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# taz.de -- Blogs in Russland: "Am System wird nicht gerüttelt"
> Im Rahmen der Web2.0-Konferenz re:publica diskutierten russische und
> weißrussische Blogger über die Entwicklung, die Zukunft und den Einfluss
> der Blogosphäre in ihrer Heimat.
Bild: Viktor Malishevsky, weißrussischer Blogger und "Antijournalist" auf der …
„Blogger überschätzen gern ihren Einfluss, doch der Einfluss von Blogs
sollte nicht unterschätzt werden“, scherzt Viktor Malishevsky, Autor eines
der meistzitierten Blogs in Weißrussland. Es wird gerade die Frage
diskutiert, ob Blogs zur Demokratisierung von Russland und Weißrussland
beitragen können. Sein russischer Kollege Alexander Plushev ist da nicht
sehr optimistisch. „Blogs können zwar gewisse Themen aufgreifen, die von
den Mainstream-Medien nicht beachtet. Hier wird ein Krankenhaus gerettet,
dort ein Kindergarten. Aber am System wird nicht wirklich gerüttelt.“
Es sei sogar noch schlimmer, meint Plushev. Kämpfe von russischen Bloggern,
die erfolgreich sind, würden den Eindruck erwecken, dass man auf diesem Weg
das System austricksen kann. Aber darum sollte es nicht gehen, sondern um
eine Veränderung. Da muss Rustem Adagamow, Fotograf und Autor des berühmten
russischen Blogs „Drugoi“ (Der Andere) widersprechen. Blogs können seiner
Meinung nach sehr wohl soziale Prozesse beeinflussen. „Mit einer Kampagne
haben wir es geschafft, die Seehundjagt im Weißen Meer zu verbieten. Das
hätte schon vor Jahrzehnten passieren müssen, und wir haben es in nur 2
Jahren geschafft.“
Gabriel González Zorrilla, Projektmanager des „Deutsche Welle Blog Awards“,
schlichtet. Schließlich würde sich jede Blogosphäre anders entwickeln. Für
viele Blogger sei ein gewisser Einfluss auf die Gesellschaft dennoch eine
Motivation, vor allem wenn in ihrem Land keine oder eingeschränkte
Pressefreiheit herrscht.
Warum soll man also überhaupt bloggen? Viktor Malishevsky, der zehn Jahre
lang als Redakteur für die Jugendzeitung „Komsomolskaja Prawda“ tätig war,
hat eine ganz eigene Vorstellung von der Rolle des Bloggers. „Als meine
Journalisten mir früher ein unvollständiges Interview brachten, sagte ich
zu ihnen: Die Fragen, die ihr nicht gestellt habt, wird der Leser stellen.
Jetzt übernimmt der Blogger die Rolle des Lesers. An den Stellen, wo die
Journalisten nicht nachhaken, bohrt der Blogger weiter.“
Den Journalisten ersetzen soll dieser aber nicht. Viel mehr sieht
Malishevsky den Blogger als „Antijournalisten“. Der Unterschied sei, dass
ein Journalist seine Fragen direkt an die Politiker oder andere öffentliche
Personen stellen kann, der Blogger hingegen stellt diese Fragen ins nichts.
Beim Bloggen sollte man aber nicht den Einfluss im Auge haben, den ein
Beitrag eventuell haben könnte. Viel mehr sei der Blog eine
Experimentierfläche, auf der man neue, freiere Formen ausprobieren und
Themen spielerisch angehen kann. Der journalistische Stil sei in
Weißrussland sehr festgefahren, Humor oder Ironie würden in der etablierten
Presse nur selten zum Einsatz kommen.
Dennoch haben Malishevskys Blogeinträge oft eine direkte Auswirkung auf die
Berichterstattung im Land. „Oft übernehmen Journalisten die Fragen, die ich
auf meiner Seite veröffentliche, und stellen diese bei Pressekonferenzen an
die Politiker, zu denen ich ja keinen Zugang habe“, erklärt Malishevsky.
