# taz.de -- Parlamentswahlen in der Türkei: Erdogans Thron wackelt | |
> Die Regierungspartei AKP verliert ihre absolute Mehrheit. Die | |
> pro-kurdische HDP schafft mit 13 Prozent den Sprung ins Parlament. | |
Bild: Ein Wahllokal in der türkischen Stadt Diyarbakir. | |
Istanbul taz | In der Türkei bahnt sich eine Sensation an. Die AKP von | |
Präsident Tayyip Erdogan verliert ihre absolute Mehrheit, weil die | |
pro-kurdische linke HDP den Sprung ins Parlament schafft. Danach verliert | |
die AKP rund 8 Prozent im Vergleich mit den Parlamentswahlen 2011 und kommt | |
auf rund 41 Prozent. Die HDP schafft 13 Prozent, die sozialdemokratische | |
CHP verliert etwas und kommt auf 25 Prozent und die Ultranationalisten von | |
der MHP verbessern sich um 3 Prozent auf jetzt 16 Prozent der Stimmen. | |
Entscheidend für die Sitzverteilung im zukünftigen Parlament aber ist vor | |
allem der Einzug der HDP. Mit jetzt vier Parteien reichen die 41 Prozent | |
der AKP nicht mehr für die absolute Mehrheit von 276 Stimmen. Nach den | |
bisherigen Auszählungen verfehlt die Partei die absolute Mehrheit knapp und | |
kommt noch auf 272 Stimmen. Sie bleibt zwar mit Abstand stärkste Partei, | |
muss sich aber nach 13 Jahren Alleinregierung einen Koalitionspartner | |
suchen oder eine Minderheitsregierung bilden. Eine Verfassungsänderung mit | |
dem Ziel ein Präsidialsystem mit weitgehenden exekutiven Vollmachten für | |
Erdogan zu kreieren, ist damit in weite Ferne gerückt. | |
Trotz der großen Spannungen im Vorfeld verlief der Wahltag weitegehend | |
friedlich. Beobachter berichteten von großem Andrang an den Wahllokalen, es | |
wird mit einer Wahlbeteiligung von über 80 Prozent gerechnet. Allerdings | |
gab es nach Schließung der Wahllokale im kurdischen Diyarbakir | |
Zusammenstöße zwischen Wahlbeobachtern und der Polizei. Der Grund dafür | |
waren Befürchtungen, die Auszählung der Stimmen sei manipuliert worden. | |
Auch in Ankara kam es im Wahlgebäude der Auslandstürken zu | |
Auseinandersetzungen. Wahlbeobachter warfen den Offiziellen vor, sie hätten | |
Stimmen für die Opposition unterschlagen. | |
Überschattet worden war der Wahlkampf von einem schweren Bombenattentat am | |
Freitagnachmittag in der kurdischen Metropole Diyarbakir. Bei der | |
Abschlusskundgebung der linkskurdischen Partei der Völker HDP, an der | |
mehrere hunderttausend Menschen teilnahmen, wurden im Anstand von einer | |
Minute zwei Bomben gezündet. Zwei Menschen starben sofort, zwei weitere | |
wenig später. Rund 200 Menschen wurden verletzt, zwanzig von ihnen sollen | |
sich in Lebensgefahr befinden. | |
## Viele Angriffe auf die HDP | |
Nachdem die Regierung zunächst behauptet hatte, es habe sich um einen | |
Unfall durch eine Explosion in einer Trafostation gehandelt, räumte | |
Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am Samstag ein, dass es sich um einen | |
Anschlag gehandelt habe. Er verurteilte diese Provokation als „Anschlag auf | |
die Demokratie“. Verschiedene kurdische Sprecher bezichtigten dagegen | |
Sympathisanten der Regierung, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Der | |
gesamte Wahlkampf war geprägt von der Angst vor Zwischenfällen, | |
insbesondere gegen die HDP. | |
[1][Insgesamt 160 Angriffe auf die HDP zählte die | |
Menschenrechtsorganisation] IHD während des Wahlkampfes. Kein Mensch, so | |
HDP Spitzenkandidat Selahattin Demirtas, sei deswegen verhaftet worden. | |
Stattdessen hat die Polizei am Samstag in verschiedenen Provinzen | |
Wahlhelfer der HDP verhaftet, die eigentlich am Sonntag als Wahlbeobachter | |
für eine faire Auszählung sorgen sollten. | |
Allerdings lassen die Reaktionen vieler Befragten darauf schließen, dass | |
die Attacken auf die HDP viele Wähler erst recht dazu bewogen haben, | |
erstmals der prokurdischen Partei ihre Stimme zu geben. Offenbar haben auch | |
viele CHP Anhänger taktisch gewählt um die HDP über die zehn Prozent Hürde | |
zu bringen, weshalb die CHP leicht an Stimmen verlieren wird. Zusammen | |
haben die drei Oppositionsparteien im Parlament jetzt eine starke Mehrheit. | |
Bereits in den letzten Tagen vor der Wahl wurde von vielen politischen | |
Beobachtern darüber spekuliert, ob Präsident Tayyip Erdogan eine Niederlage | |
an den Wahlurnen akzeptiert oder aber versuchen wird, nach einigen Monaten | |
erneut Wahlen durchzusetzen. Wahrscheinlich stehen der Türkei turbulente | |
Monate bevor. | |
7 Jun 2015 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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