# taz.de -- Bloggerkonferenz re:publica: Kein Sendeschluss mehr | |
> Medienwandel, Meinungsfreiheit, Netzneutralität – die Blogger-Konferenz | |
> re:publica bleibt sich treu. Und hinterfragt die These der | |
> "Demokratisierung via Netz". | |
Bild: Blick in den Friedrichstadtpalast bei der re:publica 2010. | |
BERLIN taz | Mittwoch zehn Uhr, Berlin-Mitte, Friedrichstadtpalast. Tag | |
eins der re:publica, der größten Social-Media-Koferenz im deutschsprachigen | |
Raum. "Wer ist in diesem Jahr zum vierten Mal dabei?", fragt | |
Mit-Organisator Johnny Häusler vom Blog Spreeblick. Einige schauen sich | |
verwundert an - dieses Jahr soll schon das vierte Mal sein? Warum nicht. | |
Vereinzelt heben sich Hände. | |
Viele müssen zum ersten Mal da sein. 2009 wurden 1.900 Karten verkauft, | |
2010 sind es mehr als 2.500. In diesem Jahr ist mit dem "Quatsch Comedy | |
Club" eine dritte Location hinzugekommen Und die FAZ füllt ihr Feuilleton | |
zum re:publica-Start mit einer Geschichte über "die deutschen Blogger". | |
"165 Veranstaltungen, 265 Speaker, 30 Nationalitäten!", ruft Markus | |
Beckedahl vom Blog netzpolitik.org in den Raum. "Wir bringen die globale | |
Gesellschaft zusammen!" und schiebt noch den Satz nach: "Wer da noch von | |
Selbstreferenzialtät spricht, hat was nicht verstanden". | |
Beckedahl versucht mit diesem Statement einem Vorwurf vorwegzukommen, der | |
den Bloggern häufig vorgehalten wird: Zu weich sei das Ganze, man spreche | |
doch nur über sich selbst. Mit dem diesjährigen, nach Aussage der | |
Veranstalter, sehr international ausgerichteten Programm - die Speaker | |
kommen von vier Kontinenten - und mit der in Kooperation mit der | |
Bundeszentrale für politische Bildung organisierten Subkonferenz zu | |
Netzneutralität werden Schwerpunkte bei den harten Themen Demokratie und | |
Menschenrechte gesetzt. Als Highlight in der Subkonferenz Netzpolitik, ja | |
der re:publica überhaupt, haben die Veranstalter den Vortrag des | |
Netzneutralitätsforschers Tim Wu vom Donnerstagnachmittag herausgehoben. | |
Digitale Wirtschaft spielt beim Aspekt Netzneutralität auch mit hinein, | |
kommt aber auch in einzelnen Vorträgen wie dem zur "Ökonomie von Twitter, | |
Facebook und Co." vor. Auch ein eher ganzheitlicher Blick auf die Arbeit | |
fehlt nicht: Co-Worker sind Freiberufler, die sich über das Netz | |
organisieren, sich an realen Orten in ihren Städten zusammenfinden und sich | |
so aus der Traurigkeit des alleine Arbeiten befreien. | |
Weiterer Schwerpunkt der Konferenz: Der Medienwandel. Darüber spricht auch | |
der Schriftsteller und Journalist Peter Glaser. Seine Keynote "Der achte | |
Kontinent" kommt mehr wie ein Kunstwerk daher. "Journalismus ist die | |
zivilisierteste Form von Widerstand", "sonderbare Dinge wie das Testbild | |
oder den Sendeschluss kennen wir heute nicht mehr", "der digitale | |
Medienfluss verwandelt sich in eine Umweltbedingung" und "mit 26 Buchstaben | |
lässt sich ein ganzes Universum errichten". Glaser beklagt aber auch, dass | |
"die meisten Entwickler ihre Energie in Produkte stecken würden, die für | |
die oberen zehn Prozent bestimmt sind" und erzählt von einer Inderin, die | |
für ihre Mutter eine alte Olivetti-Schreibmaschine so umgerüstet hat, dass | |
die Mutter damit Mails versenden kann. | |
Zweites Highlight des ersten Tages: Der Moldavier Evgeny Morozov stellt die | |
These von der "Twitter Revolution" infrage. Während der Revolution im Iran | |
hätten die Medien getitelt "This revolution would not happen without | |
twitter" – dabei sei nichts über die Nachhaltigkeit der Proteste bekannt. | |
