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# taz.de -- Hyperlokale Blogs: Das Ende des Hypes
> Die „Prenzlauer Berg Nachrichten“ kämpfen ums Überleben – wie viele
> hyperlokale Blogs. Hat der Onlinejournalismus der Nachbarschaft eine
> Zukunft?
Bild: Und wer blogged hier gerade etwas über die lieben Nachbarn?
Die Zukunft der [1][Prenzlauer Berg Nachrichten] (PBN) passiert auf einem
halben Quadratmeter: Ein leerer Schreibtisch aus schwarzem Holz, roter
Plastikstuhl, in einem Großraumbüro in der Berliner Kulturbrauerei. Hier
plant Philipp Schwörbel die Kampagne, die seine Lokalzeitung im Internet
retten soll: Bis zum 29. Mai braucht sie 750 Mitglieder, die monatlich 4,90
Euro zahlen. Sonst wird die Webseite geschlossen. Sogar einige
Bundestagsabgeordnete rufen zur Rettung auf.
„Einen Plan B gibt es nicht“, sagt Schwörbel. „Ich hasse diesen Satz. We…
er so hart ist“. Die PBN sind sein Baby. Vor fünf Jahren hat er sie
gegründet. Schwörbel, Hemdkragen über dem Pullover, Stoffhose,
Seglerschuhe, ist eigentlich Kaufmann. Er kommt aus der Fernsehbranche, hat
aber auch Gesine Schwan im Wahlkampf beraten. 2003 ist er in den Prenzlauer
Berg gezogen. Mehr als 150.000 Menschen leben in dem Stadtteil, aber es
fehlten, wie Schwörbel fand, gute Lokalnachrichten. Eine Lokalzeitung fürs
Internet, das war für Schwörbel vor allem eine Investition. Er schrieb
einen Businessplan, rechnete, konservativ, aber optimistisch und startete
die PBN. „Damals kursierten abenteuerliche Zahlen, wie viel man mit Werbung
im Internet verdienen konnte.“ Dass das eine Fehlannahme war, merken heute
sogar die großen Verlage.
Dabei kam Schwörbel mit seiner Idee genau zur richtigen Zeit. 2010 ploppten
überall in Deutschland hyperlokale Blogs auf. Hyperlokal deshalb, weil sie
sich auf einen einzigen Stadtteil oder Kiez beziehen. Im Onlinejournalismus
wurden sie als das nächste große Ding gefeiert. In Hamburg entstand
[2][altona.info], in Köln Meine Südstaat, am Tegernsee [3][Die Tegernseer
Stimme], in Heddesheim das [4][Heddesheimblog].
Die Lokalzeitungen hatten sich aus den Stadtteilen zurückgezogen. Der neue
Italiener an Ecke X, die marode Fußgängerbrücke in Straße Y und die
Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlung Z interessiert eben nur einen
sehr kleinen Teil der Leser. In anderen Gegenden rutschten die
Lokalzeitungen in die Hände eines einzigen Verlags, wie der WAZ-Gruppe im
Ruhrpott. Vielen Lesern mangelte es an Vielfalt und Tiefe in der
Lokalberichterstattung. Deshalb gründeten Bürger und Journalisten
hyperlokale Blogs. Einige blieben eine Plattform für Anwohner, die ihre
Meinung in die Welt pusten wollten. Aus anderen wurden journalistische
Internetzeitungen mit einem umfassenden Angebot. Die Tegernseer Stimme
machte als erstes hyperlokales Blog 10.000 Euro Umsatz im Monat. Das war
2012.
## Journalist, kein Kaufmann
Philipp Schwöbel sitzt in einem Café und sagt, beide, der Hype und die
Enttäuschung, seien berechtigt. „Die Preise für Werbung im Netz sind im
Keller. Darauf gibt es zwei Antworten: Erlöse hochschrauben oder Kosten
reduzieren.“ Beides funktioniere für ihn nicht. Im Gegensatz zu vielen
anderen Gründern von Lokalblogs ist er kein Journalist. Er schreibt nicht,
er ist der Mann für die Zahlen. Er muss Redakteure anstellen, Artikel von
Freien einkaufen. Momentan beschäftigt er drei freie Journalisten, die er
auf Tagesbasis bezahlt. Sich selbst hat er in den ganzen fünf Jahren kein
Gehalt ausgezahlt. Seit vergangenem Sommer arbeitet er als Geschäftsführer
bei Krautreporter.
„Potentielle Werbekunden haben in den vergangenen Jahren immer häufiger
versucht, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen“, sagt Schwörbel.
Auf solche Diskussionen hat er keine Lust mehr, deswegen setzt er jetzt auf
reine Leserfinanzierung. 50.000 mal wird seine Webseite im Monat
aufgerufen. Wer zukünftig zahlt, wird alle Artikel lesen und in den
sozialen Netzwerken teilen können. Nichtabonnenten soll nur noch das Archiv
offen stehen. 3.000 Euro brauchen die PBN monatlich, damit jeden Tag ein
Artikel erscheint.
