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# taz.de -- Kamera als Schutzschild: Von der Erde zu den Wolken
> Im Museum „Kunst der Westküste“ auf Föhr sind dieser Tage die
> melancholisch-sensiblen Syltfotografien von Bleicke Bleicken zu sehen.
Bild: Badende auf Sylt: fotografiert, als sich Bleicke Bleicken noch den Mensch…
taz | Wasser spritzt hoch, nur mühsam scheinen sie ihre Pferde zu führen:
vier Reiter und eine Reiterin, wie sie ihre Pferde sich in der Brandung
abkühlen lassen. Ein ausdrucksstarkes Foto, abgelichtet 1925, auf einer
zehn mal 15 Zentimeter großen Glasplatte. Nur hat es zwei Autoren: Richard
Wassermann und Bleicke Bleicken.
Zwei junge Männer, die auf dem Weg sind, Fotografen zu werden und die sich
dabei ihrer Heimat Sylt verschreiben. Dieses Bild voller Kraft aber wird
sie auseinander bringen. Denn eines Tages verkauft Wassermann einen Abzug
davon – und gibt das Werk als sein alleiniges aus. Zu Recht? Zu Unrecht?
Die beiden Männer sollen jedenfalls nie wieder ein Wort miteinander
gesprochen haben.
Und so hängt dieses Bild von allen anderen abgehoben durch einen dunklen
Rahmen im Museum „Kunst der Westküste“ im Ort Midlum auf Föhr, wo derzeit
etwas mehr als 80 Fotografien Bleicke Bleickens zu sehen sind, eine erste
Auswahl sozusagen. Denn Bleickens Bestand wird auf mehr als 3.500 Aufnahmen
geschätzt. Vieles kursierte in seiner weitläufigen Familie dank Kinder und
Kindeskindern.
Bis eines Tages seine Tochter Anke Bleicken sich auf den Weg machte, das
verstreute Werk ihres Vaters zu ordnen und dann der Öffentlichkeit neu
zugänglich zu machen. „Ich bin früh von zu Hause ausgezogen, nicht im
Streit, es ergab sich einfach so“, sagt sie. „Doch später wurde mir klar,
dass ich kaum etwas über seine Gründe, Fotograf zu werden, wusste.“
Bleicke Bleicken wird im Oktober 1898 auf Sylt geboren. Sylt ist damals
eine abgeschiedene, karge Insel, denn noch gibt es keinen Bahndamm zum
Festland. Unter den Gästen, die kommen, finden sich großstadtmüde, aber
tatendurstige Künstler, die sich vorwiegend während des Sommers hier
niederlassen. Die etwa ein Zimmer in der „Friesenhalle“ mieten, einem
großen Gasthof in Keitum, den Bleicke Bleickens Eltern führen.
So kommt der heranwachsende Bleicken in Kontakt mit Schriftstellern, Malern
und auch Fotografen. Er lauscht ihnen, lässt sich Entwürfe, Skizzen oder
auch fertige Werke zeigen und wächst in einer spannungsreichen Atmosphäre
auf: Einerseits sind da die schwer arbeitenden und wortkargen Inselbauern
und Fischer, andererseits die durchaus auskunftsfreudigen Großstädter.
Wichtig wird für ihn die Begegnung mit dem 25 Jahre älteren Theodor Möller
werden: Fotograf, Heimatforscher, ab 1904 Leiter der
Lichtbilder-Sammelstelle in Kiel – und von Haus aus Lehrer. Diese
Kombination gefällt auch Bleicken. Und er wird – Lehrer. Geht im Frühjahr
1914 nach Tondern ans dortige Lehrerseminar. Bis der Erste Weltkrieg sein
Studium unterbricht.
