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# taz.de -- Zukunft des Lokaljournalismus in Berlin: „Die Sprache der Blogs i…
> Eine Internetzeitung aus dem Kiez? Das kann funktionieren, wie die
> Prenzlauer Berg-Nachrichten und neukoellner.net zeigen. Warum klappt das
> nicht in Charlottenburg?
Bild: Klischee über den Prenzlauer Berg: Hier wird nur Latte Macchiato getrunk…
taz: Herr Büch, ihr Onlinemagazin neukoellner.net hat vor wenigen Wochen
einen – undotierten – Grimme-Preis gewonnen. Was ist wichtiger: Geld oder
Ehre?
Max Büch: Der Grimme Online Award ist eine riesengroße Ehre. Das hat uns
schwer von den Socken gehauen. Wir hoffen, dass das Geld über die Ehre
kommt. Durch die Auszeichnung ergeben sich für uns neue Möglichkeiten.
Merken Sie das schon?
Büch: Wir hatten einige Angebote, die wir ohne den Preis nicht bekommen
hätten. Details möchte ich noch nicht verraten.
Herr Schwörbel, Ihre Internetzeitung Prenzlauer Berg Nachrichten hat Ende
Mai das Ziel erreicht, 750 zahlende Abonnenten zu gewinnen. Wie steht es
bei Ihnen mit Geld oder Ehre?
Philipp Schwörbel: Wir müssen ein gutes Produkt machen, damit wir mehr
Abonnenten kriegen, damit wir dann wieder mehr Journalismus machen können.
Im Netz verdient kaum jemand Geld. Wie soll das funktionieren?
Schwörbel: Das stimmt so nicht: Apple macht mit i-Tunes Profit, auch
Zeitungen verdienen Geld im Netz. Dennoch gilt: Hochwertige, tagesaktuelle
journalistische Produkte haben es verdammt schwer. Da ist es der Branche
bisher nicht gelungen, ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu definieren.
Büch: Über einen Spendenaufruf haben wir im vergangenen Jahr 1.000 Euro
eingenommen. Das ist nicht viel, aber es zeigt: Da ist was zu machen.
Letztlich haben wir uns als neukoellner.net aber zu lange um die Ehre
gekümmert. Wir sind alle Journalisten; uns fehlt die unternehmerische
Herangehensweise. Ich bin zwar Geschäftsführer von neukoellner.net, aber im
Herzen Journalist. Wir haben unser Projekt als Studierende entwickelt, da
hatten wir mehr Zeit als heute. Das geht nun nicht mehr. Wir hoffen jetzt,
eine Förderung zu bekommen, als Startfinanzierung sozusagen.
Eine Startfinanzierung fast fünf Jahre nach Beginn des Projekts?
Büch: Wir haben erst vor einem Jahr die Firma gegründet. Es geht langsam,
aber sicher voran.
Schwörbel: Das ist der klassisch kaufmännische Weg: Sie investieren in Ihr
Produkt. Und das ist ein richtig gutes Produkt. Viele Regionalzeitungen
verlieren ja nicht an Auflage wegen des Internets, sondern weil sie eine
schlechte Zeitung machen. neukoellner.net und wir machen ein anständiges
Produkt, das man verkaufen kann.
Die Prenzlauer Berg Nachrichten verstehen sich als Zeitung, neukoellner.net
hat den Stil eines Blogs. Sie machen also sehr unterschiedliche Produkte.
Schwörbel: Nein.
Büch: Das würde ich auch nicht sagen.
Welches sind die Gemeinsamkeiten?
Büch: Wir machen Lokaljournalismus.
Schwörbel: Die Leute wollen wissen, was vor ihrer Tür passiert.
neukoellner.net macht das szeniger, die Herangehensweise ist magaziniger.
Wir machen Zeitung und damit genau das, was die großen Berliner
Tageszeitungen vernachlässigt haben: Sie haben sich aus der
Bezirksberichterstattung zurückgezogen. Diese Lücke füllen wir.
