# taz.de -- Die Wahrheit: Kabeljaukrieg in Nordirland | |
> Kinder, Kinder waren das Zeiten: 1983 gab es Bestrebungen, 5,5 Millionen | |
> Menschen aus Hongkong in Nordirland anzusiedeln. | |
Bild: 16. April 2003. Harry Rowohlt während einer Lesung im Hamburger St. Paul… | |
Kolonialdenken ist in den Köpfen englischer Politiker so tief verwurzelt | |
wie der Fünf-Uhr-Tee. Untertanen galten schon immer als Masse, die man | |
beliebig verschieben kann, und daran hat sich nichts geändert. Am Freitag | |
wurden britische Regierungspapiere aus dem Jahr 1983 ans Nationalarchiv in | |
Kew überstellt. | |
Sie enthielten Pläne für eine Umsiedlung von fünfeinhalb Millionen Chinesen | |
aus Hongkong nach Nordirland, damit sie nach der Rückgabe der Kolonie an | |
China nicht zu Kommunisten umerzogen würden. Ein Gebiet hatte man auch | |
schon auserkoren: die dünn besiedelte Magilligan-Halbinsel im Nordwesten | |
der Krisenprovinz. | |
Mit Umsiedlungen hatten die Engländer genügend Erfahrung. Nach der irischen | |
Niederlage gegen England Anfang des 17. Jahrhunderts wurden protestantische | |
Engländer und Schotten in den Nordosten Irlands entweder zwangsumgesiedelt | |
oder mit Ländereien gelockt. Sie sollten die katholischen Eingeborenen, die | |
nicht in den kargen Westen vertrieben worden waren, in Schach halten. Damit | |
war der Grundstein für den Konflikt gelegt, der bis heute schwelt. | |
1983 tobte er noch heftig. Fünfeinhalb Millionen Chinesen in ein | |
Krisengebiet zu schicken, in dem anderthalb Millionen Menschen leben, | |
klingt wie der Plan eines Wahnsinnigen. Der hieß Christie Davies und war | |
Dozent für Soziologie an der Universität Reading. Sollte die Umsiedlung | |
eine Feldstudie sein, um herauszufinden, wie sich die verfeindeten | |
protestantischen und katholischen Bevölkerungsteile gegenüber den weder | |
protestantischen noch katholischen Chinesen verhalten? | |
Davies hatte seinen Vorschlag nicht ganz ernst gemeint. Umso überraschter | |
war er, dass der nordirische Regierungsbeamte George Fergusson die Idee | |
begierig aufgriff. „Die Umsiedlung wäre eine Zusicherung an die | |
protestantischen Unionisten, dass die Union mit Großbritannien für immer | |
fortbestehen werde“, schrieb er. „50 chinesische Familien wohnen ja schon | |
dort. So wissen wir, dass Chinesen das nordirische Klima nicht als | |
unangenehm empfinden, und mit den derzeitigen Einwohnern kommen sie auch | |
einigermaßen klar.“ Auf ein paar Millionen mehr käme es wohl nicht an, | |
mutmaßte Fergusson. | |
Die Republik Irland meldete jedoch gewichtige Bedenken an. „Die Chinesen | |
aus Hongkong sind vor allem ein Volk von Fischern und Seefahrern“, schrieb | |
ein gewisser Herr Snoxell, Ministerialbeamter in Dublin. Da auch die | |
Bewohner der Inishowen-Halbinsel am anderen Ufer des Lough Foyle, wo | |
Südirland nördlicher ist als Nordirland, vom Fischfang leben, könnte es | |
richtig Probleme geben. Die Chinesen könnten die komplette Bucht | |
leerfischen, befürchtete Snoxell, was ganz sicher einen neuen Kabeljaukrieg | |
auslösen würde. | |
Am Ende kamen dann nicht fünfeinhalb Millionen, sondern nur ein paar | |
hundert Versprengte. Eine davon, Anna Lo, zog für die Alliance Party ins | |
Belfaster Regionalparlament ein, warf aber voriges Jahr wegen ständiger | |
rassistischer Angriffe loyalistischer Protestanten das Handtuch. Schade, | |
dass der Plan 1983 nicht umgesetzt wurde. Wie hätten die Rassisten wohl | |
darauf reagiert, plötzlich in einer einzigen riesigen Chinatown zu leben. | |
6 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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