# taz.de -- US-Torfrau bei Fußball-WM 2015: Das Prinzip Hope | |
> Sie war in U-Haft, hatte eine Anklage am Hals und wurde aus der | |
> Nationalelf suspendiert: Nun ist Hope Solo wieder der große Rückhalt | |
> ihres Teams. | |
Bild: „Ich möchte einfach nur als Torhüterin des US-Teams gesehen werden.“ | |
OTTAWA taz | Die Mädchen kreischen, als würde gerade Miley Cyrus oder | |
Justin Bieber vor ihnen stehen. In der aktuellen Videokampagne des US-Teams | |
„#SheBelieves“ sagt Hope Solo zu Schülerinnen: „Was auch immer du träum… | |
du kannst es schaffen.“ So abgedroschen das Pathos dieses Satzes, die | |
Grundidee der amerikanischen Verfassung, sich erst mal anhört – wenn eine | |
Fußballerin das sagt, hat es immer noch etwas Befreiendes. Erst recht, wenn | |
es eine Hope Solo tut, das bekannteste Gesicht dieses Sports. Die | |
zweimalige Olympiasiegerin, Vizeweltmeisterin und wohl beste Torhüterin der | |
Welt, hat dafür hart gekämpft: schwere Kindheit, schwer kontrollierbar, | |
eine, die mehr vom Leben fordert, als es ihr zunächst zugestehen will. | |
Für die Mädchen sind die Fußballerinnen Idole. Hope Solo hatte so ein | |
Vorbild nicht. Sie ist ein Scheidungskind, ihre Mutter, depressiv, | |
Alkoholikerin, ihr Vater ein Krimineller, der 2007 starb und dessen Asche | |
sie angeblich während der WM in China in ihrem linken Handschuh trug. Sie | |
wuchs mit Armut, Lügen, Vernachlässigung und Schlägen auf, sie wurde von | |
ihrem Bruder erzogen und verprügelt. Das kann man in ihrer Biografie „Mein | |
Leben als Hope Solo“ (2012) lesen. | |
Auch für ihre Teamkolleginnen war Hope Solo nicht immer ein Vorbild. | |
Nacktbilder, Rüpeleien, Dopingverdacht – die Torhüterin der „US-Girls“ … | |
im Frauenfußball das, was Naomi Campbell in der Modebranche ist. Letzten | |
Sommer kommt es zum vorläufigen Höhepunkt. Im Juni 2014 sitzt sie drei Tage | |
im Gefängnis. Sie wird verdächtigt, auf einer Party ihre Schwester und | |
ihren 17-jährigen Neffen tätlich angegriffen zu haben. Einen Monat lang | |
wird sie nicht als Torhüterin eingesetzt. Am 13. Januar spricht ein Gericht | |
sie frei. Nur wenige Tage später wird sie erneut für einen Monat vom Team | |
suspendiert. Dieses Mal offiziell. Sie hatte einen Polizisten beschimpft, | |
der ihren Mann alkoholisiert am Steuer vorfand. Das Ganze fand während | |
eines Trainingscamps statt. Nur noch fünf Monate bis zur WM. Würde die | |
glamouröseste Fußballerin der Welt bei der WM im Nachbarland Kanada nicht | |
mitspielen? Beim prestigeträchtigen Algarve-Cup im März aber ist sie wieder | |
da. Und gewinnt mit ihrem Team das Turnier ohne Gegentor. | |
Hope Solo verbindet zwei Eigenschaften, die sie zur fast unbesiegbaren | |
Torhüterin machen: auf der einen Seite Dominanz, Härte, starke Nerven. Auf | |
der anderen Seite eine unbestechlich klare Sicht, die Fähigkeit, das Spiel | |
von der Mittellinie an lesen zu können, ohne sich von jemandem täuschen zu | |
lassen. | |
## Sie konnte sich auf niemanden verlassen | |
Hope Solo liest aber nicht nur Spiele, sondern auch Bücher. Im Gefängnis | |
zum Beispiel Ayn Rands „Fountainhead“. Das behauptet sie jedenfalls. Es | |
passt aber auch zu gut, die Geschichte des Architekten Howard Roark, dessen | |
moderne Wolkenkratzer erst keiner bauen will und der sein durch andere | |
