# taz.de -- Kolumne Besser: Zonen-Siegfrieds große Stunde | |
> Wenn man am 9. November über die Linkspartei reden will, müsste man ihre | |
> zivilisatorische Leistung würdigen, anstatt an elende deutsche | |
> Traditionen anzuknüpfen. | |
Bild: „Ich bin gekommen vom Regen in die Jauche“, sang Biermann nach seiner… | |
Wenn der Auftritt von Wolf „Drachentöter“ Biermann im Bundestag etwas | |
gezeigt hat, dann das: Dem deutschen Konservatismus samt angeschlossenem | |
Feuilleton geht es nicht gut. Die Macht der Merkel-CDU ist zwar | |
unangefochten, aber zum Preis, dass man nicht mehr weiß, was das eigentlich | |
ist: konservativ. Es musste erst der Zonen-Siegfried Biermann ans | |
Rednerpult treten, um an einen Wert wie den Antikommunismus zu erinnern, | |
mit dessen Hilfe sich einst die wilhelminischen Eliten in stramme Nazis und | |
später in „wehrhafte Demokraten“ verwandelten. | |
Im Tonfall des Jawolljawoll-Endlich-sagts-mal-einer, mit dem der | |
Internetmob einen ressentimentgeladenen Wirrkopf nach dem anderen auf Platz | |
eins der Amazon-Charts trägt - zuletzt Udo Ulfkottes Verschwörungsfantasie | |
„Gekaufte Journalisten“ - diesen Tonfall also stimmt nun das konservative | |
Feuilleton an: „Nie gehörte Worte im deutschen Parlament“, raunt [1][Uwe | |
Schmitt in der Welt], „auf den preußischen Ikarus ist Verlass“, jubelt | |
[2][Jasper von Altenbockum in der FAZ], wo zudem [3][Volker Zastrow | |
Bundestagspräsident Norbert Lammert dafür lobt], so „pfiffig“ gewesen zu | |
sein, Biermann einzuladen. Bemerkenswert für Leute, die sonst jedes T-Shirt | |
mit politischer Aufschrift als des „Hohen Hauses“ unwürdig befinden. | |
Zum Blödelbarden Biermann, der nach seiner Ausbürgerung 1976 noch sang, er | |
sei „Gekommen vom Regen in die Jauche“, hat Heiko Werning [4][auf taz.de | |
schon alles Nötige gesagt] („Nach unten pickender eitler Gockel“). Doch | |
wenn man am 25. Jahrestag des Mauerfalls nicht über die [5][Toten des | |
heutigen EU-Grenzregimes] reden und sich lieber mit der historischen Rolle | |
der Linkspartei beschäftigen will, dann müsste man ihre zivilisatorische | |
Leistung nach 1989 würdigen. Sie hat erheblich dazu beigetragen, dass das | |
ostzonale Jammertum nur zum geringeren Teil seinen politischen Ausdruck in | |
der NPD gefunden hat [6][(oder in der AfD findet)]. Sie hat geholfen, einen | |
Teil der Hinterlassenschaft der SED beiseitezuräumen. | |
Denn die DDR war der schlechtere, weil deutschere Staat. Wo im Westen | |
kapitalistisches Konsummodell, amerikanische Popkultur, Urlaubsreisen ins | |
Ausland und Einwanderung aus dem Ausland dafür sorgten, dass das Land | |
undeutscher und damit zivilisierter wurde, lebten in der DDR viele | |
furchtbare deutsche Traditionen in stärkerer Weise fort - obwohl ihr | |
Gründungspersonal aus Leuten bestand, die die Konzentrationslager oder die | |
„Säuberungen“ im sowjetischen Exil überlebt hatten. Als dieser autoritäre | |
Staat, der das Ressentiment gefördert und zugleich unter Kontrolle gehalten | |
hatte, zusammenbrach und bald darauf die Erfahrung des revolutionären | |
Aufbruchs vom Herbst 1989 von Ernüchterung und wirklicher oder gefühlter | |
Deklassierung verdrängt wurde, hätte diese Melange ohne die PDS zu noch | |
