| # taz.de -- Kunstrasen bei der Fußball-WM: „Das ist ein Albtraum“ | |
| > Der Kunstrasen ist heiß und erhöht die Verletzungsgefahr. Es geht auch um | |
| > Gleichberechtigung: Männer spielen immer auf Gras. | |
| Bild: Südkorea – Brasilien am 9. Juni: Das macht auf Kunstrasen gleich noch … | |
| EDMONTON taz | Kevin Koby ist um seinen Job dieser Tage nicht zu beneiden. | |
| Koby ist der Chef des Commonwealth Stadium in Edmonton und damit so etwas | |
| wie der Herr über den Fußballrasen. Über den Kunstrasen genauer gesagt, | |
| denn die Fußball-WM in Kanada wird auf Geheiß der Fifa ja auf Plastik | |
| gespielt. | |
| „Der Kunstrasen in unserem Stadion ist in einer exzellenten Verfassung“, | |
| verspricht Koby und streicht mit der Hand fast zärtlich über die | |
| störrischen Stoppeln. 800.000 Dollar hat Koby für den neuen Hightech-Rasen | |
| ausgegeben, der für einen höheren Spielkomfort mit mehreren Ladungen | |
| Plastikgranulat angereichert wurde. | |
| Am Anfang schien auch alles gut zu werden mit dem Belag, der eigens zur WM | |
| installiert wurde. Die kanadische Spielführerin Christine Sinclair lobte | |
| vor dem Eröffnungsspiel den „Turf“, Torhüterin Erin McLeod sprach von gut… | |
| Qualität, und die Funktionäre der Fifa und des kanadischen Verbands | |
| hofften, damit sei das unliebsame Thema ein für alle Mal erledigt. | |
| ## Satte 49 Grad Celsius | |
| Doch es kam anders. Seit ein US-Reporter [1][beim Eröffnungsspiel Kanada | |
| gegen China (1:0) am Samstag im Commonwealth Stadium] einmal die | |
| Temperaturen maß und das Ergebnis auf Twitter veröffentlichte, ist die | |
| Kontroverse zurück. Auf satte 49 Grad Celsius hatte sich die | |
| Plastikoberfläche erhitzt, und das bei moderaten 23 Grad in der Luft. In | |
| den anderen Stadien sah es nicht viel besser aus. | |
| „Das ist ein Albtraum“, wetterte US-Stürmerin Abby Wambach nach dem | |
| 3:1-Auftaktsieg ihrer Mannschaft über Australien in Winnipeg. | |
| Bundestrainerin Silvia Neid drückte es [2][nach dem 10:0-Schützenfest der | |
| Deutschen gegen die Elfenbeinküste] so aus: „Der Rasen ist sehr stumpf und | |
| voller Granulat. Wenn man ihn gesprengt hat, ist er in fünf Minuten wieder | |
| trocken. Es ist schade um das Wasser.“ | |
| Tatsächlich sprenkeln die Verantwortlichen den Kunstrasen vor jedem Spiel, | |
| um die Hitze zu dämpfen und die Füße der Spielerinnen zu schonen. Mit einem | |
| Viertelzoll Wasser, wie Edmontons Stadionchef Koby voller Stolz erklärt. | |
| Umgerechnet sind das etwa sechs Millimeter Feuchtigkeit, doch die ist | |
| offenbar nicht mehr wert als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. | |
| Dazu kommt die Verletzungsgefahr. „Auf Kunstrasen zu spielen verändert | |
| alles. Der Ball springt anders, und man überlegt sich, ob man wirklich in | |
| ein Tackling gehen oder grätschen soll, weil man sich dann blutige Knie | |
| holt oder sich die Hüfte aufschürft“, beschwerte sich Wambach nach dem | |
| ersten Match in Winnipeg. | |
| Funktionäre und Hersteller bestreiten die Probleme, halten den Belag für | |
| langlebig und sicher. Doch bei der Kontroverse geht es längst um mehr als | |
| Schweißfüße oder „Turfburn“, wie in Nordamerika Verletzungen und | |
| Schürfwunden genannt werden, die auf stumpfen Spielflächen entstehen. | |
| Für viele Spielerinnen geht es schlicht um Gleichberechtigung. „Männer | |
| wären bei Kunstrasen schon längst in Streik getreten“, hatte sich Wambach | |
| vor der WM beschwert. Angeführt von Wambach und der deutschen Torhüterin | |
| Nadine Angerer, hatten 40 Nationalspielerinnen versucht, die Fifa zum | |
| Einlenken zu bewegen. [3][Zunächst mit einer Petition, dann mit einer | |
| Klage.] Ohne Erfolg. | |
| ## „Der Kunstrasen ist eine Beleidigung“ | |
| Tatsächlich ist bisher noch keine einzige WM der Männer auf Kunstrasen | |
| ausgetragen worden. Bei den beiden Turnieren in Russland 2018 und Katar | |
| 2022 wird ebenfalls auf natürlichem Grün gespielt. Die kanadische | |
| Männermannschaft hatte sich zuletzt offen geweigert, bei | |
| Qualifikationsspielen auf Plastikrasen aufzulaufen. | |
| „Der Kunstrasen ist eine Beleidigung“, schrieb John Doyle von der Zeitung | |
| Globe and Mail, einer der bekanntesten Fußballexperten in Kanada. „Wer | |
| Frauen zwingt, auf Kunstrasen zu spielen, der legt nahe, dass auch die | |
| Sportart künstlich ist. Eine Art Plastikversion des echten Fußballes, den | |
| Männer selbstverständlich nur auf Gras spielen.“ | |
| Viele kanadische Nationalspielerinnen sehen das im Grunde genauso, obwohl | |
| sie künstliche Oberflächen gewohnt sind, denn die sind in Kanada wegen der | |
| langen Winter weiter verbreitet als in Europa. Mit Rücksicht auf ihren | |
| Verband äußern sie sich aber nur hinter vorgehaltener Hand: „Wir müssen uns | |
| mit der Spielfläche wohl abfinden“, meinte eine von ihnen. Denn im Verband | |
| haben – wenig überraschend – fast nur Männer das Sagen. | |
| 10 Jun 2015 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jörg Michel | |
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