# taz.de -- Die Wahrheit: Rennen mit Umleitung | |
> Wer Gutes tun will, kann schnell vom Wege abkommen. Und dann ist es Essig | |
> mit der „Win-win-Situation“. | |
Bild: 16. April 2003. Harry Rowohlt während einer Lesung im Hamburger St. Paul… | |
Endlich sind Schulferien, und man hat Ruhe vor den Quälgeistern. Da die | |
irischen Wohltätigkeitsverbände ständig Geld benötigen, um die Löcher zu | |
stopfen, die durch die Austeritätspolitik entstanden sind, lassen sie sich | |
gerne von Schulkindern helfen. Die ziehen von Haus zu Haus und betteln | |
darum, sie für Leistungen zu sponsern, die sie demnächst bei irgendeinem | |
Wettkampf erbringen würden. | |
Das Sponsorengeld ist aber sofort fällig. Man hat keine Möglichkeit, zu | |
überprüfen, ob die Kleinen wirklich an dem Wettkampf teilnehmen. Man weiß | |
nicht einmal, ob das Geld womöglich in die nächste Eisdiele umgeleitet | |
wird. | |
In England leiten sie Wettkämpfer hingegen nach nirgendwo um. Neulich gab | |
es in Bournemouth ein Wohltätigkeitslauf für die British Heart Foundation, | |
die Forschungen über Herzkrankheiten finanziert. 1.200 Läuferinnen und | |
Läufer hatten 70.000 Pfund an Sponsorengeldern eingetrieben und sollten | |
dafür 10 Kilometer um die Wette rennen. Das Feld teilte sich schnell, etwa | |
300 Läufer hatten sich nach 5 Kilometern abgesetzt. Umso überraschter waren | |
sie, als sie feststellen mussten, dass sie die Letzten waren, nachdem sie | |
endlich im Ziel eingetrudelt waren. | |
Auf halber Strecke sollten die Teilnehmer nämlich in eine Haarnadelkurve | |
geschickt werden und denselben Weg zurück zum Start rennen, der auch das | |
Ziel war. Doch der Ordner, der ihnen den Weg weisen sollte, musste auf die | |
Toilette. Als er zurückkam, war der Tross bereits auf dem Weg zur Autobahn. | |
Nach 2 Kilometern wurden die Leute misstrauisch, weil sie an eine | |
Straßengabelung kamen und nicht wussten, welche Gabel sie nehmen sollten. | |
## Läufer brachen in Tränen aus | |
Sie berieten sich und kehrten vorsichtshalber um. Plötzlich kam ihnen eine | |
ältere Autofahrerin entgegen, die wütend hupte und sie von der Straße | |
scheuchen wollte. Sie war während eines weiteren Toilettenbesuchs des | |
Ordners durch die Absperrung geschlüpft. Einige der Läuferinnen und Läufer | |
brachen in Tränen aus, als ihnen im Ziel klar wurde, dass sie mehrere | |
Kilometer zu viel gerannt waren, während die langsameren Läuferinnen und | |
Läufer längst an der Strandbar saßen. | |
Einer von denen, Lokalmatador Karl Welch, war ziemlich erstaunt, als er die | |
Ziellinie überschritten hatte und von der Menge als Sieger bejubelt wurde. | |
Ob sich die anderen 300 Teilnehmer vor ihm verlaufen hätten, fragte er. Der | |
Cheforganisator nickte kleinlaut und sagte die Siegerehrung ab. | |
So etwas kann unserem Nachbarsjungen nicht passieren. Er hatte mir 5 Euro | |
für ein Kinderheim abgeluchst und versprochen, dafür an einem Radrennen | |
teilzunehmen. Wann das stattfinde, wollte ich wissen. Er sah mich verblüfft | |
an. Ob ich etwa zuschauen wolle, fragte er entsetzt. Dann erklärte er, dass | |
es um ganz andere Dinge gehe: Er habe mir das Gefühl vermittelt, etwas | |
Gutes zu tun, und das Kinderheim profitiere davon – „eine | |
Win-win-Situation“, meinte er, und es klang plausibel. Der Junge ist 13. Er | |
wird später Politiker. Auf das gute Gefühl warte ich immer noch. | |
26 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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