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# taz.de -- Wahlrechtsdebatte neu entflammt: Schwinden der Wähler
> Seit nur jeder Zweite am 10. Mai wählte, wird intern wieder ums Wahlrecht
> gestritten - im Bremer taz- Salon jetzt auch öffentlich.
Bild: Angeregt: Das Nachwahl-Podium von taz und Böll-Stiftung.
Bremen taz | Der Saal im Kulturzentrum Lagerhaus war dunkel, die Diskussion
aber erhellend: Die Bremer taz und die Heinrich-Böll-Stiftung hatten zur
„Salon“-Diskussion über das neue Wahlrecht unter der Überschrift „Viele
Kreuze - wenig Wähler“ geladen.
Christina Tillmann von der Bertelsmann-Stiftung erläuterte diesen Titel mit
einer statistischen Auswertung der Bürgerschaftswahlen: Die Wahlbeteiligung
insgesamt ist seit 1970 von 70 auf 50 Prozent gesunken,
überdurchschnittlich dabei in Stadtteilen mit hoher Arbeitslosigkeit und
geringem Bildungsniveau. Erheblich war offenbar auch der Anteil der
Stimmzettel, die ungültig waren, weil WählerInnen mehr als fünf Kreuze
gemacht hatten.
Was tun? Ist das neue, komplexere Wahlrecht schuld? Wie kann man die
„soziale Schere“, die sich inzwischen auch in der Demokratie-Beteiligung
dramatisch zeigt, wieder zusammenbekommen? Tillmann stellte klar: „Die
geringe Wahlbeteiligung ist nicht eine Folge des neuen Wahlrechts“.
Sie ist ein europaweites Phänomen - unabhängig von Wahlrecht und auch von
der sozialen Spreizung in einzelnen Ländern. Fatal sei, erklärte sie, dass
Menschen nicht wählen gehen, wenn ihr soziales Umfeld nicht wählen geht -
so verfestigen sich soziale Nichtwähler-Milieus.
Dennoch kann man etwas für eine höhere Wahlbeteiligung tun. Der ehemalige
Lehrer Wolfram Stein stellte klar, dass es auch eine deutliche Differenz
bei der Wahlbeteiligung nach Altersgruppen gebe: Die über 60-Jährigen
wählen zu mehr als 60, die 25- 30-Jährigen zu weniger als 35 Prozent. Die
16- 20-Jährigen lagen da schon besser und hatten die geringste Quote
ungültiger Stimmen.
Auf die Bildung kommt es also an, da könne bei jungen Leuten eine neue
„Gewohnheit“, wählen zu gehen, gefördert werden, so Stein: Warum nicht in
Schulen und Hochschulen Urnen aufstellen? Einen ganz anderen Vorschlag
brachte der frühere Bürgerschafts-Abgeordnete Walter Ruffler ein: Die
zweite Hälfte der Sitze in der Bürgerschaft sollte nur in dem Umfang
besetzt werden, wie mehr als die Hälfte der Berechtigten gewählt haben. Das
wäre ein „Leistungsanreiz“ für die Parteien.
Wilko Zicht vom Verein „Mehr Demokratie“, dank des neuen Wahlrechtes für
die Grünen in die Bürgerschaft gewählt, erinnerte an einen Vorschlag der
Bundespartei Die Linke: Jede kandidierende Partei sollte das Recht haben,
ein Thema zum Volksentscheid parallel zu den Wahlen anzumelden.
Das könnte den Eindruck, dass es bei den Wahlen etwas zu entscheiden gebe,
stärken. Auf diese Idee sprang allerdings nicht einmal die Bremer
Linken-Vertreterin Kristina Vogt an - sie kritisierte die Personalisierung
des Wahlrechts und befürwortete mehr Parteieneinfluss über die Liste.
Das sei mit der Grünen-Fraktion nicht zu machen, kündigte Matthias Güldner,
noch Fraktionsvorsitzender, an. Insbesondere von der SPD wird ein solcher
Vorstoß erwartet, flankiert auch mit dem Frauen-Argument: Die Quotierung
wurde durch den Männer-Erfolg bei den Personen-Stimmen ausgehebelt.
Das treffe nur für die SPD-Fraktion zu, wandte Zicht da ein: Da hätten fünf
Frauen mehr über die Liste eine Chance gehabt. An ihnen vorbei sind
insbesondere Kandidaten gezogen, die offenbar in der migrantischen Szene
gut vernetzt sind, so Zicht - was bei der Listenaufstellung der Partei
offenbar nicht gewürdigt wurde.
Zum Beispiel Elombo Bolayela, der von der SPD nur auf Platz 25 gesetzt war
- und dann mehr Personenstimmen bekam, als die Bildungssenatorin auf Platz
2 der Liste. Bolayela wurde am Montag in den Fraktionsvorstand der SPD
gewählt. Er könne sich gezielte Korrekturen des neuen Wahlsystems
vorstellen, erklärte Zicht - er sei aber strikt gegen eine Revision, die im
Grunde zurück führe zur alten Macht der Parteien.
10 Jun 2015
## AUTOREN
Klaus Wolschner
## TAGS
Bremische Bürgerschaft
Wahlbeteiligung
Wahlrecht
Wahlen
Studie
Bremen
Nichtwähler
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