# taz.de -- Wikileaks-Sprecher: "Wir brauchen die Obskurität noch" | |
> Wikileaks veröffentlicht brisante Dokumente, um Transparenz zu schaffen. | |
> Die meisten Macher aber bleiben lieber anonym: Sprecher Daniel Schmitt | |
> nimmt Stellung. | |
Bild: Das Bagdad-Video "Collateral Murder", das auf Wikileaks zu sehen ist, hat… | |
taz: Herr Schmitt, das Bagdad-Video "Collateral Murder" hat Wikileaks | |
endgültig weltweit bekannt und Sie bei den US-Behörden sicherlich sehr | |
unbeliebt gemacht. Haben Sie manchmal Angst vor der CIA? | |
Daniel Schmitt: Ich sehe das relativ entspannt. Es gibt Leute bei uns, die | |
müssen wirklich um ihr Leben fürchten. Ich komme aus einem westlichen, | |
relativ freien Land. Bei mir verschwindet höchstens mal meine Post - wie | |
neulich in Island im Hotel, da kamen leere Kuverts an. | |
Vor Kurzem wurde auch ein Bericht des US Army Counterintelligence Center | |
bekannt, in dem beschrieben wird, wie Wikileaks geschwächt werden kann. | |
Etwa, indem Ihre Informanten enttarnt werden sollen. | |
Unsere Quellen zu schützen ist das Wichtigste für uns. Deswegen sind auch | |
außer Julian Assange und mir keine anderen Leute öffentlich bekannt. | |
Sie selbst halten Ihren echten Nachnamen geheim. | |
Das soll die Latte für gewisse Leute zumindest etwas höher legen. Zum | |
Beispiel wollen wir demnächst 37.000 interne E-Mails aus der NPD | |
veröffentlichen. | |
Sind Sie politisch? | |
Kein Mensch ist unpolitisch. | |
Wikileaks behauptet von sich, neutral zu sein. | |
Sind wir auch. Wir sind neutral gegenüber dem Inhalt unserer Einsendungen. | |
Es wird nicht abgestimmt: Das gefällt uns politisch nicht, also publizieren | |
wir es nicht. Wikileaks trifft keine redaktionellen Entscheidungen. | |
Sie veröffentlichen alles? | |
Solange es sich um echte Dokumente von offiziellen Stellen handelt. Wir | |
veröffentlichen nichts, was jemand selbst verfasst hat - beispielsweise | |
einen Bericht darüber, dass einen der Chef nicht gut behandelt. | |
Und wie überprüfen Sie das? | |
Wir haben über die ganze Welt verstreut Spezialisten sitzen, die sich mit | |
der forensischen Untersuchung von digitalen Dokumenten auskennen. Die | |
können zum Beispiel feststellen, ob an gescannten Dokumenten etwas mit | |
einem Fotobearbeitungsprogramm gemacht wurde. Am Ende ihrer technischen | |
Prüfung machen sie das Dokument komplett sauber. Das heißt: Es wird alles | |
entfernt, was eine Quelle identifizieren könnte. Dann wird das saubere | |
Dokument inhaltlich geprüft. | |
Und wer macht diesen Check? | |
Journalisten, Menschenrechtler, Anwälte. Wir haben eine ganze Menge Leute, | |
die anderen gern auf den Wecker gehen und wissen, wie man gute Fragen | |
stellt. Insgesamt ist das ein Pool von 800 bis 1.000 Leuten. | |
Für "Collateral Murder" haben Wikileaks-Mitglieder sogar im Irak | |
Informationen überprüft. | |
Das war das erste Mal, dass wir so viel Aufwand betrieben haben. Weil wir | |
überzeugt waren, dass es sich in diesem Fall lohnt. Weil der Mehrwert für | |
die Gesellschaft hoch ist. Und um unser Projekt bekannter zu machen, was | |
auch wichtig für Spenden ist. | |
Sind die Finanzprobleme von Wikileaks gelöst? | |
Wir haben innerhalb von wenigen Tagen etwa 100.000 Euro an Spenden | |
bekommen. Das ist ein klares Zeichen und zeigt, dass die Menschen unsere | |
Arbeit für wichtig halten. | |
Wikileaks ist aber auch kritisiert worden. Etwa für das Publizieren | |
privater E-Mails - von Sarah Palin etwa. Hat sie kein Recht auf | |
informationelle Selbstbestimmung? | |
Ich stimme zu, dass uns das in manchen Fällen Bauchschmerzen bereitet. Das | |
Problem ist aber sehr vielschichtig. Bei Sarah Palin waren es ja nur sehr | |
wenige Auszüge aus ihrer E-Mailbox … | |
… unter anderem wurden auch Fotos der Kinder öffentlich. | |
Aber gleichzeitig konnte nachgewiesen werden, dass Palin politische Mails | |
über ihren privaten Account verschickt hat und so den "freedom of | |
information act" umgehen wollte. Aus meiner Sicht hebelt das ihr Recht auf | |
informationelle Selbstbestimmung aus. Generell wollen wir aber auch gar | |
nicht bewerten, ob Material von öffentlichem Interesse ist oder nicht. Wo | |
da die Schwelle ist, kann aus unserer Sicht niemand definieren. | |
Sie hatten auch die Mitgliederliste der rechtsextremen BNP in England | |
publiziert, mit Namen und Adressen. Würden Sie das auch bei einer linken | |
Gewerkschaft in einem Staat machen, in dem sie extrem angefeindet wird, in | |
Mittelamerika etwa? | |
Das wäre ein sehr schwieriger Fall. Aber aufgrund unserer Kriterien müssten | |