barbarischeren Zuständen führen können, als es so schon, von Hoyerswerda | |
bis zur NSU, der Fall war. | |
Als Folge steht die Partei in Thüringen davor, in Gestalt eines braven | |
Gewerkschafters aus Osterholz-Scharmbeck | |
erstmals einen Ministerpräsidenten zu stellen, was Biermanns Auftritt einen | |
Bezug zur Gegenwart verleiht und was womöglich überhaupt der Grund dafür | |
war, Biermann zur Feierstunde im Bundestag einzuladen. Die Übersetzung | |
dieses Auftritts – [7][und die Einlassungen] des anderen | |
[8][selbstverliebten Super-Ossis] zum selben Thema – in Tagespolitik war | |
die Demonstration vom 9. November, als CDU-und AfD-Anhänger mit einigen | |
Neonazis durch Erfurt liefen - der elende Rest einer ganz anderen deutschen | |
Tradition. | |
Besser: Merkel sagt, dass sie diesen Plunder nicht braucht. | |
10 Nov 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article134125623/Der-elende-Rest.… | |
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/25-jahre-mauerfall/kommentar-zu-25-jahre… | |
[3] http://www.faz.net/aktuell/politik/25-jahre-mauerfall/wolf-biermann-brachte… | |
[4] /Wolf-Biermann-im-Bundestag/!149090/ | |
[5] /Entfuehrung-von-Gedenkkreuzen-in-Berlin/!148838/ | |
[6] /Kolumne-Besser/!146033/ | |
[7] /Rot-Rot-Gruen-in-Thueringen/!148748/ | |
[8] /Kolumne-Besser/!88071/ | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
## TAGS | |
Besser | |
Wolf Biermann | |
Die Linke | |
Schwerpunkt Thüringen | |
Islamophobie | |
Besser | |
DDR | |
Besser | |
Besser | |
Besser | |
Deniz Yücel | |
Schwerpunkt Deniz Yücel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Besser: Antwort auf „Pegida“ gefunden | |
„Pegida“ will man sich nicht mal im Internet näher anschauen. Bei der | |
„virtuellen Tour“ durch Özgida hingegen gibt’s sogar Musik. | |
Kolumne Besser: Es gibt anscheinend Informationen | |
Was andere nicht sagen, was andere nicht zeigen, das sagt und zeigt | |
Putin-TV. Jetzt auf Deutsch, mit Moderatorin Jasmin Kosubek und krassen | |
Infos. | |
Debatte DDR und Linke: Der flatterhafte Unrechtsstaat | |
Die Linkspartei soll als Klub von DDR-Nostalgikern vorgeführt werden. Was | |
die Regierung behauptet, sollte mit Skepsis betrachtet werden. | |
Kolumne Besser: Muslim krass beleidigt | |
Gäbe es einen Nobelpreis für Beleidigtsein, die islamische Welt würde nicht | |
so leer ausgehen wie sonst. Jüngster Fall: die Anzeige gegen Dieter Nuhr. | |
Kolumne Besser: Liebe Kurden, seid nett zur Autobahn | |
Die kurdische Bewegung steht vor einer historischen Chance, die | |
langersehnte Anerkennung zu erfahren. Aber weiß sie das eigentlich? | |
Kolumne Besser: Muss sich Mama vom IS distanzieren? | |
Zum Beispiel bei Jauch: Der fromme Muslim distanziert sich vom „Islamischen | |
Staat“, die säkulare Türkin sieht dafür keinen Grund. Was sagt uns das? | |
Türkdeutsche und Ostdeutsche: "Diese verfluchte Einheit" | |
Was Ostdeutsche und Türkdeutsche miteinander verbindet – und warum sie sich | |
trotzdem nicht leiden können. Mit der Wiedervereinigung fing es an. | |
Lebensgefühl von Einwandererkindern: Das Trauma von Mölln | |
Mit dem Brand in Ludwigshafen war die Erinnerung sofort da: 90er-Jahre, | |
Anschläge auf Häuser in Mölln und Solingen. Damals hieß es plötzlich auch | |
für "Abiturtürken": "die" gegen "uns". |