| # taz.de -- Türkdeutsche und Ostdeutsche: "Diese verfluchte Einheit" | |
| > Was Ostdeutsche und Türkdeutsche miteinander verbindet – und warum sie | |
| > sich trotzdem nicht leiden können. Mit der Wiedervereinigung fing es an. | |
| Bild: Nicht alle sind erfreut darüber, dass die Mauer weg ist | |
| BERLIN taz | Arbeitslosigkeit, Bildungsferne, Extremismus - in nahezu allen | |
| Krisenstatistiken belegen sie regelmäßig die vorderen Ränge. Die Rede ist | |
| von den Problemkindern dieses Landes: den Ostdeutschen und den | |
| Türkdeutschen. Beide tun sich schwer damit, die demokratischen Spielregeln | |
| zu akzeptieren, und hegen Sympathien für totalitäre Weltanschauungen. Oder | |
| andersherum: Beide sind es leid, Gegenstand fortwährender Verdächtigungen | |
| zu sein und sich immerzu erklären zu müssen. | |
| Sie werden manchmal schlecht behandelt und haben noch häufiger das Gefühl, | |
| schlecht behandelt zu werden. Beide haben Fürsprecher, die ein handfestes | |
| Interesse daran haben, die Benachteiligungen nicht nur anzuprangern, | |
| sondern die Differenz zum Rest der Gesellschaft fortzuschreiben. Denn | |
| darauf beruhen ihre Geschäftsmodelle. | |
| Noch in der gegenseitigen Aversion sind sich beide ähnlicher, als man | |
| vielleicht annehmen sollte. Denn beide sind der Auffassung, dass der | |
| jeweils Andere nicht wirklich hierher gehört und dieses Land ohne ihn ein | |
| besseres wäre. Schließlich meinen beide einiges über den Anderen zu wissen, | |
| kennen diesen aber so gut wie gar nicht. | |
| Doch wer gewillt ist, eine seriöse Abhandlung über das Verhältnis beider | |
| Populationen zu verfassen, steht vor einem Problem: Er steht ohne jedes | |
| empirische Material da. Denn die Ossiforschung und die Migrationsforschung | |
| sind voneinander strikt getrennte Disziplinen; Meinungsumfragen, die | |
| zwischen Ost und West unterscheiden, differenzieren vielleicht nach | |
| Alters-, Klassen- oder Geschlechtszugehörigkeit, erfassen aber nicht die | |
| Einwanderer gesondert. | |
| Umgekehrt scheren sich Erhebungen unter Einwanderern niemals um die Ossis. | |
| Und Kriterien, mit denen Sozialforscher den Grad der "Integration" von | |
| Türken, Exjugoslawen oder Arabern abzulesen versuchen - etwa anhand der | |
| Bildungsabschlüsse oder der Anzahl bikultureller Ehen -, gibt es für die | |
| Integration von Sachsen, Brandenburgern und Thüringern nicht. | |
| So kann auch dieser Text auf nichts Zuverlässigerem gründen als auf eigenen | |
| Erfahrungen und Beobachtungen. Da sind Verallgemeinerungen unumgänglich. | |
| Unterhält man sich mit älteren Deutschtürken, kommt regelmäßig folgender, | |
| fast schon klassischer Satz: "Almanyanin eski tadi kalmadi", übersetzt: | |
| "Deutschland schmeckt nicht mehr wie früher." | |
| Nun mag dieses Gerede mit der generellen menschlichen Neigung | |
| zusammenhängen, mit fortschreitendem Alter das, was war, immer besser zu | |
| finden als das, was ist. Interessant ist dennoch, welche Gründe viele | |
| Deutschtürken nennen, wenn sie darlegen sollen, warum sie finden, dass | |
| Deutschland am Arsch ist. | |
| Der erste Grund sind, so platt das klingen mag, die Ossis. Oder weniger | |
| personalisiert ausgedrückt: die Wiedervereinigung. Als vor zwanzig Jahren | |
| die Mauer fiel und kurzzeitig das gesamte Land in einen kollektiven | |
| Freudentaumel verfiel, verfolgten dies viele Ausländer - keineswegs nur die | |
| eingewanderten Türken - mit Unbehagen. | |
| Das geht gegen uns, war die Befürchtung, die sich bald in den Pogromen von | |
| Hoyerswerda und Rostock und den Mordanschlägen von Mölln und Solingen zu | |
| bewahrheiten schien. Das fröhliche Ausländertotschlagen wurde dann zwar | |
| reduziert, aber dafür kamen andere Probleme. Und sind geblieben. | |
| "Diese verfluchte Einheit" | |
