# taz.de -- Staatlichkeit im Internet: Netzsperren gegen Google | |
> Ist Google ein Staat? Können solche Firmen mächtiger als Staaten sein? | |
> Die Politologen Ralf Bendrath und Andreas Schmidt diskutierten über | |
> Staatlichkeit im Internet. | |
Bild: Kann Google Zensur-Staaten wirklich den Stinkefinger zeigen? | |
"Wie wäre es denn mal mit Netzsperren gegen Google und Facebook", fragt | |
Ralf Bendrath ketzerisch. Die würden schließlich das deutsche | |
Datenschutzrecht nicht einhalten und man müsse sich ja schon fragen, wie | |
der Staat seine Regeln durchsetzen kann. In dem re-publica-Workshop "China, | |
Google, Wikileaks und die Folgen" diskutierten die Politologen Ralf | |
Bendrath und Andreas Schmidt Definitionen von Staatlichkeit. | |
Ist Google auch eine Art Staat? Nach dem Rückzug der Firma aus China war | |
diese These geäußert worden. Google wäre ein vergleichbarer Akteur wie die | |
USA oder China, hatten damals einige postuliert, darunter auch der Blogger | |
[1][mspro] : "Wer ist relevanter – Politik oder Google? Hat Google wirklich | |
keine Polizei?", klagte er, "Google löscht auf Zuruf Blogartikel und stuft | |
Linkfarmen herunter!". | |
Da fehlt die Herrschaft. Staatsgewalt umfasst nach Max Weber physische | |
Gewalt, Legitimität und einen Machtapparat. Google hingegen, so Bendrath, | |
hätte nur die "Herrschaft über den Suchindex". Gewitzelt wurde auch, dass | |
man von charismatischer Herrschaft und einer Folgebereitschaft der Anhänger | |
eher bei der Firma Apple sprechen könne. Kurzum: Die über 100 Jahre alten | |
Weber'schen Definitionen von Staatlichkeit erfülle Google nicht. | |
Google selbst sieht das auch so: "Google is no country" - Google ist kein | |
Land, so Google-Chef Eric Schmidt. Das sehen auch die re-publica-Referenten | |
so: Auch in der Causa Google-China-USA habe sich schnell gezeigt, dass | |
Google "Handlanger der amerikanischen Regierung" sei, so Bendrath – und: | |
"Ist Island jetzt der Handlanger von Wikileaks?" Das Projekt Wikileaks will | |
auf Island ein Gesetzespaket durchbringen, dass das kleine und derzeit | |
finanziell gebeutelte Land zu einem "Datenfreihafen für die Pressefreiheit" | |
machen würde. | |
"Are they going to be United Fruit?" fragte Clark Shirky von der New York | |
University mit Blick auf Google – ähnliches hatte auch Mark Landler bei der | |
New York Times in den Raum gestellt. Damit ist gemeint: Es ist nicht neu, | |
dass wirtschaftliche Akteure Teilaspekte von Staatlichkeit in sich trügen. | |
United Fruit, heute Chiquita, ist berühmt-berüchtigt wegen | |
Menschenrechtsverletzungen und Herrschaftsausübung auf Bananenplantagen in | |
Südamerika. Vergleichbar in ihrem Herrschaftsanspruch sind auch noch die | |
mittelalterliche Handelsgesellschaft der Fugger und die East India Company. | |
Google behauptet, es sei nach China gegangen, um dort eine Liberalisierung | |
durchzusetzen und dort "eine Rebellion" anzustacheln. Re-publica-Referent | |
Andreas Schmidt äußerte die These, dass China ein Interesse hätte, eine | |
solche Liberalisierung zu verhindern, da dies die zwischen den USA und | |
China bestehende Wirtschafts-Symbiose aus billigem Yuan und Sweatshops in | |
China einerseits und der Konsumgesellschaft in den USA andererseits | |