Das Grimme-Institut muss die Neukoellner missverstanden haben. Es schreibt
in der Preisbegründung: „Während andere kleinere Medienangebote das Prinzip
Zeitung kopieren, lebt neukoellner.net das soziale Netz.“
Büch: Wir können eher selten tagesaktuell arbeiten. Die sozialen Medien
nutzen wir dagegen sehr stark und binden sie in unsere Berichterstattung
mit ein und umgekehrt: Was war im Netz los? Was wurde auf Twitter
diskutiert? Wir machen Videos, Mixtapes, Audios, verbreiten sie viral und
sind dabei sehr flexibel. Weil wir die kreative Freiheit haben, Neues
auszuprobieren und klassische Formate anders zu denken.
Schwörbel: Diese Freiheit haben wir auch. Und trotzdem haben wir uns
entschieden, jeden Tag etwas gut Recherchiertes auf der Seite zu haben. Das
war für uns das Wichtigste.
Die Prenzlauer Berg Nachrichten wollen explizit kein Blog sein, der
Zeitungstouch ist Ihnen wichtig. Ist der Grund für den unterschiedlichen
Auftritt, dass Nord-Neukölln und Prenzlauer Berg von der Einwohnerstruktur
so verschieden sind – hip und jung vs. arriviert?
Schwörbel: Das ist mir jetzt zu viel Schablone.
Büch: Bis zu einem gewissen Grad stimmt es aber. Gentrifizierung zum
Beispiel betrifft zwar beide Stadtteile, aber sie ist unterschiedlich weit
fortgeschritten. Vielleicht liegt es auch an unseren Mitarbeitern: die sind
alle jung, viele arbeiten im Medienbereich.
Schwörbel: Tatsächlich arbeiten wir wie eine Zeitung im Kleinen. Aber so
richtig glücklich bin ich mit dem Zeitungsbegriff inzwischen auch nicht
mehr: weil das Image der Zeitung immer schlechter wird.
Büch: Wir sind auch kein Blog. Die Sprache der meisten Blogs ist uns zu
banal. Wir verstehen uns als Magazin mit journalistischem Anspruch. Als wir
angefangen haben, wollten wir eine andere Berichterstattung über Neukölln,
jenseits von Getto-Klischee und aufkeimenden Hipster-Hype.
Wie sollte das aussehen?
Büch: Wir haben uns gefragt: Wie kann man eine Seite interessant gestalten?
Wir hatten zum Beispiel schon vor vier Jahren die Idee, einen Türkischkurs
für Anfänger anzubieten. Wir wollten die Neu-Neu-Neuköllner dazu bewegen,
sich mit der eingesessenen Migrantengruppe zu beschäftigen.
Interessiert das Ihre Leser?
Büch: Der Kurs ist wahnsinnig liebevoll gemacht und hat viele Fans. Aber es
gibt Beiträge, die laufen besser.
Welche denn?
Büch: Das ist ganz unterschiedlich: alle emotional kontroversen Themen,
etwa der Streit über die Schließzeiten von Spätis. Oder die Texte über
Pakete, die nie zugestellt werden – das ist echt eine Katastrophe hier in
Neukölln. Auch das betrifft Tausende Leute hier. Auch aufwendige
Geschichten laufen gut, etwa unser Live-Blog zum Kunstfestival 48 Stunden
Neukölln.
Wieso machen Sie keine klassische Berichterstattung aus der
Bezirksverordnetenversammlung?
Büch: Natürlich sind wir vor Ort und berichten von der BVV, aber nicht
immer. Nur wenn es brisant ist, aber wir haben die Vorkommnisse dort auf
dem Schirm. Zuletzt hatten wir auch ein ausführliches Interview mit der
Bürgermeisterin und einen Text zur Kopftuchdebatte. Aber Politik ist bei
uns nicht per se als Titelthema gesetzt.
Schwörbel: Für uns ist die BVV ein Pflichttermin. Wir twittern sogar aus
der Sitzung. Oft laufen diese Berichte auch sehr gut.
Spielt Politik in der Berichterstattung eine wesentliche Rolle?
