukommen. | |
Liebe kann man eben nicht erklären.“ Es ist schon eine Weile her, dass er | |
das letzte Mal auf der Grünen Insel war. 2001 hatten wir ein Cottage an der | |
Westküste gemietet, und Harry sprach mir seine Lebensgeschichte aufs Band. | |
Das ging natürlich nicht chronologisch, denn wie bei seinen Lesungen | |
schweifte Harry immer wieder ab, so dass hinterher alles sortiert werden | |
musste, bevor es als Buch erscheinen konnte. | |
Wir tranken übrigens den ganzen Tag Tee, was uns später keiner glauben | |
wollte, denn ein Tonband entstand nach einem Kneipenbesuch, bei dem Harry | |
mir mehrere interessante Anekdoten erzählte, die ich unbedingt noch | |
aufnehmen wollte, bevor sie in Vergessenheit gerieten. Das taten sie | |
dennoch, denn die arme Person, die unsere Gespräche abtippen musste, | |
schrieb bei diesem Band nur Bruchstücke auf, und dazwischen immer wieder: | |
„Unverständlich.“ Als Irland 2007 ein striktes Rauchverbot in Restaurants, | |
Cafés und allen öffentlichen Gebäuden einführte, schwor Harry, keinen Fuß | |
mehr auf die Insel zu setzen. | |
Seine Lieblingsstadt war immer Hamburg, durch deren sämtliche Kneipen er | |
mich an so manchem langen Abend geschleppt hat. Als wir acht Jahre nach | |
Erscheinen unseres Buches ein neues Kapitel hinzufügen wollten, taten wir | |
das in Hamburg. Dort herrschte aber inzwischen auch Rauchverbot in Kneipen, | |
doch Harry verteidigte seine Stadt: „Na und“, sagte er, „wenigstens schei… | |
hier die Sonne und wir können draußen sitzen und rauchen.“ | |
## Übersetzer und nicht Promi | |
Zur Rolle in der Dauerserie „Lindenstraße“ ist er durch Zufall gekommen. | |
Ein Journalist wollte ihn für eine Zeitschriftenserie „Mit Prominenten | |
essen“ in ein Lokal seiner Wahl führen und darüber schreiben. Harry sagte | |
empört ab, schließlich sei er von Beruf Übersetzer und nicht Promi. | |
Außerdem könne er sein Mittagessen immer noch selbst bezahlen. | |
Nach dem kurzen Telefonat meinte Harrys Frau Ulla, er hätte das doch etwas | |
freundlicher formulieren können. „Warum hast du nicht vorgeschlagen“, | |
fragte sie, „in das Restaurant Akropolis in der Lindenstraße zu gehen? Du | |
hättest deine Ruhe gehabt, und es hätte ein bisschen netter geklungen.“ | |
Harry rief den Journalisten zurück, ohne zu ahnen, dass es dem tatsächlich | |
gelingen würde, das Essen im Akropolis zu organisieren. | |
Produzent Hans W. Geißendörfer war von Harry so begeistert, dass er ihm | |
eine Rolle anbot. „Dann aber bitte einen Penner“, antwortete Harry. „Das | |
ist die einzige Randgruppe, die in der Lindenstraße noch nicht vorgekommen | |
ist.“ Die Maskenbildnerin war zufrieden, weil sie mit Harry wegen seiner | |
wilden Haare und des langen Barts keine Arbeit hatte. | |
Der Nachteil war, dass seitdem 7,4 Millionen deutsche | |
„Lindenstraße“-Zuschauer sein Gesicht erkannten und er sich mustergültig | |
benehmen musste. Rauchen, eine seiner Lieblingsbeschäftigungen, konnte er | |
in der „Lindenstraße“ auch nicht, und zwar nicht aus pädagogischen Gründ… | |
sondern wegen der Gefahr eines Anschlussfehlers bei verschiedenen Takes. | |
„Die Zigaretten werden kürzer, und plötzlich sind sie dann wieder länger�… | |
sagte Harry. Es gebe sehr pingelige Fans, die das sofort merken würden. | |
Seine Lesungen waren legendär. „Schausaufen mit Betonung“ nannte er sie. | |
Bei jeder Lesung trank er eine Flasche Whiskey der Marke Paddy, weil auf | |
dem Etikett eine irische Landkarte abgedruckt war und er dem Publikum dann | |
zeigen konnte, um welche Orte es bei Flann O’Brien zum Beispiel ging. Wer | |
nicht in der ersten Reihe saß, konnte freilich nichts erkennen. Aber selbst | |
Harry brauchte einige Zeit, bis die Flasche leer war. Seine Lesungen | |
dauerten meist vier Stunden, und wenn man gemeinsam mit ihm auf der Bühne | |
saß, konnten es auch fünf Stunden werden. | |
## Ohne Computer | |
Ich weiß das aus Erfahrung. Einmal hatte ich den Fehler begangen, nach der | |
Pause ebenfalls Whiskey zu trinken. Zum Schluss waren wir beide betrunken, | |
aber das Publikum verabschiedete uns komischerweise mit langem Applaus. Im | |
Gegensatz zu mir, der am nächsten Tag den Kater auskurieren musste, saß | |
Harry schon am frühen Morgen an seiner Schreibmaschine – einen Computer | |
besaß er nicht – und übersetzte. Mit dem Alkohol war es in den letzten | |
Jahren vorbei, denn Harry litt an einer Polyneuropathie, einer | |
Nervenkrankheit in den Füßen. Die könne er nur empfehlen, erzählte Harry, | |
denn dann merke man nicht, dass man kalte Füße habe. | |
Er habe alles erreicht, sagte Harry einmal. Sein Foto hänge sogar in der | |
Ehrengalerie in Kenny’s Bookshop in Galway, dem besten Buchladen Irlands. | |
Leider hat der vor ein paar Jahren dichtgemacht. Das habe ich Harry aber | |
nicht erzählt. Mach’s gut, Harry, oder wie du sagen würdest: „Tschüüü�… | |
16 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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