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# taz.de -- Politischer Friseursalon in London: Locken als Rebellion
> Der Friseursalon „Back to Eden“ ist eine Institution der karibischen
> Exilgemeinde in Südlondon. Ein Besuch bei einem wichtigen Ort der
> Reggae-Kultur.
Bild: Akribische Fingerarbeit beim Dreadlocks-Friseur „Back to Eden“ in Sü…
„Back to Eden“ heißt einer der unzähligen Friseursalons in Südlondon, und
aus der Ferne betrachtet wirkt er unscheinbar. Aber der Schein trügt.
Hinter dem vergitterten Schaufenster verbirgt sich ein Original. Für manche
Menschen ist er geradezu überlebenswichtig. Zwar kommt nicht Königin
Elizabeth II., um sich die Haare ondulieren zu lassen – noch nicht –, aber
einige der bekanntesten Kunden haben für die Bewohner Südlondons einen
ebenso aristokratischen Status, Rita Marley etwa und andere Angehörige der
Marley-Familie. Sie alle lassen sich hier ihre Rastalocken pflegen.
Es ist eine anstrengende und akribische Fingerarbeit, die bei „Back to
Eden“ von Dienstag bis Samstag geleistet wird (Waschen und Dampfbehandlung
der Locks ab 30 Pfund). Hinter einer Boutique-Sektion, auch sie gehört zum
Laden, mit eleganten, zum Teil in Handarbeit angefertigten Kleidungsstücken
im afrikanischen Look, befindet sich das Reich, das Cynthia McDonald sich
vor fast drei Jahrzehnten erschuf.
Es ist wenige Quadratmeter groß und umfasst vier höhenverstellbare
Friseursessel an Tischen mit ovalen Spiegeln mit angeschlossenem
Haarwaschbecken. An den Wänden prangen Bilder afrikanischer Könige und
Königinnen, dazu Utensilien und Figuren, die alle etwas mit dem Kontinent
zu tun haben. Zwei Kunden sind anwesend.
Ursprünglich hatte die Besitzerin ganz andere Pläne. „Ich wollte
Leichtathletin werden“, sagt Cynthia McDonald mit tiefer Stimme. Sie ist
schlank, trägt kein Make-up und mit schwarzem Pullover und einen
grauschwarzem Rock bekleidet. Unter einer schwarzen Baskenmütze schauen
lange dünne Locken hervor. „Ich war sogar Südlondoner Champion, aber mein
Vater wehrte sich gegen meine Sportkarriere.“
## Serie „Roots“ als Augenöffner
Cynthia McDonald stammt aus Jamaika. Bis in die frühen siebziger Jahre
wuchs sie in einer ländlichen Region auf der Insel auf, erst im
Teenageralter zog sie nach London. Es dauerte nicht lange, bis sie sich im
radikalen Flair der Achtziger gegen den Konservatismus ihres karibischen
Elternhauses wandte. Es waren Jahre, in denen sich junge Menschen mit
afrikanisch-karibischem Hintergrund gegen die weitverbreiteten Vorurteile
der britischen Gesellschaft zu wehren begannen. „Ich wurde zuversichtlicher
wegen meiner Hautfarbe, sie machte mich politisch bewusster“, erzählt sie.
Die Filmserie „Roots“ nach dem gleichnamigen Roman von Alex Haley war ein
Augenöffner.
Cynthia McDonald wurde Teil der Londoner Clubszene der achtziger Jahre, ihr
nächtliches Engagement fand jedoch ein schnelles Ende. Gerade einmal 19
Jahre alt, bekam sie ihr erstes Kind und lebte mit ihrem Freund in einer
kleinen Mietwohnung. Bald stand sie auf einem der kleinen Märkte und
verkaufte selbstgenähte Kinderkleider mit einer Freundin. „Bei dem kalten
Wetter entwickelten wir bald den Wunsch nach einem eigenen Laden.“
Mit dem neuen politischen Bewusstsein bekannten sich Afrobriten zum
Rastafarianismus und ließen sich Dreadlocks wachsen, auch ihr Freund
gehörte dazu. „Für uns waren Locken das Symbol von Rebellion“, erzählt s…
„Wir lernten afrikanische Geschichte und bekannten uns zur stolzen
Vergangenheit.“ Cynthia McDonald schildert, wie ihr schließlich die Idee
kam, einen Salon aufzumachen, in dem sie sich um die Pflege von Dreadlocks
kümmern würde, „inklusive Ölen und Kräutern aus eigener Herstellung“.
## Dreckige Dreads
Auch heute riecht es im Salon nach Heilkräutern, besonders um eine
Haardampfhaube herum, unter der eine Frau sitzt, die in ihrem Kindle liest.
Cynthia McDonald deutet auf einen vieldiskutierten Zeitungsartikel aus dem
Jahr 1986. Auf der rechten Seite ist ein Foto von Premierministerin
Margaret Thatcher platziert, das einen Bericht über Sanktionen gegen das
Apartheidregime in Südafrika bebildert, auf der linken Seite steht die
Schlagzeile „Cynthia’s New Rasta Salon“.
„Zu Beginn war es schwer“, sagt sie. Das habe vor allem am Widerstand aus
den eigenen Reihen gelegen. „Manche Afrobriten behaupteten, Dreads seien
dreckig, daher auch der Name, dread locks, furchterregende Locken.“ Eine
Herausforderung war zudem die Akzeptanz der natürlichen Haarstile ohne
Chemikalien. Und dann behaupteten einige Rastafaris auch noch, dass
Dreadlocks unbehandelt bleiben müssten; man dürfe sie nicht anfassen, schon
gar nicht dürfe das eine Frau.
