# taz.de -- Wirtschaft nach der Wende: Ostler peppen den Westen auf | |
> Wirtschaftsforscher kritisieren die einseitige Bilanz der Einheit. Die | |
> alten Bundesländer hätten erheblich von qualifizierten und motivierten | |
> Menschen aus dem Osten profitiert. | |
Bild: Auch der Westen der Republik hat vom Osten profitiert. | |
BERLIN taz | Neidisch wird mancher Westdeutsche, wenn er auf einer schick | |
sanierten Landstraße in den Urlaub an die Mecklenburger Seenplatte oder ins | |
Erzgebirge fährt: Da also fließen unsere Steuermilliarden hin, so ein | |
gängiges Vorurteil. Dabei haben die Ostdeutschen, gesamtökonomisch | |
betrachtet, einen Großteil der Kosten der deutschen Einheit selbst bezahlt, | |
und sie werden dies in Zukunft verstärkt weiter tun. | |
So sieht es jedenfalls der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung | |
Halle (IWH), Ulrich Blum. "Wenn man genauer hinschaut, dann erkennt man, | |
dass Ostdeutschland zu einem Großteil die Kosten der Einheit selbst | |
getragen hat - und immer noch trägt", sagt er. | |
Zwar flossen seit der Wende rund 1,4 Billionen Euro in den Osten - dennoch | |
profitierte auch Westdeutschland in erheblichem Maße davon. Als kurz nach | |
der Wende die Ostdeutschen Autos, Fernseher, Gasheizungen oder Kühlschränke | |
kauften, steigerten die Firmen im Westen ihre Absätze, wodurch nicht nur | |
eine Rezession verhindert wurde, sondern auch zusätzliche Steuereinnahmen | |
generiert wurden. Auch bei der Sanierung der Infrastruktur in | |
Ostdeutschland profitieren Westfirmen. | |
Wichtiger aber noch ist der Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte in die alten | |
Bundesländer. Seit 1989 haben 1,8 Millionen Menschen die Gebiete der | |
ehemaligen DDR verlassen, stellt das IWH in seiner großen Studie | |
"Ostdeutschlands Transformation seit 1990" fest. Das sind so viele | |
Menschen, wie die wirtschaftsstarke Stadt Hamburg Einwohner hat. Dabei | |
wanderten und wandern vor allem junge und motivierte Menschen aus | |
Ostdeutschland in die alten Bundesländer ab, fast jeder zweite Fortziehende | |
ist unter 30 Jahre. Und auch die älteren Abwanderer sind häufig hoch | |
qualifiziert. | |
Haben die Wegzügler erst einmal einen Job fern von zu Hause gefunden, fällt | |
ihnen ein Rückgang in die Heimat schwer - trotz aller Rückkehrerprogramme, | |
die mittlerweile im Osten Deutschlands aufgelegt werden, um dem absehbaren | |
Mangel an qualifiziertem Personal zu begegnen. Der Mangel aber schwächt die | |
wirtschaftliche Entwicklung. | |
Vom Zuzug der in der DDR beziehungsweise den neuen Ländern gut | |
ausgebildeten Ostdeutschen profitieren vor allem Bayern, Baden-Württemberg, | |
Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Der Zuzug der Hochqualifizierten aus | |
Ostdeutschland sei vor allem ab Anfang dieses Jahrzehnts eine wesentliche | |
Grundlage der wirtschaftlichen Expansion gewesen, hauptsächlich in den | |
süddeutschen Ländern, stellt das IWH fest: "Per Saldo hat Ostdeutschland | |
seine sehr positive demografische Reserve letztlich in die süddeutschen | |
Flächenländer exportiert und damit deren Bevölkerungs- und | |
Humankapitalstruktur nachhaltig verbessert." | |
Grob überschlagen machten allein die Steuergelder der in den alten | |
Bundesländern lebenden Ostdeutschen ein Drittel der Transferleistungen in | |
Höhe von 75 Milliarden Euro pro Jahr aus, rechnet IWH-Chef Blum vor. | |
Spätestens ab 2013 werde ihre Wirtschaftsleistung der Höhe der | |
Transferzahlungen entsprechen. | |
3 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Richard Rother | |
## TAGS | |
Deniz Yücel | |
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