# taz.de -- Ausstellungen norwegischer Fotografie: Kalter Wind, starke Bilder | |
> Auf Föhr erzählen die Ausstellungen von Ingun Alette Mæhlum und Kåre | |
> Kivijärvi vom Wandel der norwegischen Fotografie. | |
Bild: Norwegische Abgeschiedenheit: Auf der Insel Tussøy leben nur noch sieben… | |
HAMBURG taz | Ob man es aushalten würde? Ob man sich daran gewöhnen könnte? | |
An die Dunkelheit und noch mehr an die Kälte, die schnell unerträglich sein | |
dürfte, wenn der Wind vom Meer oder von den schneevereisten Bergen entlang | |
der Küsten nicht nur weht, sondern braust. Oder muss man von dort kommen, | |
aus dem nördlichsten Norden, es einfach gewohnt sein, dass das Klima so | |
unwirtlich ist, wie es nun mal ist. Wie der Mann, der durch den Schneesturm | |
geht, die Arme weit ausgebreitet, um das Gleichgewicht einigermaßen zu | |
halten; in der Ferne die vagen Umrisse eines Hauses, das er hoffentlich | |
heil erreichen wird, ein Bewohner der Insel Tussøy, weit oberhalb der | |
Lofoten gelegen. | |
Die in Tromsö lebende Fotografin Ingun Alette Mæhlum wurde 2009 von der | |
norwegischen Tageszeitung Norwegian Business Daily auf just diese Insel | |
geschickt, um Bilder mitzubringen von einem Eiland, dass nur zehn | |
Quadratkilometer groß ist und das von nur noch sieben Menschen bewohnt | |
wird. Die wiederum auf drei Autos, sieben Traktoren und fünf Quads | |
zurückgreifen können, dazu kommen jede Menge Schafe, die | |
Haupteinnahmequelle der Insulaner ist die Schafzucht, gut bezahlt von der | |
örtlichen Kommune. Sonst wäre wohl niemand mehr dort. | |
Tussøy hat Norwegens teuerste Fähranbindung an das Festland, der Staat | |
schießt zu jedem Fährticket 2.000 norwegische Kronen dazu, das sind | |
umgerechnet etwa 210 Euro. Und auch wenn Norwegen als Land viel Geld hat, | |
so richtig satt Geld, wird auch im reichen Norwegen hin und wieder | |
diskutiert, ob man sich diese und andere vergleichbare Fährverbindungen | |
noch leisten will und wenn ja, dann möchten die Norweger und Norwegerinnen | |
auch mal sehen, was dann da ist und wer da so lebt. | |
Nach Tussøy also fuhr Ingun Alette Mæhlum, nahm dazu die so teure und | |
notwendige Fähre, sie fuhr wieder zurück. Und sie kam wieder: um noch | |
einmal zu fotografieren, im Frühjahr, im Sommer, im Herbst und im Winter, | |
nun mit mehr Zeit und Muße ausgestattet. Und sie machte Bilder, die auf | |
ganz eigene Weise das Leben auf einem Flecken Erde dokumentieren, der im | |
Grunde für die Anwesenheit von Menschen nicht gemacht zu sein scheint, | |
dabei gilt es als belegt, dass schon zur Eisenzeit, also ab 750 vor | |
Christus, hier Menschen lebten. | |
Zu sehen sind ihre Arbeiten unter dem schlichten Titel „Tussøy“ als Teil | |
der Sonderausstellung „Norway Contemporary!“ nun im Museum Kunst der | |
Westküste und damit mitten auf Föhr. | |
Es sind ganz wunderbare Schwarz-Weiß-Aufnahmen, in denen sie sich dem | |
Alltag auf Tussøy nähert: Wir schauen den Bewohnern beim Grillen zu und | |
beim Arbeiten, das nicht einfach von der Hand gehen dürfte; wir sehen, wie | |
sie feiern, und wir blicken in ihre üppig dekorierten Wohnstuben, in denen | |
sich keinesfalls die Schroffheit der sie umgebenden Landschaft | |
wiederfindet. | |
Wir sind dabei, wie sie aus dem Fenster schauen in diese Welt, die im | |
Sommer so entspannt wirken kann und im Winter so lebensfeindlich, die | |
sieben Menschen, die übrigens Namen haben und also sind: Svein, Synnøve, | |
Ragnvald, Olly, Håkon und dann noch Robert und Gunn-Heidi. Und es passt, | |
dass Mæhlum ihre Fotoarbeiten lediglich durchnummeriert hat, auf | |
illustrierende Titel verzichtet, die sind auch gar nicht nötig. | |
## Ausflug in kalte Gefilde | |
Es gibt noch einen zweiten, gewichtigen Grund, in Dagebüll bei Niebüll die | |
Fähre nach Föhr zu nehmen, um so zum Westküstenmuseum zu gelangen: Denn | |
dort ist neben Mæhlums Ausflug nach Tussøy auch die Fotoausstellung | |
„Northern Norway“ von Kåre Kivijärvi zu bestaunen. | |
Auch dies ist ein Ausflug in kalte Gefilde, in die Finnmark, an die Küsten | |