Als ihr Schwager, der Rootsreggae-Musiker Jah Shaka, einen
Black-Culture-Shop im Südlondoner Stadtteil New Cross eröffnete, bekam
Cynthia McDonald die Möglichkeit, dort ihre Lockenbehandlung durchzuführen.
„Es dauerte Wochen, bis jemand bereit war, seine Dreadlocks behandeln zu
lassen“, sagt sie.
## Auf den Seiten der Modemagazine
Doch dann erhielt ihre Geschäftsidee musikalische Schützenhilfe. Das
Debütalbum von Soul II Soul hatte großen Erfolg und damit auch der
Funky-Dread-Look der Künstler. Es war das Jahr 1989, Dreadlocks waren
plötzlich der letzte Schrei. Bevor Cynthia McDonald wusste, wie ihr
geschah, fand sie sich auf den Seiten der führenden Modemagazine
Großbritanniens wieder, im Fernsehen von BBC wurde über ihren Salon
berichtet. Zunehmend kamen auch Kunden mit blonden Haaren, die Locks tragen
wollten. „Back to Eden“ war etabliert.
Ihren Grundprinzipien natürlicher Behandlungsmethoden blieb Cynthia
McDonald seitdem treu, „ohne Haarfärbemittel, Messer oder andere die Haare
beschädigende Werkzeuge“, verkündet sie stolz.
Mit schnellen Umdrehungen, bis zu drei pro Sekunde, werden die Haare im
Twist gedreht. Das Resultat sind natürliche und dünnere Locken, die nicht
an der Haarwurzel ziehen und sich in viele Stile formen lassen, etwa nach
oben oder hinten gesteckt.
Cynthia McDonald ist lang genug im Friseurgeschäft, um auch Widersprüche
von Haartrends zu erkennen. Waren die Locks in den Siebzigern und
Achtzigern ein Weg aus den chemischen Behandlungsmethoden, wurden sie in
den neunziger Jahren so populär, dass heute bei den meisten wieder Chemie
benutzt wird. „Das schädigt die Haare“, sagt Cynthia.
## Die Beziehung war vorbei, die Frisur blieb
Die Qualität beim natürlichen Twist ist ihr so wichtig, dass sie es bis
jetzt nicht schaffte, vertrauenswürdige MitarbeiterInnen zu finden, um
weitere Filialen aufzumachen, sagt sie. So bleibt sie einer der wenigen
ExpertInnen in London, wenn es um Dreadlocks geht. Sie hofft: „Mit etwas
Glück wird jemand aus meiner Familie weitermachen, wenn ich nicht mehr
kann.“ Noch hat sie aber nicht genug, auch wenn die langen Tage schwerer
werden.
Sie würde die „wundervollen Kunden in ihrem Laden vermissen“, sagt sie,
während sie Susan Whitnell, 57, ein grünes flüssiges Mittel in die Haare
über dem Waschbecken massiert. Für Susan und ihre schwarzen schulterlangen
Locks begann alles mit einen Freund, der ein Rasta war. Die Beziehung ist
längst vorbei, die Frisur blieb. Seit mehr als sechs Jahren kommt sie nun
extra aus Ostlondon ins „Back to Eden“. „Ich bekomme viel Anerkennung für
meine Haare“, sagt sie.
Am Tisch gegenüber sitzt Rodney Green aus Nordlondon, er erzählt, dass er
sich seine Locken vor 15 Jahren habe stehen lassen. „Es passt zu meinem
Lebensstil, ich bin ein positiver Mensch“, sagt er. Der Postbeamte, Mitte
vierzig, erzählt, dass er großen Wert auf sein Äußeres lege. Das habe er
von der Generation seiner jamaikanischen Eltern übernommen. Nachdem Cynthia
McDonald seine Locken gewaschen und neu gedreht hat, lässt sich Rodney
Green die Locks zu einem Zopf nach hinten flechten.
## „Hier bin ich immer willkommen“
Die Lehrerin Patricia Quow, 55, sie ist die Dame, die unter der Dampfhaube
saß, hat einen anderen Grund für ihre Locken, die ihren gesamten Rücken
hinunterreichen. „Als ich vor vielen Jahren Mutter wurde, brauchte ich
einen unkomplizierten Stil, der sich im Nu herstellen lässt.“
Nun pilgert sie schon seit zwanzig Jahren zu Cynthia McDonald, genau wie
Landy Richmond, 56, dessen Locks ihm fast bis zu den Hüften gehen. Der
wohlbeleibte freundliche Mann hat einen weiteren Grund für seinen
Aufenthalt hier: Was hier geschehe, sei Therapie. „Nach jedem Besuch im
Eden fühle ich mich wie neu geboren.“
Auch seine Kinder hat er mitgebracht. Sie sitzen am Tisch und malen,
während Papa seine Therapie erhält. Cynthia McDonald lächelt geschmeichelt,
als Rodney noch einen draufsetzt. „Hier bin ich immer willkommen, wir reden
über Politik, Probleme und allerlei anderes, aber sollte ich mal Ruhe
brauchen, wird das genauso respektiert.“ Er nennt Cynthia und „Back to
Eden“ Familie, ohne Familie zu sein. Alle Anwesenden stimmen dem zu. Back
to Eden, mindestens alle sechs Wochen!
28 Jun 2015
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
## TAGS
Apartheid
Friseure
London
Reggae
Apartheid
Kino
Schriftsteller
Schwerpunkt Rassismus
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