| "Lass mich deine Augen küssen, Westberlin", seufzt meine Nachbarin N., nach | |
| dem Leben in der geteilten Stadt gefragt. (Ihre Antwort klingt auf Türkisch | |
| im Übrigen überhaupt nicht verschroben, aber diese Redewendung ist so | |
| schön, dass sie es verdient, wörtlich übersetzt zu werden.) | |
| "Gut, die Wohnungen waren schlecht, mit Außenklos und ohne Duschen", fährt | |
| N., die Anfang fünfzig ist und in Kreuzberg einen Kiosk betreibt, fort. | |
| "Aber es gab überall Arbeit - Schaub-Lorenz, Telefunken, Mercedes … Dann | |
| die vielen Zulagen, du hast viel besser verdient als im Westen, weshalb | |
| viele Türken dann auch rüberkamen. Und dann kam diese verfluchte Einheit, | |
| und alles ging kaputt." | |
| Auch ohne das spezifische Westberliner Lokalkolorit eine durchaus typische | |
| Erzählung. Ein unter dem Pseudonym Bayram Karamollaoglu schreibender Autor | |
| ironisierte im "Hauptstadtbuch" des Verbrecher Verlages dieses Gefühl, dass | |
| die Wiedervereinigung schuld an allem Unbill sei, so: "Dann komme Ossis. | |
| Ich mein: Was suche hier? Wer Ossis hat reinlassen? Müsse jeder bleibe, wo | |
| er ist, sonst nur Problem." | |
| Und tatsächlich, hätte man 1989/90 Repräsentanten der westdeutschen | |
| Einwanderer zu den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen über die deutsche Einheit | |
| hinzugezogen und diese mit einem Vetorecht ausgestattet, die Volkskammer | |
| würde, jede Wette, noch heute tagen. | |
| Dass Menschen, die selbst gerade erst irgendwo eingewandert sind, nach | |
| ihnen Kommende lieber draußen wissen möchten, mag skurril erscheinen, ist | |
| aber ein Klassiker der Migrationsgeschichte; man denke nur an das | |
| Verhältnis von irischen und italienischen Einwanderern in den USA. | |
| Und dass die Ossis sich selbst niemals als Allochthone, sondern als | |
| Autochthone begriffen ("Wir sind ein Volk!"), macht die Sache nur für | |
| Außenstehende komplizierter, nicht für die Deutschtürken. Für sie waren die | |
| Ossis störende Ausländer. | |
| Die Aversion beruht natürlich auf Gegenseitigkeit. Aufgewachsen in der DDR, | |
| die ihren "Vertragsarbeitern" aus "Bruderstaaten" wie Vietnam oder Angola | |
| nur einen befristeten Aufenthalt gewährte, sie kasernierte und ihnen | |
| Kontakte zur einheimischen Bevölkerung vorenthielt, waren die Ossis nach | |
| der Wiedervereinigung einigermaßen verdutzt. Sie wollten sich mit ihren | |
| "Brüdern und Schwestern" wiedervereinigen, nicht mit irgendwelchen | |
| Ausländern. | |
| Obwohl Studenten, Fachkräfte, Asylbewerber und sonstige Einwanderer in | |
| einigen ostdeutschen Städten heute zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, | |
| wirkt das xenophobe Erbe der DDR noch nach - und das mitnichten nur in den | |
| No-go-Areas. | |
| Studien zeigen, dass bis zu 41 Prozent der Ostdeutschen ausländerfeindliche | |
| Ansichten haben (und in einem noch größeren Ausmaß die DDR verklären, was | |
| wiederum hervorragend mit der BRD-Verklärung der Einwanderer | |
| korrespondiert). | |
| Eine, die es wissen muss, nämlich Antje Hermenau, die Vorsitzende der | |
| grünen Landtagsfraktion in Sachsen, schrieb im vergangenen Jahr in der taz: | |
| "Auch zwanzig Jahre nach der Wende gibt es ausreichend Anzeichen, dass die | |
| Vorstellung, Migrantinnen und Migranten seien nicht Teil dieser | |
| Gesellschaft, sondern eine Gruppe von ,Besuchern', auch weiterhin | |
| verbreitet ist." | |
| Die Monikas aus Ostberlin | |
| Der zweite Grund, weshalb ältere Deutschtürken den Geschmack an Deutschland | |
| verloren haben, hat mit dem Euro zu tun. Niemand trauert so um die | |
| verblichene D-Mark wie die Deutschtürken - außer vielleicht die Ossis. Kein | |
| Wunder, war doch die D-Mark der eigentliche Grund, weshalb sie, Türken wie | |
