# taz.de -- Fotoband zur Post-Apartheid in Südafrika: Die Frau, die ihre Zwill… | |
> Reiner Leist dokumentiert in seinem neuen Bildband den Wandel in | |
> Südafrika. Ein Follow-up, 20 Jahre nach dem Ende der Rassentrennung. | |
Bild: Glory Badirileng mit ihren Zwillingen nahe Matibidi 1992. Links auf dem A… | |
Die Anordnung der Fotografien ist auffällig. Das erste Bild, eine | |
Farbaufnahme, zeigt einen jungen Afrikaner in ärmlicher Kleidung, der an | |
einer Verkehrsinsel wartet. Das nächste Bild, ein Porträt, ein | |
schwarz-weißes Querformat, setzt nahtlos am rechten Seitenrand an und wird | |
dann ein kurzes Stück über den Falz hinweg auf die linke Seite gedruckt. | |
Schlägt man die Seite um, erkennt man, dass es auch auf der nächsten Seite | |
ein kleines Stück weitergedruckt wurde. Dann folgt ein Textblock, und nun | |
ist es ein farbiges Querformat, das am rechten Seitenrand ansetzt und über | |
die Knickkante nach links läuft bis kurz vor den Textblock. Das farbige | |
Porträt freilich setzt sich nicht auf der nächsten Seite fort. | |
Die Aufmachung des Bildbandes „Another Country. South Africa: New | |
Portraits“ erklärt schon ein wenig die Geschichte des Buches und die des | |
Künstlers Reiner Leist. Sie liegt im Fortwirken der Schwarz-Weiß-Aufnahmen; | |
in ihrer Aufforderung, ein großartiges Projekt noch einmal aufzunehmen und | |
es in neuen Farbaufnahmen zu beenden. | |
1988 war Reiner Leist, er studierte noch an der Akademie der Künste in | |
München, nach Südafrika gereist, eine Erfahrung, die bei ihm den Plan einer | |
besonderen Dokumentation reifen ließ. Er wollte die Menschen fotografieren, | |
die er getroffen hatte, und er wollte ihre Sicht auf das Land im Umbruch im | |
Gespräch aufzeichnen. | |
## Die Mutter der Zwillinge, wieder gefunden | |
Also machte sich der Zeichner daran, zu fotografieren und die Menschen | |
kennenzulernen, die dann in seinem 1993 veröffentlichten Band „South | |
Africa: Blue Portraits“ zu Wort kamen: gewöhnliche Menschen wie Denis | |
Brookstein, ein Museumswächter in der Johannesburg Art Gallery, oder ein | |
prominenter Kirchenmann wie der Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu. | |
Das Buch, das kurz vor den Parlamentswahlen 1994 erschien, bei denen die | |
schwarze Bevölkerungsmehrheit erstmals stimmberechtigt war, stieß auf große | |
Zustimmung. Das Projekt war für Reiner Leist ein Erfolg und abgeschlossen. | |
Dass er es jetzt, rund zwanzig Jahre danach, noch einmal aufnehmen und noch | |
einmal nachfragen konnte, was aus den Menschen wurde, die er getroffen | |
hatte und die ihm ihre Sicht der Dinge geschildert hatten, ist ein | |
Glücksfall. | |
Eine der beeindruckendsten Aufnahmen der Blue Portraits war das von Glory | |
Badirileng Maebela, die ihre Zwillinge stillte. Als Reiner Leist sie wieder | |
ausfindig macht, lebt sie mit ihrem Sohn auf dem Land in der Nähe von | |
Matibidi, während die Tochter in Mpumalanga die Universität besucht und | |
dort bei ihrem Vater lebt. Der Sohn hat das Aufnahmeexamen nicht geschafft | |
und der Familie fehlt das Geld für seinen Collegebesuch. | |
## Bildungspolitik nach der Apartheid | |
Die Tochter ist erfolgreicher, allerdings berichtet sie, dass sie an | |
Krampfanfällen leidet und daher die Öffentlichkeit scheut. Wenn sie über | |
ihr Marketing- und Kommunikationsstudium spricht, wird sie lebhaft und | |
berichtet von ihrer Kampagne zu Teenager-Schwangerschaften, für sie ein | |
großes Problem des heutigen Afrikas. Bildung und Erziehung sieht auch einer | |
der Prominenten im Buch, der Fotograf David Goldblatt, als den kritischen | |
und entscheidenden Punkt im Südafrika nach der Apartheid. | |
Zu seinem Bedauern hat aber die Erziehung und Ausbildung der jungen Leute | |
keine Priorität für die ANC-geführte Regierung. Die Leute sind heute | |
genauso ungebildet wie zu Apartheidzeiten. Das Buch stützt seine Kritik. | |
Dort wo es Chancen auf Bildung gab, wurden die Hoffnungen wahr und die | |
Töchter der Hausangestellten Lizzi Mangena sind nun Rechtsanwälte oder | |
Rechnungsprüfer in einem großen Konzern. Dort wo Bildungschance nicht | |
vorhanden oder nicht wahrgenommen wurden, gelingt den Protagonisten keine | |
rechte Entwicklung. | |
Aber Entwicklung ist auch eine Frage der Zeit. Dafür ist Reiner Leist | |
selbst der Beleg. Seine Farbaufnahmen, das wird im Band deutlich, erreichen | |
lange nicht die Eindringlichkeit der alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Man | |
könnte sagen, er sei kein Farbfotograf. Man kann aber auch vermuten, dass | |
Zeitdruck der Grund des sichtbaren Leistungsabfalls ist. Als Student in den | |
1990er Jahren nahm er sich sechs Jahre Zeit für sein Projekt der Blue | |
Portraits. Diesen notwendigen Luxus gibt es zwanzig Jahre später nicht | |
mehr. | |
31 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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verfilmt. |