# taz.de -- Fotografie: Auf den Spuren Europas | |
> Die Hamburger Deichtorhallen präsentieren fotografische Essays von zwölf | |
> jungen europäischen Fotografen, die sich dem Wandel des Kontinents | |
> widmen. | |
Bild: Wer im modernen Norwegen das Nachsehen hat: Espen Rasmussen beschäftigt … | |
HAMBURG taz | Brüche, Rätsel, Fragen: Europa, das ist ein Wort mit mehr als | |
sieben Siegeln. Allein, wo fängt es an und wo hört es auf – wenn es | |
aufhört? Nicht Antworten, aber zumindest Einblicke in europäische bis | |
nationale Befindlichkeiten zu geben, versucht seit letztem Jahr der | |
„European Photo Exhibition Award“ – kurz „Epea“: eine aktuelle, sehen… | |
Schau von Werken junger europäischer Fotografen und Fotografinnen, | |
ausgesucht von vier Kuratoren. Mit dabei Ingo Taubhorn, Leiter des | |
Hamburger Hauses der Fotografie, wo „Epea 2“ nun seine vierte und letzte | |
Station macht. | |
Dabei fällt schnell auf, dass bei aller Unterschiedlichkeit der zwölf | |
Beiträge, diese eine verblüffende Eigensinnigkeit an den Tag legen: mal | |
privat, mal öffentlich hat man sich umgeschaut und was man an bildlichen | |
Eindrücken am Ende eingefangen hat, es fehlen ihnen glücklicherweise jede | |
Anpassungsleistungen an die gängig-globale Magazinästhetik. | |
Das gilt auch für die Bilder des Italieners Massimo Berruti: Er hat die | |
Proteste im Istanbuler Gezi Park begleitet und liefert mit Rückgriff auf | |
die Schwarz-Weiß-Reportagefotografie der 1960er und 1970er-Jahre ganz | |
unmittelbare Bilder der Auseinandersetzungen zwischen der Staatsmacht und | |
den Bürgern. Doch zugleich verweigert er sich leicht konsumierbaren | |
Sensationsfotos. Lieber laufen seine Helden statt dessen in schattiger | |
Unschärfe durch ihre Welt. | |
## Der heterosexuelle Blick | |
Das Sujet des Familienporträts greift die heute in Paris lebende finnische | |
Fotografin Arja Hyytiäinen auf und zeigt ausgehend von einem Familienbild | |
ihrer Großmutter im Sommer 1945, wie sich in den letzten Jahrzehnten | |
Familie gewandelt hat. Gerade in ihrer Darstellungsweise nach außen. Nur | |
vordergründig eindeutig dagegen die wohl inszenierten Bilder von posenden | |
Männermodels der Berlinerin Paula Winkler, die damit das Recht auf einen | |
begehrenden, heterosexuellen Blick auf den Mann einfordert. | |
Der mittlerweile in Mainz lebende Ukrainer Kirill Golovchenko wiederum fand | |
ganz anders zu seiner Arbeit – durch den schnöden Zufall nämlich: Er saß am | |
Strand des Schwarzen Meeres, hatte gebadet, langweilte sich, wollte – ganz | |
Fotograf – irgendwas fotografieren. Und er nahm einen blauen Schwimmreifen, | |
blickte durch ihn hindurch wie durch einen Sucher und hatte sein Thema | |
gefunden: das Meer und die Hotels, das Baden und die Handtücher, die | |
Menschen und die Ukraine – je als blau-umrandeter, einmaliger Ausschnitt. | |
Und immer sieht man ein Stück seiner Hand, mit der er den Schwimmreifen | |
festhielt. Der Norweger Espen Rasmussen beschäftigt sich mit Menschen, die | |
man grundsätzlich nicht zu den Gewinnern des modernen norwegischen Lebens | |
zwischen Ölboom und aufgeklärtem Könighaus zählen dürfte. Sie wohnen in | |
Bretterverschlägen, in notdürftigen, reparierten Holzhäusern – aber | |
immerhin wohnen sie noch. Bei Rasmussen gibt es zugleich eine eigene | |
biografische Brücke, die zu seinem Thema führte. | |
## Intensive Beziehungsarbeit | |
Er ist in einem kleinen, überschaubaren Nest 70 Kilometer von Oslo entfernt | |
aufgewachsenen, und er kennt es noch, dass man die Armen und Verrückten | |
zwar misstrauisch beäugt, sie aber am Ende doch respektiert, sie mit | |
Spitznamen grüßt und sie vor allem ihr Leben leben lässt und sie nicht | |
wohlmeinenden Institutionen überantwortet, die sie schnell wegsperren. | |
Dass einer herausragenden Fotoarbeit oft eine intensive Beziehungsarbeit | |
vorhergeht, zeigt besonders die Serie „Vogelfrei“ von Stephanie Steinkopf, | |
die sich dem Leben obdachloser Frauen in Berlin widmet. Dabei hat Steinkopf | |
weder aus der Deckung mit einem Teleobjektiv fotografiert noch hat sie sich | |
einem der bekannten karikativen Obdachlosenprojekte anvertraut, um so im | |
Schutz, aber auch im Schatten der Institution ihre Protagonisten zu finden: | |
„Ich habe mich entschlossen, mutig zu sein, selbst auf die Straße zu gehen, | |
teilzuhaben und das Leben zu erfahren“, erzählt sie. | |
## Verstecken und Entdecken | |
Und so hat sie bei den Frauen mit übernachtet, hat sie auf ihren | |
Streifzügen durch die Stadt, aber auch auf kleinen Reisen an die Orte ihrer | |
Herkunft begleitet – und dabei vorzugsweise des Nachts fotografiert: „Wenn | |
wir nach Hause gehen und unser Bett haben – was machen dann die anderen?“, | |
lautet ihre Frage, die nicht nur metaphorisch gemeint ist. Sondern die das | |
Thema der Nacht als ein Feld von Verstecken und Entdecken, von Schutz und | |
Gefahr aufgreift. | |
Wobei letztere sich auch, wie Steinkopf zeigt, ganz schlicht ausdrücken | |
lässt: „Ich sehe es immer öfter, dass Touristen im Vorbeigehen ihre | |
Smartphones zücken und die schlafenden Obdachlosen fotografieren – | |
natürlich ohne jemals um Erlaubnis zu fragen.“ | |
## „European Photo Exhibition Award 02 – The New Social“: bis 31. Mai, | |
Deichtorhallen, Hamburg | |
18 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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