Für viele unabhängige Zeitungen, die unter enormem Druck der Regierung und
ständiger Angst vor Schließung arbeiten, sei das Zitieren von Blogeinträgen
oft die einzige Möglichkeit, Themen aufzugreifen, die sonst aus
Selbstzensur unter den Tisch fallen würden.
„Als ich herausgefunden habe, das unser sehr „volksnaher“ Präsident eine
Uhr im Wert von 17.000 Euro trägt, wurde diese Information in sämtlichen
Zeitungen zitiert“, erinnert sich der Blogger. „Oder als ich ausgerechnet
habe, dass acht unserer Minister das gesetzliche Rentenalter überschritten
hatten, waren am Abend nur noch zwei von Ihnen im Amt“. Die Blogger
ihrerseits hätten nichts zu befürchten, da sie ja nicht offiziell als
Medium fungieren. Außerdem stünde für Sie kein Arbeitsplatz auf dem Spiel,
was die Druckmittel schon mal einschränkt.
Doch was für Malishevsky eben so wichtig ist wie seine Posts, sind die
Kommentare, die seine Leser auf seinem Blog hinterlassen. „In unserer
Gesellschaft gibt es keine freie Meinungsäußerung, keinen demokratischen
Dialog. Blogs sind für viele die einzige Möglichkeit, frei über relevante
Themen zu debattieren“.
Auch in Russland sind Blogs eine der wenigen Möglichkeiten zur Verbreitung
von Informationen, die von Mainstream-Medien unter den Tisch gekehrt
werden. „Dem Gesetz nach haben wir in Russland zwar alle Freiheit der Welt,
doch diese kann nicht immer gelebt werden“, erklärt Alexander Plushev. „Nur
wenige Zeitungen und Radios sind wirklich unabhängig“.
In Russland soll es mittlerweile schon an die 17 Millionen Blogs geben,
etwa 2 bis 3 Millionen seinen aktiv. Doch bei vielen handle es sich nicht
um politische Seiten. „In Russland ist Politik leider kein sehr beliebtes
Thema“, bedauert Plushev. Microblogs wie Twitter hingegen erfreuen sich
sehr großer Beliebtheit. Diese würden vor allem dem Austausch von
Informationen dienen. Sie nehmen eine wichtige Rolle in Bezug auf den
Artikel 31 der Verfassung der Russischen Föderation, der die
Versammlungsfreiheit gewährleistet. „Über Twitter konnten schon mehrfach
Demos und Treffen organisiert werden. Manchmal kamen mehrere tausend
Menschen zusammen. Solche Events werden vom Fernsehen weitgehend
ignoriert.“.
Doch anders als in Weißrussland nutzen in Russland auch die Politiker die
Blogosphäre, um Werbung für sich zu machen. Außerdem soll es in Russland
auch „Auftragsblogger“ geben, die in Foren und Blogs bestimmte politische
Meinungen vertreten um die Debatten zu beeinflussen.
Dennoch seinen Blogger frei zu schreiben, was immer ihnen gefällt. „Sie
sind keine echte Bedrohung für das System, und darum werden auch
regierungsfeindliche Blogger toleriert. Sie dienen der Bevölkerung auch als
Ventil für Unzufriedenheit, und das wissen die Politiker“, erklärt Plushev.
Weder in Russland noch in Weißrussland wird das Internet mit Hilfe von
technischen Einschränkungen kontrolliert, wie dies zum Beispiel in China
der Fall ist. Zwar soll in Weißrussland im Juli ein neues Gesetz für mehr
Kontrolle im Internet in Kraft treten, doch seine tatsächliche Reichweite
ist noch nicht absehbar. Die russische Regierung wiederum kann nicht nach
dem chinesischen Modell handeln, ohne die Blicke der Völkergemeinschaft auf
sich zu ziehen. Für Viktor Malishevsky und Alexander Plushev bleibt das
Internet also ein Ort der freien Meinungsäußerung und der Demokratisierung
der Gesellschaft.
16 Apr 2010
## AUTOREN
Alexandra Friedmann
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