der arktischen See und dann weiter raus aufs Wasser. Wobei sogleich | |
auffällt, dass Kvijärvi nicht unbedingt ein typisch norwegischer Nachname | |
sein dürfte, sondern weit eher finnisch klingt. Und damit ist man schon | |
mitten drin in der Lebensgeschichte des Fotografens, dessen Werke hier auf | |
Föhr das erste Mal in einem deutschen Kunstmuseum ausgestellt werden – | |
wobei Kivijärvi das Wort Kunst mit Sicherheit gefallen hätte. | |
Er gehörte zur Volksgruppe der Kvenen, ursprünglich Fischer, die im 18. und | |
19. Jahrhundert von Finnland aus in den Norden Norwegens umsiedelten, dort | |
eine Community bildeten. Bis heute sprechen die Kvenen eine eigene Sprache, | |
dem Finnischen weit verwandter als dem Norwegischen. Lange wurden sie | |
ähnlich misstrauisch beäugt bis handfest diskriminiert wie die Samen, und | |
wie diese bekamen die Kvenen erst unendlich spät vom norwegischen Staat den | |
Minderheitenstatus zugebilligt: 1998 nämlich. Kvenisch als eigene Sprache | |
ist erst seit 2005 anerkannt. | |
## Fischerdörfer in Nordnorwegen | |
In diesem Spannungsfeld wächst Kivijärvi, 1938 geboren, in Hammerfest auf. | |
Er absolviert eine klassische Lehre als Zeitungsfotograf, ist später bei | |
der norwegischen Luftwaffe für Luftaufnahmen zuständig. Kehrt zurück in die | |
zivile Zeitungswelt, fotografiert und berichtet für die Wochenzeitung | |
Viikkosanoma und die Tagszeitung Helsingin Sanomat und schreibt auch die | |
Texte zu seinen Bildern. | |
Zwischendurch studiert er Fotografie in Deutschland. Zunächst 1958 an der | |
Kunstschule für Gestaltung in Saarbrücken, dann an der Folkwangschule in | |
Essen, was an Otto Steinert lag, der erst in Saarbrücken und dann in Essen | |
unterrichtete und dessen Konzept der subjektiven Fotografie mit Rückgriff | |
auf die Fototradition der experimentell gesinnten Bauhaus-Fotografen für | |
Kåre Kivijärvi stilprägend und entscheidend wird. | |
So gerüstet kehrt er zurück und fotografiert und beschreibt in den 60ern | |
und 70ern das unkomfortable, aber in sich ruhende Leben in den | |
Fischerdörfern Nordnorwegens – drei Jahre fährt er immer wieder auf den | |
Trawlern der Schleppnetzfischer mit, zeigt den Alltag an Bord, mit leichtem | |
Hang zur Idealisierung harter, körperlicher Arbeit. | |
## Lange Schaffenskrise | |
Dann aber lähmt ihn lange eine Schaffenskrise, die er ab Mitte der | |
1980er-Jahre auf eine eigenwillige, im Grunde aber konsequente Weise | |
überwindet: Er geht mit seinen Negativen von einst in die Dunkelkammer. Und | |
er tritt mit neuen Arbeiten zurück ins Helle. | |
Er verstärkt die Schwarz-Weiß-Kontraste, er nivelliert die Grautöne, bis | |
seine Bilder fast an Holz- oder fast schon Scherenschnitte erinnern. Er | |
zieht seine für Zeitungen und Magazine gedachten kleinformatigen Bilder | |
großformatig auf, wandert so vom Dokumentarischen zum Abstrakten – ohne | |
seine thematische Verortung zu verlieren. Dabei bleibt er sich gegenüber | |
äußerst kritisch, nur rund 100 Bilder bleiben übrig, die Ernte seines | |
Fotografenlebens, das 1991 endet. | |
Diese starken, auch schweren und zuweilen schwermütigen Arbeiten im | |
Abgleich mit Mæhlums manchmal fast leichtfüßigen und deutlich heiteren | |
Fotos zu sehen, ist lohnend, unterhaltsam und nicht zuletzt macht es | |
kundig. | |
Denn beide Ausstellungen erzählen gerade in ihrer thematischen | |
Verwandtschaft wie Unterschiedlichkeit bei der Wahl der fotografischen | |
Mittel auch vom Wandel der norwegischen Fotografie: Wo heute Ingun Allette | |
Mæhlum ganz selbstverständlich als Dokumentarin und Künstlerin angesehen | |
wird und entsprechend arbeiten kann, war Kåre Kivijärvi dieser Zustand | |
lange verwehrt: Erst 1971 werden Fotoarbeiten von ihm bei der jährlichen, | |
staatlichen Kunstausstellung in Oslo gezeigt, und er ist damit zugleich der | |
erste norwegische Fotograf überhaupt, dem man zugesteht, in der Sphäre der | |
Kunst aufzutauchen. | |
11 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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