Schwörbel: Definitiv. Wir haben kein Gesellschafts- oder Sportressort. Im
Lokalen ist Demokratie direkt erleb- und einübbar; nur wer hier
Abstimmungsprozesse versteht, versteht demokratische Prozesse auch auf
Bundesebene.
Ein Satz wie aus dem Gemeinschaftskunde-Unterricht.
Schwörbel: Aber so ist es nun mal. Das ist eine Aufgabe der Zeitung. Wer
das nicht macht, nimmt diese Aufgabe nicht ernst. Wenn eine Regionalzeitung
eine ganze Seite über einen Hundesalon macht, ist das okay – solange sie
auch umfangreiche politische Berichterstattung macht.
Büch: Man kann Politik nicht weglassen. Gerade Wohnungsmarktpolitik und
Gentrifizierung. Ich würde aber trotzdem sagen, dass der Hundesalon seine
Berechtigung hat. Unsere Leser haben ein Interesse an den Menschen, und
nicht nur an den Stars aus dem Kiez. Das sind spannende Geschichten, über
die man auch erzählen kann, was falsch läuft in unserer Gesellschaft. Das
ist wichtiger als das Klein-Klein der Lokalpolitik.
Schwörbel: Wir versuchen, das Prozesshafte der Politik abzubilden – über
viele, eher kleine Texte. Wir haben zum Beispiel 80 Texte zur
Kastanienallee veröffentlicht. Da wird der Verlauf dann deutlich.
Was wissen Sie über Ihre Leser?
Büch: Glaubt man Google-Analytics und Facebook, ist die Mehrheit zwischen
25 und 45 Jahren und zu 55 Prozent weiblich.
Schwörbel: Wir wollen in den nächsten Monaten unsere Abonnenten noch besser
kennenlernen und hatten unter anderem dafür vor wenigen Tagen unser erstes
Mitgliedertreffen. Da waren junge Studierende dabei und solche über 60.
Also die ganze Bandbreite.
Vor fünf Jahren gab es einen Hype um die sogenannen hyperlokalen Blogs und
Angebote, sie galten als Zukunft des Lokaljournalismus. In Berlin sind
eigentlich nur Ihre beiden wirklich relevant. Wieso funktioniert das zum
Beispiel in Charlottenburg nicht?
Büch: Das würde auch dort funktionieren. Aber es macht einfach keiner.
Warum?
Büch: Weil es wahnsinnig viel Arbeit ist. Man braucht Leute, die Lust
haben, ohne gleich das große Geld sehen zu wollen. Man braucht auch Leute,
die dort wohnen. Die Hälfte der richtig guten Geschichten läuft einem
einfach über den Weg.
Schwörbel: Wir waren vielleicht einfach naiv genug, um unser Projekt zu
starten. Und ja, wir haben das hingekriegt mit der Einführung des
Abonnentenmodells, aber wir sind erst am Anfang und müssen noch wachsen.
Das schreckt Gründer vielleicht ab. Ich verstehe vor allem nicht, warum die
Berliner Verlage das nicht als Chance begreifen. Wir sind ein super
Innovationslabor, die Investitionen sind vergleichsweise gering und es gibt
klare Signale, dass es klappt!
Zurück zum Hype.
Schwörbel: Der Hype war genauso übertrieben wie jetzt die Enttäuschung. Wir
brauchen eine nüchterne Einschätzung, was möglich ist. Ich hoffe, dass sich
in anderen Stadtteilen verlagsunabhängige Publikationen entwickeln – wie in
den achtziger Jahren die Stadtmagazine.
Aber genau das wurde doch vor fünf Jahren vorhergesagt – und ist eben nicht
eingetreten.
Büch: Es geht halt nicht so schnell. Hyperlokale Berichterstattung ist
zudem eine Besonderheit Berlins. Weil die Stadt so groß ist, und wir für
300.000 Menschen in Neukölln berichten können. In München würde das in
dieser Form nicht funktionieren, weil da die Stadtteile kleiner sind.
13 Aug 2015
## AUTOREN
Bert Schulz
Anne Fromm
## TAGS
Prenzlauer Berg
Neukölln
Online
Ladenschlussgesetz
Kopftuchverbot
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