| Ossis, überhaupt herkamen. | |
| Überhaupt das Geld. Mögen viele in Ostdeutschland - neuerdings mit | |
| tatkräftiger Unterstützung durch Thilo Sarrazin - der Ansicht sein, der | |
| deutsche Staat füttere mit den Ausländern zu viele unnütze Esser durch, | |
| sind viele westdeutsche Deutschtürken der umgekehrten Auffassung. Mit dem | |
| Solidaritätszuschlag, den man ihnen seit zwanzig Jahren abknöpft, | |
| alimentierten sie die Faulpelze im Osten. | |
| Als mich kürzlich meine Eltern besuchten, schlug ich ihnen vor, ein Kurbad | |
| im Brandenburgischen zu besuchen. Ich musste dafür ihre Sicherheitsbedenken | |
| ausräumen. Die Fahrt dorthin erlebten sie als Wechselbad der Gefühle - | |
| zwischen staunen ("So saubere Autobahnen, alles dreispurig, wow!" ) und | |
| nörgeln ("Das haben wir alles bezahlt!"). | |
| Über gegenseitige Vorurteile hinweghelfen könnten natürlich | |
| zwischenmenschliche Beziehungen. Die schönsten Integrationskurse sind | |
| zweifelsohne jene, die auf den Satz folgen: "Baby, ich will dich | |
| integrieren!" | |
| Doch so selten schon Ehen zwischen Westdeutschen und Türken sind, so rar | |
| sind sie zwischen Türken und Ossis. Wo sollte man sich auch kennen lernen? | |
| Rübergemacht haben nur ein paar wagemutige Betreiber von Dönerimbissen. | |
| Einer von ihnen war T., ein einst militanter Linksradikaler, der nach dem | |
| Putsch von 1980 nach Westberlin kam. Mitte der neunziger Jahre eröffnete er | |
| in einer brandenburgischen Kleinstadt einen Imbiss. "Das war schon | |
| merkwürdig", erinnert er sich, "die wollten immer ihren Döner komplett, | |
| saßen in meinem Laden und zogen über die Ausländer her. Ohne dass ich mich | |
| groß eingemischt hätte, rief mir manchmal einer zu: ,Keine Angst, dich | |
| meinen wir nicht, du bist in Ordnung und dein Döner auch.'" | |
| Seinen Laden gab T. dennoch auf - nachdem der vierte Dönerladen aufgemacht | |
| hatte, lohnte es nicht mehr. Heute arbeitet er als leitender Angestellter | |
| einer Dönerproduktionsfirma, die ihren Sitz von Berlin nach Brandenburg | |
| verlegt hat und von dort sogar Hotels in der Türkei beliefert. | |
| "Den deutschen Touristen schmeckt der türkische Döner nicht, sie wollen | |
| unseren", erklärt er. Die Chefs in dem mittelständischen Betrieb sind | |
| Türken, die einfachen Arbeiter Deutsche und Polen. "Auf der Arbeit ist es | |
| okay", erzählt T., "aber mehr haben wir nicht miteinander zu tun, die | |
| Deutschen wohnen alle in der Umgebung, die Türken in Berlin." | |
| Übrigens: Das Verhältnis war nicht immer so schlecht, zumindest nicht in | |
| Berlin. Früher, als alles nicht nur anders, sondern natürlich auch besser | |
| war, fuhren türkische, aber auch jugoslawische oder griechische | |
| Westberliner gerne mal nach Ostberlin. | |
| "Wir mussten zwanzig D-Mark zwangsumtauschen, aber mit zwanzig Mark warst | |
| du dort König", erzählt A., der Mitte der sechziger Jahre nach Westberlin | |
| kam und hier auf dem Bau arbeitete. | |
| "Wir fuhren regelmäßig rüber, haben dort gefeiert und getrunken, und schon | |
| bald hatte jeder von uns eine Freundin. Weißt du, in Westberlin wollten die | |
| deutschen Frauen nichts mit uns zu tun haben, aber die Monikas im Osten | |
| waren anders." | |
| Nach einer Pause fügt er hinzu: "Vielleicht auch, weil wir ihnen Marlboros, | |
| Milka-Schokolade und Jacobs-Kaffee mitbrachten, so, wie wir es von unseren | |
| Urlauben in der Türkei gewohnt waren." Einige verheiratete Westberliner | |
| Gastarbeiter haben im Osten sogar eine Zweitfamilie unterhalten. "Als die | |
| Mauer verschwand, flog dieses Doppelleben natürlich auf." Aber das ist eine | |
| andere Geschichte. | |
| 1 Oct 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Deniz Yücel | |
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