Twitter, Facebook und Co. ermöglichten nun, die Drahtzieher der Proteste zu | |
entlarven. "Das Netz kann Menschen auch entmutigen, an Protesten | |
teilzunehmen", so Morossov. | |
Das Netz ermögliche, "das Volk ruhig zu stellen". Mit Entertainment zum | |
Beispiel. Und es ermögliche Regierungs-Propaganda – China schaue sich | |
Propagandatechniken von New Labor ab – und das Streuen von | |
Falschinformationen, Stichwort "Spinternet". Und die Regimes könnten das | |
Netz auch einfach abschalten. Alles in allem müsse man die Rolle des Netzes | |
in autoritären Staaten grundsätzlich hinterfragen, es nicht als | |
Heilsbringer "für Demokratisierung" ansehen und endlich mit der politischen | |
Kritik weiterkommen als ständig nur die Frage "Ist das Netz gut oder | |
schlecht für die Demokratie?" zu stellen. | |
Seine These zur Rolle des Netzes "in autoritären Regimen" hinterfragte | |
einer aus dem Publikum. "Sie sprechen hier vom Iran oder Weißrussland. | |
Zensur und Überwachung gibt es aber auch bei uns." Übergriffe, Willkür und | |
Gefängnis seien in autoritären Staaten üblicher als hier, entgegnet | |
Morozov. | |
Im Quatsch Comedy Club, 15 Minuten vor Beginn der Veranstaltung über Google | |
Buzz. Der Google-Vertreter hat kein W-Lan – das stört ihn aber offenbar | |
nicht und er hält eine Präsentation, ohne etwas zu zeigen. Google Offline. | |
Peter Kruse hält einen nach Angaben der Zuschauer hervorragenden | |
[1][Vortrag] über Organisation, Demokratie, kulturelle Wertewelten und | |
Flashmobs und stellt die Grundsatzfrage "Warum verändert das Internet | |
Demokratie und Wirtschaft?". Das Web 2.0 sei "ein Angriff auf die | |
etablierten Regeln", so Kruse, und führe zu einer Verschiebung der | |
Machtverhältnisse. "Die Lawine donnert bereits zu Tal... und bist du nicht | |
willig, so brauch ich ... Geduld". | |
Jeff Jarvis, Journalismus-Professor an der City University of New York, | |
warb in seinem Vortrag "The german paradox" für mehr Offenheit. "Die | |
Deutschen sind komisch. Sie wollen ihre Daten schützen, gehen aber in die | |
Gemischtsauna." Es sei gar "antisozial", Daten für sich zu behalten. In | |
einer Gesellschaft von Nackten sei niemand nackt, sagt Jarvis, der selbst | |
von sich behauptet, impotent zu sein. | |
Viele der Anwesenden werden seine Thesen von "Post Privacy" im Prinzip gut | |
gefunden haben: Die Meisten finden die neuen Möglichkeiten, die das Netz | |
bietet, hauptsächlich praktisch. Die Twitter-Dichte ist hoch, viele laufen | |
mit ihrem Twitter-Namen auf dem "Badge" herum, das sie um den Hals tragen. | |
Man trifft sich zwischendurch im St. Oberholz, dem selbsterklärten | |
Web-2.0-Mekka am Rosenthaler Platz, ein paar Straßen fußläufig vom | |
Veranstaltungsort. Am Abend warten Veranstaltungen wie "Sex and the | |
Internet", ein Vortrag von Sascha Lobo über "Shitstorms – seismische | |
Empörungswellen im Netz" und eine Twitterlesung. | |
Die Invasion der Blogger und Geeks in Berlin-Mitte wird noch einige Tage | |
anhalten: Die re:publica läuft noch bis Freitag ([2][Programm]). | |
Daheimgebliebene können den [3][Livestream aus dem Friedrichstadtpalast] | |
schauen und via Twitter-Hashtag [4][#rp10] minutiös verfolgen, was die | |
Teilnehmer für relevant halten. | |
14 Apr 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.scribd.com/doc/29900810/republica2010 | |
[2] http://re-publica.de/10/programm/ | |
[3] http://re-publica.de/10/livestream-aus-dem-friedrichstadtpalast/ | |
[4] http://twitter.com/#search?q=%23rp10 | |
## AUTOREN | |
Julia Seeliger | |
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