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# taz.de -- Ureinwohner in Südafrika: Untergang und Erbe der San
> Vor 300 Jahren jagten die Europäer am Kap die Ureinwohner. Touristen
> können die Schauplätze eines vergessenen Genozids besuchen.
Bild: Die Felsmaleriei der San.
Wer die Hinterlassenschaft der Menschen sehen will, die vor den Nieuwoudts
am Rondegatrivier gelebt hatten, sollte sich mit festen Schuhen und langen
Hosen gegen Schlangen und Fynbos-Dornen wappnen. Auf der Suche nach einer
entlaufenen Ziege hatte Jan Harmse Nieuwoudts Großvater die Felszeichnungen
entdeckt und sie ein halbes Jahrhundert später seinem Enkel gezeigt. Die
Kunstwerke der San oder !Xam, Ureinwohner von Westkap, sind seit Hunderten
von Jahren hinter Gestrüpp unter einem Felsendach zu finden, das Mensch und
Malereien schützte.
40 weitere Spots hat eine Forschergruppe um den Kapstadter Archäologen John
Parkington auf dem Land der Keurbos-Farm in den Cederbergen entdeckt und
kartiert, „zum Teil bedeutende“, so Nieuwoudt. Er bewundert deren
Haltbarkeit, gibt aber zu, dass die Farbintensität nachlasse. Nachbessern
will er nicht. „Man muss verschwinden lassen, was verschwinden will“, sagte
er.
Verschwunden sind am Westkap die Sammler und Jäger vom Volk der San, welche
die Holländer „Bosjesmans“ (Buschmänner) nannten, und ihre Vettern, die
Vieh haltenden Khoikhoi oder „Hottentots“. Ihr Unglück begann im Jahr 1649,
als die „Nieuwe Harleem“ in der Tafelbucht auflief und die See- und
Kaufleute der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) dort fast ein Jahr
lang ausharren mussten, bis Hilfe herbeisegelte.
Einer der ersten Einträge in den Aufzeichnungen der VOC über die
Ureinwohner, die Donald Moodie 1838 herausgab, lobte einer der Gestrandeten
die „vollkommene Freundschaftlichkeit“ der Eingeborenen. Sie hätten
massenhaft Vieh und Schafe gebracht. Die eigenen Leute dagegen, so hielt
Leendert Jansz es in seinem Report fest, hätten „grobe Undankbarkeit“
gezeigt, indem sie den Einheimischen das Vieh stahlen und sie töteten.
Und dann kam Jan van Riebeeck, der Bosjesmans und Hottentots für „diebische
Vagabunden“ hielt, um eine Siedlung zu gründen, eine Art pit stop für die
Schiffe der VOC, die sich auf dem Weg von oder nach Batavia (Jakarta) und
den anderen Niederlassungen in Ostindien mit Wasser, Gemüse und Fleisch
eindecken sollten. Vieh und Schafe „erwarben“ die Aufkäufer der VOC
zunächst von den Khoikhoi, die dafür Kupfer erhielten (für Schmuck) und die
Wirkung von billigem Alkohol, Tabak und einer Art Cannabis kennenlernen
durften.
## Eine anarchistische Gemeinschaft
Bald wagten sich die ersten „freien Bürger“, aus den Diensten der VOC
entlassene Männer, an abgelegene Orte, die heute Stellenbosch, Franschhoek
und Paarl heißen, um selbst Vieh zu züchten. Im Jahr 1700 gründete der
Gouverneur selbst, William Adriaan van der Stel, am Fuß der Hügelkette
namens Hottentots-Holland eine Farm, Vergelegen, die sich längst in ein
bekanntes und viel besuchtes Weingut verwandelt hat.
In jenem Jahr 1700 überschritten freie Bürger erstmals den Berg River, bis
dahin eine Art Grenze zwischen Kap-Kolonie und „Khoisan“, um neues Weide-
und Ackerland nördlich und östlich des Flusses zu suchen. Damit war die
Existenz beider einheimischen Gruppen bedroht.
