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# taz.de -- WM in Kanada: Bowling for Germany
> Respekt hat man in Kanada vor den Deutschen. Aber ihr Auftritt gilt als
> unglamourös. Ihr Charme wird mit dem einer Bowlingkugel verglichen.
Bild: So rollen die Deutschen
Unter kanadischen Journalisten gelten die deutschen Fußballspielerinnen als
unglamourös. Vor ihren Leistungen hat man Respekt, aber man vermisst den
Showfaktor. Der Sportkolumnist Cathal Kelly verglich die kollektive
Persönlichkeit des deutschen Teams mit einer „Bowlingkugel, die aus dem
Flugzeug geworfen wird“. Als Gruppe, das wollte er wohl damit sagen, machen
die Deutschen alles platt. Als schillernde Individuen geben sie nicht viel
her.
Den Eindruck einer alles niedermähenden Walz konnte man nach dem ersten
Gruppenspiel der Deutschen, dem 10:0 gegen die Elfenbeinküste, durchaus
haben. Gnade hatte der Weltranglistenerste für den WM-Neuling nicht übrig.
So was nimmt man im multikulturellen Einwandererland Kanada schon ein wenig
übel.
Nach dem zweiten Gruppenspiel der Bowlingkugel gegen Norwegen, muss man
dieses Bild allerdings etwas korrigieren. Für die erste Halbzeit mag es
noch herhalten. Die Deutschen überranten die Norwegerinnen dermaßen, dass
diese vor dem kraftstrotzenden Pressing und der Unbedingtheit ihres
Einsatzes in allen Zweikämpfen umfielen oder sogar freiwillig den Weg
freimachten, um nicht niedergestürmt zu werden.
Das Zusammenspiel der Deuschen erdrückte jede Idee, die die Norwegerinnen
gehabt haben mögen. Geboten wurde präzises Passspiel, überragende
Zweikampfstärke und knallharte Schüsse auf Tor und Frau. Sogar etwas
Eleganz und individuelle Zauberlust schimmerte durch: Fallrückzieher von
Anja Mittag, Hackentrick von Célia Sasic und Simone Laudehr,
Zidane-Pirouette von Dszenifer Maroszan und der lichtschnelle Reflex von
Nadine Angerer nach einem Direktschuss von Isabell Herlovsen aus kurzer
Distanz.
Die Norwegerinnen konnten gar nicht so schnell schalten wie die Deuschen
sie zu Randfiguren auf dem Platz spielten. In den Worten der deutschen
Torhüterin: „Die Norwegerinnen wussten nicht mehr, wo vorne und hinten
ist.“
## Deutschland im Chaos-Modus
Die Performance war in der Tat so mörderisch gut, dass der norwegische
Trainer Even Pellerud nach dem Spiel sagte. „Sie hätten uns in der ersten
Halbzeit killen können.“ Das aber haben sie nicht getan. Mitleid mit dem
Gegner war es aber sicher nicht, was die Deutschen in der zweiten Halbzeit
dazu veranlasste, eine völlig andere Vorstellung zu geben.
Was war geschehen? Das konnte sich nicht nur das deutsche Team nicht
erklären. Selbst der norwegischen Stürmern Herlovsen war klar, dass es
nicht ihre Leistung war, die die Deutschen in die Bredouille brachte. „Ich
weiß nicht, was mit denen passiert ist“, sagte sie nach dem Spiel. „Wir
haben uns selbst im Weg gestanden“, meinte die Verteidigerin Annike Krahn
sichtlich genervt.
So präzise das Spiel in der ersten Halbzeit, so fehlerhaft war es in der
zweiten. Dazu die Verzweiflungsschüsse von Dzsenifer Maroszan aus dreißig
Meter Entfernung durch die Mitte aufs Tor – das hatte nichts mehr von
Bowlingkugel, sondern eher was von Squash, wo jeder für sich spielt und
hofft, dass der andere den Ball nicht erreicht. Zum Spiel gegen die
Elfenbeinküste gab es eigenlich nur eine Parallele: die vergebenen
Torchancen im ersten Drittel der ersten Halbzeit.
Vielleicht hatten sich die Deutschen in der ersten Halbzeit übernommen, die
Anstrengung unterschätzt, die ihr kräftezehrender Einsatz gekostet hat. Und
die Norwegerinnen konnten das, anders als die Elfenbeinküste, ausnutzen.
Der Kunstrasen tat sicher ein übriges. „Es ist wahnsinnig heiß da unten. Es
sind bestimmt 10 Grad mehr als oben auf der Tribüne“, sagte Silvia Neid.
Die hatte ihr dunkles Jackett ausgezogen und stand im T-Shirt auf dem
Platz.
Bereits am Ende der ersten Halbzeit hatten die Norwegerinnen schon
angedeutet, dass sie sich nicht einfach so geschlagen geben. Mit einem
Spielerwechsel und dem grandiosen Strafstoß von Maren Mjelde in der 59.
Minute zeigten sie der Bowlingkugel, dass man sie auch von ihrem
eigentlichen Ziel ablenken und aus der Bahn werfen kann. Offenbar völlig
geschockt von diesem ersten Gegentor bei der WM, gingen die Deutschen in
den Chaos-Modus über. Zusammen klappte nichts mehr.
Vielleicht ist es immer noch zu früh, um genaues zu sagen, aber es könnte
sein, dass der Kugelblitz, wenn er mal Widerstand erfährt, in disparate
Einzelteile zersteubt. Es wirkte jedenfalls größtenteils völlig hilflos,
wie eine Dzenifer Maroszan rumballerte und eine Célia Sasic eher zu hoffen
schien, dass sie ein Blindgänger zufällig erreichte.
Für das Spiel gegen Thailand mag dieses Squash-Spiel aus der zweiten
Halbzeit nicht allzuviel bedeuten. Der zweite WM-Neuling, auf den die
Deutschen am Montag im über 2.000 Kilometer entfernten Winnipeg treffen,
ist, nach allem, was man bisher gesehen hat, kein Gegner, der die Deutschen
irritieren wird.
Interessanter wird es, wenn glamourös spielende Teams wie beispielsweise
Frankreich im Achtelfinale auf die Bowlingkugel treffen. Von dem Ziel,
dahin zu rollen, wird sie sich nicht abhalten lassen.
14 Jun 2015
## AUTOREN
Doris Akrap
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