„Ich glaube nicht, dass das funktioniert“, sagt Hardy Prothmann. Er ist
einer der lautesten Lokalblogger – immer eine Meinung, in vielen Debatten
präsent. Im vergangenen Jahr hat er für sein Heddesheimblog auch Abonnenten
gesucht. Weil er kaum welche fand, musste er das Blog einstellen. Ähnlich
ging es altona.info aus Hamburg und vtaktuell aus dem Westerwald. Heute
betreibt Prothmann den [5][Rheinneckarblog] und [6][istlokal.de], eine
Vernetzungsplattform für hyperlokale Blogs. Prothmann ist der umgekehrte
Fall von Schwörbel: Er ist Journalist, kein Kaufmann.
Für seinen Rheinneckarblog baut er gerade einen Förderkreis aus
freiwilligen Unterstützern auf. Rund 100 Mitglieder geben momentan
insgesamt 4.500 Euro – zu wenig. „Leser können nur eine Säule der
Finanzierung sein“, sagt Prothmann. Eine weitere müsse Werbung sein. Dass
diese Kunden zunehmend versuchten, Einfluss auf seine Artikel zu nehmen,
stellt er nicht fest. Im Gegenteil: „Wenn Unternehmen merken, dass ich
kritisch, aber sauber berichte, schalten sie auch Anzeigen.“ Nur: Im
Szenebezirk Prenzlauer Berg, erzählt Schwörbel, würden Unternehmen und
Geschäfte täglich gefragt, ob sie nicht irgendwo Anzeigen schalten wollen.
Das dürfte im Rhein/Neckargebiet anders sein.
## Monothematische Sondereditionen
Künftig plant Prothmann, monothematische Sondereditionen herauszugeben, zum
Beispiel zum Thema Immobilien. Das sollen journalistische Fachpublikationen
sein, mit Werbeumfeld für die Branche. Prothmann ist hauptamtlich
angestellt und beschäftigt einen Volontär. Im Herbst soll eine weitere
Stelle hinzukommen. Die restlichen Texte liefern freie Autoren. Reich wird
Prothmann nicht, aber er kann davon leben.
Ganz anders als Isabella David. Sie hat vor drei Jahren Hamburg Mittendrin
gegründet, das Blog für Hamburg-Mitte. Als die Polizei im Schanzenviertel
im Januar 2014 das Gefahrengebiet ausrief, erhielt ihr Blog auch
überregional Aufmerksamkeit. Über Twitter, das Blog und die eigens für HH
Mittendrin entwickelte App „Call a journalist“ berichteten David und ihr
Team quasi live. Trotzdem krebst [7][HH Mittendrin] am Existenzminimum
herum. Das Blog funktioniert deshalb, weil sich seine Mitarbeiter
ausbeuten. Die meisten von ihnen studieren und arbeiten für sehr wenig oder
gar kein Geld. Pro Text zahlt David den Autoren zwischen zehn und 25 Euro.
„Wir sind alle journalistisch motiviert. Unser Problem ist, dass sich
niemand gern um das Geld eintreiben kümmert.“
Dabei gäbe es Potential, glaubt David. 5.000 Besucher hat ihre Seite am
Tag. Die Jüngeren interessieren sich eher für Kultur, die Älteren für
Bezirkspolitik. Ihre Einnahmen speist HH Mittendrin aus Soli-Abos, wenigen
Werbekunden und aus Kooperationen mit Lokalzeitungen. Seit ihrem Start
kooperiert die Redaktion mit der taz.nord. Als die Zeit vor einem Jahr
einen Hamburger Lokalteil eröffnete, schloss deren Onlineredaktion
Kooperationen mit verschiedenen Hamburger Lokalbloggern. Einiges von dem,
was David und ihre Redaktion schreiben, erscheint gegen Geld auf Zeit
Online oder in der gedruckten taz. Hamburg ist da eine Ausnahme.
In Berlin zum Beispiel hat der Tagesspiegel eigene Blogs für die
Stadtteile. Dort schreiben Redakteure und vereinzelt Leser. Kooperationen
mit selbstständigen Bloggern gibt es – bis auf eine Ausnahme – nicht. Das
käme für Schwörbel nicht in Frage: „Wir wollen redaktionell unabhängig se…
und als eigenständiges Angebot wahrgenommen werden.“ Es bleibt nur die
Leserfinanzierung und die strauchelt. Bei Redaktionsschluss waren knapp die
Hälfte der benötigten Abos erreicht.
Schwörbel bleibt hart: „Der Bürger in mir sagt: Ich will eine Lokalzeitung.
Der Publizist sagt: Ich will, dass das anständig ist. Der Kaufmann sagt: Es
muss sich wirtschaftlich tragen.“ Welche von den drei Stimmen am Ende
gewinnt, entscheidet sich kommenden Freitag.
22 May 2015
## LINKS
[1] http://www.prenzlauerberg-nachrichten.de/
[2] http://www.altona.info/
[3] http://www.tegernseerstimme.de/
[4] http://www.rheinneckarblog.de/tag/heddesheim
[5] http://www.rheinneckarblog.de/
[6] http://istlokal.de
[7] http://hh-mittendrin.de/
## AUTOREN
Anne Fromm
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