Über die San weiß Kerson Jackson vom Kulturzentrum !Khwa ttu bei
Yzerfontein zu erzählen, einer Art Freiluftmuseum über deren Leben und
Vertreibung. „Die Bushmen lebten in anarchistischer Gesellschaft“, erklärt
er. „Es gab keinen Führer, alle galten als gleich, und es gab kein
Eigentum, auch nicht an Boden. Aber plötzlich standen Zäune im Weg. Weil
die San dem Wild nicht mehr folgen konnten, stahlen sie das Vieh der
Farmer.“
Calvin van Wijk, Historiker in Tulbagh, meint: „Die Ureinwohner waren
friedlich, bis sie merkten, dass sie ihr Weide- und Jagdland verloren. Dann
kamen Mord und Totschlag ins Land.“ Die Weißen hätten die Einheimischen
„gejagt wie die Tiere“, habe sein Großvater erzählt. „Nur Buschmänner,…
für die Weißen arbeiteten, waren gute Buschmänner, gezähmte ("tame“)
Buschmänner.“ Auch Khoikhoi traten in die Dienste der Weißen ein,
freiwillig oder nicht.
Letztendlich mussten die Kap-Aborigines zwischen drei Optionen wählen,
schreibt der Kapstadter Historiker Nigel Penn in seinem Buch (siehe
Kasten): „sich fügen, sich zurückziehen oder zugrunde gehen“. In der Gege…
von Tulbagh entschieden sie sich erstmals für massiven Widerstand. „Alle
Khoisan-Gruppen beteiligten sich an den Attacken des Jahres 1701“, schreibt
Penn.
Die Obiqua, ein Stamm der San, jagten seit Jahrhunderten im Bassin von
Tulbagh und lebten in den umgebenden Bergen, den Witzenberg Mountains im
Osten, den Winterhoek Mountains im Norden und den Obiqua Mountains, die das
Land gen Westen abschotteten und bei Südwind die Wolken molken und für ein
grünes Tal sorgten. Heute durchstreifen Wanderer und Mountainbiker die noch
nicht übermäßig frequentierte Oase, eine Stunde von Kapstadt entfernt.
Damals lebten hier Antilopen, Löwen und Elefanten – und die Obiqua. Am 13.
März 1701 stiegen sie von den Höhen herab, überquerten westwärts den Berg
River und überfielen den Posten der VOC in Riebeek Kasteel. Im Körper eines
Schafhirten steckten danach fünf vergiftete Pfeile, und die Räuber trieben
40 Rinder und alle Schafe in die unwegsamen Berge.
Auf einem weltbekannten Weingut kann Amanda Vlok von einem weiteren
Desaster berichten, das Catharine Cloete aus Riebeek-Kasteel überstehen
musste. Vlok braucht dazu nur zwei Sätze: „Während die Witwe mit ihrer
Familie die Kirche in Stellenbosch besuchte, brannten die Sonqua, ein
Khoisan-Stamm, die Farm nieder und stahlen alles Vieh. Sie ließ das Gebäude
wiedererrichten und gab dem Anwesen den Namen „Allesverloren“. Das war
1704.
## Geschichtsklitterung in den Legenden der Weißen
An der Theke des Besucherzentrums stehend gibt die „Haushistorikerin“ eine
unter Weißen übliche Erklärung für die Überfälle: Die Siedler hätten das
Land durch „Tauschhandel“ von den „Khoisan“ erworben, sagt sie. „Und …
sie den Tabak und die anderen Waren aufgebraucht hatten, wollten sie das
Land zurückhaben.“ Dass die Ureinwohner nach und nach verschwanden, sei
„das Ergebnis ihrer Schikanen und Unehrlichkeit sowie von Krankheiten.“
(Mit „Krankheiten“ ist eine Pockenepidemie im Jahr 1713 gemeint.)
Die „Khoisan“ waren keine Heiligen. Ihre Guerillataktik hieß: Farmen
niederbrennen, Vieh und Schafe stehlen, und auch Europäer und ihre
übergelaufenen Vasallen töten. Sie kämpften mit vergifteten Pfeilen und
Speeren, aber ihre Gegner verfügten über Pferde und Gewehre. 1704 standen
an der Nordgrenze der ausgedehnten Kap-Kolonie sechs Militärposten: in
Riebeek Kasteel, Vogel Vlei, Groene Kloof, Tulbagh, Elandskloof am Atlantik
und Sonquasdrift am Berg River; im alten Gemäuer auf Sonquasdrift, heute im
Besitz eines Unternehmers aus München, sind die Schießscharten noch gut zu
erkennen.