Sein Vater wird mit Kriegsbeginn eingezogen, auch er selbst wird Soldat,
landet an der Westfront – und wird nie groß über die dort erlebten
Schrecknisse und Grausamkeiten erzählen. Als er aus dem Krieg zurückkommt,
liegt seine Welt auch persönlich gesehen in Trümmern: Sein Vater hat das
Schlachten nicht überlebt, seine Mutter muss den Friesenhof verkaufen. In
mehrfacher Hinsicht dürfte für ihn die Heimat weggebrochen sein. Er wird
mit der geschulterten Kamera einiges unternehmen, um sie wieder
herzustellen; wird bald als der Mann bekannt werden, der nie ohne seine
Kamera unterwegs ist. Wobei besonders bei seinen frühen Studien von
Stranddetails oder Wellenformationen der Einfluss der Fotografen der Neuen
Sachlichkeit wie des Wattfotografen Alfred Ehrhardt sichtbar wird.
Zunächst aber beendet Bleicken sein Lehrerstudium. Er findet eine magere
Anstellung in Hörnum: als Lehrer der drei Leuchtturmwärterkinder. Zugleich
hält er den Kontakt zu Theodor Möller und gründet eine Familie. Er
fotografiert das ländliche Leben vom Schafescheren bis zu Frauenbildnissen
in Friesentracht, zeigt die verschneite Insel, so dass die Stille sichtbar
wird. Bald widmet er sich auch den ersten, noch überschaubaren
Badegesellschaften, wie sie das Strandleben prägen: Wattwanderer,
Gymnastikgruppen, Feriengäste.
Während der NS-Zeit wird Bleicken Sylt verlassen: Er bekommt eine
Anstellung in einem kleinen Ort nahe Bad Segeberg und wird Leiter des
dortigen Kreisbildarchives. Wie er auch mit Blick auf seine Prägung durch
die Schule der Neuen Sachlichkeit zu den Nationalsozialisten stand, darüber
gibt es noch keine belastbaren Aussagen. Fakt ist, dass er vor der
Machtübernahme der NSDAP noch schnell dem Stahlhelm beitritt, dem
deutsch-national ausgerichteten und republikfeindlichen Sammelbecken
ehemaliger Soldaten des Ersten Weltkrieges.
„Mein Vater konnte wunderbar erzählen, er konnte sehr unterhaltsam sein,
aber er hat dabei zugleich wenig von sich preisgegeben“, erzählt seine
Tochter. „Im Nachhinein denke ich, dass er sich ein Stück weit hinter
seiner Kamera versteckt hat; dass sie ein Schutzschild war gegen das ganze
Leben.“
1947 kehrt er zurück nach Sylt. Er arbeitet weiter als Lehrer,
fotografiert, versorgt auch das Tourismusgewerbe mit Bildmaterial und hält
Lichtbildervorträge. Zunehmend zeigen seine Bilder jetzt windzerzauste
Kiefern, Holzreste im Wasser, die Wolkenlandschaften über seiner Insel, oft
gespiegelt im Wasser. „Sein Blick ging von der Erde immer mehr hoch in den
Himmel“, beschreibt seine Tochter seinen Hang, sich dem Wandel der Insel zu
entziehen. Seine Bilder tragen nun Titel wie „Warten auf Sonne“,
„Abendlicht II“ oder auch klar: „Gegenwind“.
„Ihn prägt eine kulturkonservative Haltung“, sagt Ulrike Wolff-Thomsen,
Leiterin des Museums Kunst der Westküste. Er habe nicht das mondäne, nicht
das schicke Sylt gezeigt. „Alles, was es in den 50er-Jahren schon gibt, das
hat er komplett aus seinen Fotografien getilgt und gar nicht in den Blick
genommen“, sagt Wolff-Thomsen.
Weshalb es passt, dass er sich nach seiner Pensionierung 1962 mit
Leidenschaft in die Lokalpolitik wirft, eine freie Wählergemeinschaft
mitgründet und sogleich ehrenamtlicher Bürgermeister von Kampen wird – bis
1973. Den Umbau von Sylt weg von einer spröden Idylle hin zu einem
quirlig-überdrehtem Ferienort – er wird ihn, wie wir heute wissen, nicht
aufhalten.
## Die Ausstellung endet am 12. Juli. Im Kehrer Verlag ist der Bildband
„Sylt – meine Insel“ erschienen
19 May 2015
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Fotografie
Fotografie
Apartheid
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