verpfuschtes Werk dann in die Luft sprengt. Das radikalindividualistische | |
Plädoyer des Romans: Große Werke der Menschheit entstehen nicht aus Liebe | |
zu den Menschen, nicht als kollektives Handeln, sondern aus Liebe zum | |
eigenen Tun, zum eigenen Produkt. | |
Hope Solo ist Einzelkämpferin. Ihr blieb keine andere Wahl. Sie konnte sich | |
auf niemanden verlassen, auf kein Kollektiv. Deswegen, so scheint es, ist | |
es ganz natürlich, dass sie die Eins trägt. Im Tor muss sie sich auf | |
niemanden verlassen. Muss auf niemanden hören. Nur auf sich selbst. Bis | |
letzten Sommer hat sie auch außerhalb des Platzes nur auf sich selbst | |
gehört. Die anderen waren ihr egal. Aber die durch alle Medien begleitete | |
Anklage wegen häuslicher Gewalt hat sie verändert. Das sagte sie jedenfalls | |
vor ihrer Abreise nach Kanada in einem großen Interview mit der | |
amerikanischen Sportsender ESPN. Nach der Anklage nahm sie sich einen | |
Psychologen, entschuldigte sich im Januar öffentlich für ihr Verhalten. | |
„Sie hat sich um 180 Grad verändert“, behauptet ihre Teamkollegin, | |
Stürmerin Abby Wambach. Jahrelang sei Solo mit Kopfhörern und gesenkten | |
Augen in die Kabine gekommen. „Jetzt kommt sie mit einem strahlenden | |
Lächeln rein.“ Abby Wambach zählte zu den stärksten Kritikerinnen von Hope | |
Solo nach der WM 2007. Als Trainer Greg Ryan sie im Halbfinale gegen | |
Brasilien nicht aufstellte, ließ Solo die Welt wissen, was sie davon hielt: | |
„Es war die falscheste Entscheidung in der Geschichte des Fußballs. Und | |
jeder, der irgendwas über das Spiel weiß, weiß das.“ Das Spiel verloren die | |
USA mit 4:0. „Ich zweifle nicht, dass ich die gehalten hätte.“ | |
Von ihren Mitspielerinnen wurde sie dafür isoliert und heftig kritisiert. | |
Rückblickend sagt Abby Wambach heute: „Zu dem Zeitpunkt war ein Bösewicht | |
das, was das Team gebraucht hat.“ Wombach und Solo sind befreundet. Auch | |
wenn sie sich immer wieder anzicken. | |
## Für sie zählt nur der Titel | |
Hope Solo hat es eine von ganz wenigen Frauen geschafft, mit Fußball reich | |
zu werden. Jetzt will sie keine Skandalnudel mehr sein. „Was mache ich | |
falsch? Ich möchte einfach nur als Torhüterin des US-Teams gesehen werden.“ | |
Über ihr Handwerk sagt sie, dass sie nur stolz auf sich ist, wenn die | |
Details, der Blickwinkel, die Positionierung der Hände, die Beinarbeit, | |
stimmen. „Ein Torwart sorgt dafür, dass es leicht aussieht, nicht schwer. | |
Ich will, dass es sauber aussieht.“ | |
Das US-Team hat mit den Gegnern Schweden, Nigeria und Australien die | |
schwerste Vorrunde der WM zu bestreiten. Nach 1991 und 1999 wollen die USA | |
– wie die Deutschen (2003, 2007) – unbedingt den dritten Stern. Die | |
„US-Girls“ sprechen anders als die Deutschen offen aus, dass für sie nur | |
der Titel zählt. In den Worten Wambachs: „Wir sind dran.“ | |
Und Hope Solo ist dran. Egal, ob aus ihr nun eine Teamplayerin geworden ist | |
oder ob sie immer noch solo spielt. Sie will endlich den Weltmeistertitel. | |
Es ist davon auszugehen, dass sie dafür alles gibt. Damit die Welt endlich | |
von ihr sagt: Sie ist die Torhüterin des US-Teams. | |
8 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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