Nach vier Jahren und Dutzenden von Angriffen und Gegenangriffen, Raub und
Mord und Totschlag schlossen die Gegner im November 1705 Sam Sam (Frieden).
Doch der Frieden hielt nicht. Vor 300 Jahren, nach einer Serie von
Überfällen, schliefen die Kolonisten nur noch mit Gewehren im Arm, und so
entschieden sich der Gouverneur und der Landrat von Stellenbosch im
November 1715 zu einem fatalen Schritt: Erstmals erlaubten sie einer Gruppe
wütender Männer, ohne Begleitung von VOC-Soldaten die Räuber zu suchen und
zu vernichten.
Schalk van der Merwe, Jan Harmse Potgieter und ihre 22 Männer erhielten
Pulver und Munition und brachen am 2. Dezember in Richtung Kruis River
hinter Piketberg auf, um „Buschmänner“ und „Hottentotten“ zu jagen. Pe…
spricht von „Kommandos“, die „eine rücksichtslose
Suchen-und-zerstören-Taktik“ anwendeten.
Jahr für Jahr im Frühling brachen die Kolonisten nun zu solchen – von der
Regierung legitimierten – Kommandos auf, sie nahmen weitere Gebiete und
Wasserstellen in ihren Besitz, ließen die offene Ebene des Swartlands
hinter sich und drangen in bisher isolierte Gegenden hinter den Bergen vor.
Es kam zu weiteren Kämpfen, Raub, Mord, Totschlag und Versklavung von
Kindern und Frauen an Orten, die Touristen noch heute finden können: 1725
standen die ersten verpachteten Farmen (Loan Farms) hinter dem
Piekenierskloof Pass in Citrusdal und im Olifants River Valley, 1732 war
das Tal in ganzer Länge kolonisiert. Und je weiter die Schauplätze sich von
Kapstadt entfernten, desto mehr verloren die Behörden die Kontrolle.
1740 war dieser Krieg entschieden, wenn auch nicht beendet. Eine
beträchtliche Zahl von Khoikhoi verdingte sich als Sklave bei den Farmern,
die San zogen sich in unwegsamere, meist trockene Gebiete wie die
Cederberge zurück, heute ein Dorado für Wanderer und Bergsteiger, und
bedienten sich auf Raubzügen auf den Weiden der Farmer. 1777 erlaubte
Gouverneur Joachim van Plettenberg explizit, die San auszulöschen. Damit
waren sie vogelfrei und bald gänzlich verschwunden. Geblieben sind ihre
Felszeichnungen, Zeugen einer jahrhundertealten Kultur.
## Die Felsenmalereien als Touristenattraktion
Mittlerweile entdecken Touristen auf Wanderungen in den Bergen und entlang
der Flüsse die blutroten Felsmalereien, die Antilopen und Elefanten,
tanzenden Frauen und aus der Nase blutende Schamanen zeigen.
Und Südafrika entdeckt den Nutzen der Hinterlassenschaften für Handel und
Tourismus. In Velddrif verkaufen sie Meersalz unter dem Label „Khoisan“. Im
abgelegenen Luxusressort Kagga Kamma versuchten die Betreiber zu Beginn der
neunziger Jahre, eine Gruppe San aus Namibia wieder anzusiedeln, was
kläglich scheiterte, weil die Menschen nicht wie Sammler und Jäger leben
konnten, sondern sich von Touristen bestaunen lassen mussten. Und weil
nicht nur die Erinnerung schwach ist, sondern die Felsmalereien langsam
verblassen, scheint es hie und da zu „Restaurierungen“ zu kommen.
Hinter dem Eingangstor auf dem Weg zum Stadsaal, einem historischen
Versammlungsort der San in einer großen Höhle in den Cederbergen, sind die
schönsten Felsbilder zu sehen, wenn auch nur an einem Spot. Sie sind so
klar konturiert und leuchten so rot, dass die Frage sich aufdrängt: Sind
diese Zeichnungen restauriert worden? Jan Harmse Nieuwoudt lacht und meint:
„So etwas in der Art habe ich mir auch schon gedacht.“
13 Jun 2015
## AUTOREN
peter köpf
## TAGS
Südafrika
Apartheid
Schwerpunkt Rassismus
Geschichte
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