zerstören würde. | |
Der Staat setzt seine Ziele im Notfall durch – denn er hat das | |
Gewaltmonopol. Zensur, Repressionen gegen Dissidenten, Netzsperren, | |
willkürliche Löschungen – nur einige Beispiele. Auch in Europa werden | |
virtuelle Mauern hochgezogen: Robin Meyer-Lucht von [2][carta] prägte den | |
Begriff der GfwdW (Great Firewall des Westens): "Die neuerliche | |
Netzsperren-Debatte und die ACTA-Verhandlungen zeigen Fragmente einer Art | |
Firewall des Westens," so Meyer-Lucht und spricht von einem | |
"Netz-Schengen". Das Netz solle durch ein "trusted internet" domestiziert | |
werden. Einem "ipadisierten" Binnen-Internet würde zukünftig ein dubioses, | |
sperrverdächtiges Außen-Internet gegenüberstehen. | |
Das ist kein paranoides Hirngespinst: Die EU-Kommissarin Cecilia Malmström | |
verlangt jetzt Netzsperren: Webseiten mit strafrechtlich relevanten | |
Inhalten, zum Beispiel kinderpornografischem, sollen gesperrt werden. Die | |
Anfragen der Nutzer sollen an einen anderen Ort umgeleitet werden. | |
Spannendes Beispiel auch für Staatlichkeit im Netz: Aktuell wird – abseits | |
der WTO – über das ACTA-Abkommen, das "Internetpiraterie bekämpfen" soll, | |
verhandelt. China und andere Nationalstaaten, bei denen die "Piraterie" | |
staatlich geduldet ist, sind gar nicht an den Verhandlungen beteiligt. | |
Dafür aber die Content-Industrie und Saatgutkonzerne. Letztlich stellt sich | |
die Frage, gegen wen man mit dem vermeintlichen "Anti-Piraterie-Abkommen" | |
eigentlich vorgehen möchte, wenn die "größten Piraten" gar nicht dabei | |
sind. | |
ACTA ähnele eher einer "Coalition of the willings" und weniger einer | |
Verhandlung globaler Regeln, so Bendrath. Alternativen zu global | |
verhandelten Regeln seien nationale Alleingänge wie die [3]["Islandic | |
Modern Media Initiave"] (IMMI) – an deren Nachhaltigkeit könne jedoch | |
gezweifelt werden. Eine autoritäre Regierung sei denkbar, und nicht zuletzt | |
ist noch offen, was in Island geschehe, wenn die EU Druck mache: Der | |
geplante Datenfreihafen Island befindet sich aktuell in | |
EU-Beitrittsverhandlungen. | |
"Wie können wir unsere technischen Infrastrukturen so aufbauen, dass auch | |
unfähige und unredliche Machthaber keinen großen Schaden anrichten können?" | |
fragt Ralf Bendrath in Anlehnung an ein Karl-Popper-Zitat. | |
Internet-Unternehmen sollen sich aus Zensur-Staaten zurückziehen, so eine | |
der Forderungen. | |
Ein Zuhörer fragt: "Kann die USA auf Google verzichten oder Google auf die | |
USA?" Eher ersteres, so Andreas Schmidt. Die Firma Google sei in den USA | |
beheimatet, der laxe Datenschutz dort beispielsweise sei für die Firma ein | |
Vorteil. Pauschal könne man das aber so nicht sagen. | |
Und die Durchsetzung nationaler Regeln ist schwierig: "Wie zwingt man | |
Google und Facebook zum Datenschutz?" fragt Bendrath noch einmal. "Offene | |
Briefe", sagt er mit Bezug auf Ilse Aigners Schreiben an Facebook-Gründer | |
Mark Zuckerberg, "die reichen nicht". | |
14 Apr 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://mspr0.de/ | |
[2] http://carta.info | |
[3] http://www.immi.is | |
## AUTOREN | |
Julia Seeliger | |
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