wir das wohl. | |
Auch wenn das Leben gefährden würde? | |
Wenn wir das wissen, dann würden wir Sorge vor der Veröffentlichung dafür | |
tragen, dass jeder gut informiert ist. Und zwar so, dass das Leben nicht | |
gefährdet ist. Einen solchen Fall hatten wir aber noch nie. Und wenn | |
irgendwem was passiert, könnte ich auch nie wieder in den Spiegel gucken. | |
Bei der Liste der BNP hätte aber auch passieren können, dass einer sagt: Zu | |
diesem Rassisten fahr ich hin und bring ihn um. | |
Ich will mal etwas philosophisch antworten. Wir entwickeln uns in eine | |
Gesellschaft, in der im Internet immer mehr Informationen zu jedem | |
vorhanden sind. Keiner weiß mehr, wie viel über einen unterwegs ist. Alle | |
Menschen werden lernen müssen, damit verantwortungsbewusst umzugehen. | |
Datenschutz ist also keine Kategorie mehr? | |
Natürlich gibt es ganz viele Daten, die geschützt bleiben sollten. | |
Irgendwelche Krankenakten gehören überhaupt niemandem gezeigt. Aber ehrlich | |
gesagt mach ich mir da viel mehr Gedanken über so etwas wie die jetzt | |
gestartete Sozialdatenbank Elena, wo der Staat Daten speichert, warum man | |
gekündigt wurde oder dass man ein Alkoholproblem hat. | |
Ein Paradoxon bleibt: Wikileaks will Transparenz schaffen, ist aber selbst | |
intransparent. | |
Irgendwann sind wir auch transparent, aber dafür müssen wir unser System | |
noch weiterentwickeln. Dann kann potenziell jeder von seinem Computer an | |
der Prüfung von Dokumenten mitarbeiten. Bis dahin brauchen wir diese | |
Obskurität noch, um unsere Quellen zu schützen. | |
Sind die traditionellen Medien beim Schutz der Informanten hinter der | |
technischen Entwicklung zurückgeblieben? | |
Im Vergleich dazu, wie wir Anonymität garantieren können, ja. Wir sind nur | |
auf diesen kleinen Teil spezialisiert: Dokumente prüfen und sicherstellen, | |
dass sie anonym veröffentlicht werden. Und auf diesem Feld sind wir besser. | |
In diesem Punkt mögen Journalisten nicht so weit sein, aber sie haben | |
erkannt, dass Neutralität nicht möglich ist. Allein durch die Entscheidung | |
etwas zu veröffentlichen, bezieht man Stellung. Dafür trägt der | |
Publizierende Verantwortung. Die behauptete Neutralität von Wikileaks ist | |
eine Illusion. | |
Nein. Wir veröffentlichen alles, was nicht von irgendwem selbst verfasst | |
wurde und ein echtes Dokument ist, egal ob es von links oder von rechts | |
kommt. Uns kümmert auch nicht, was eine Quelle motiviert. Ob sie jemanden | |
in die Pfanne hauen oder ob sie die Welt verbessern will - wir | |
veröffentlichen. Viel neutraler geht es nicht. | |
Nur hat dieses Dokument auch eine Auswirkung. Und damit beeinflusst | |
Wikileaks den Lauf der Dinge. Wie soll das neutral sein? | |
Unsere Quelle ist unter Umständen nicht neutral … | |
… und damit auch Sie nicht. | |
Die Gegenseite kann ja zurückleaken. Und dann gibt es am Ende eine | |
Riesenschlammschlacht der Wahrheit. Die Öffentlichkeit entscheidet, was von | |
Interesse ist. Und was uninteressant ist, wird untergehen. | |
Das heißt, Sie überlassen die Verantwortung für Ihre Veröffentlichungen | |
Ihren Quellen? | |
Und der Öffentlichkeit. Es gibt ungeklärte Fragen, das ist uns schon klar. | |
In der Praxis funktioniert es jedenfalls bisher gut. Wir veröffentlichen | |
jede Menge gutes Material. | |
Geht dieses Material nicht allzu oft in der Menge der veröffentlichen | |
Dokumente unter? | |
Das ist richtig. Ich habe mich bei vielen Dokumenten schon gefragt: Warum | |
schreibt niemand über diesen Knaller? Deshalb werden wir mehr mit | |
klassischen Medien zusammenarbeiten, um bestimmte Dinge bekannter zu | |
machen. | |
Wenn Sie auf Medien zugehen, dann entscheiden Sie doch, was wichtig ist. | |
Führt das nicht Ihre Philosophie ad absurdum? | |
Es ist eher so, dass ich weiß, welchem Medium etwas gefällt - dem Stern die | |
Toll-Collect-Verträge und der taz vielleicht interne NPD-Mails. Bald aber | |
wollen wir unser System, über welches wir die Dokumente bekommen, an Medien | |
weitergeben. | |
Und wie soll das funktionieren? | |
Die Quelle entscheidet, welches Medium ihr Dokument für einen von ihr | |
festgelegten Zeitraum als erstes sieht. Später veröffentlichen wir das | |
Dokument vollumfänglich, damit die Quelle ihr Ziel erreicht: größtmögliche | |
Wirkung des Dokuments. Die Medien profitieren vom Material und dessen | |
temporärer Exklusivität, die Quellen von der garantierten Anonymität. | |
14 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Wolf Schmidt | |
Daniel Schulz | |
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