# taz.de -- Ergebnis der neuen Pisa-Studie: Migrantenkinder auf Aufholjagd | |
> Schüler mit Migrationshintergrund haben beim Lesen einen großen Sprung | |
> nach vorn gemacht. In den Schulen werden sie inzwischen besser gefördert. | |
Bild: Gerade die Schüler mit Migrationshintergrund haben seit dem Pisa-Urknall… | |
BERLIN taz | "Ist das ein Witz?", fragt Christina Schichtel-Winkler. | |
"Natürlich sind wir nicht erst durch die Pisa-Studie darauf gestoßen, dass | |
unsere Schüler benachteiligt sind." Die Herbert-Grillo-Gesamtschule im | |
Duisburger Norden konzentriere sich schon seit vielen Jahren darauf, bei | |
ihren Schülern die deutsche Sprache zu fördern, sagt Schichtel-Winkler, die | |
Schulleiterin. | |
Durchschnittlich vier Schüler einer Klasse sind deutsche Muttersprachler, | |
der Großteil der Kinder und Jugendlichen hier kommt aus | |
Einwandererfamilien, meist aus türkischen. Studenten betreuten Schüler mit | |
Deutschdefiziten zuletzt drei Jahre lang zusätzlich in Kleingruppen. | |
Außerdem gibt es Nachhilfe für Fächer wie Mathe in der Herkunftssprache. | |
Die Schulen in Deutschland haben sich auf den Weg gemacht. Die neue | |
Pisa-Studie, die die OECD am Dienstag veröffentlichte, zeigt, dass gerade | |
die Schüler mit Migrationshintergrund seit dem Pisa-Urknall vor neun Jahren | |
enorm aufgeholt haben. Der Anteil der auf Grundschulniveau lesenden | |
Neuntklässler schrumpfte insgesamt von 24 auf unter 20 Prozent. Und das ist | |
allein den Kinder, deren Eltern im Ausland geboren wurden, zu verdanken. | |
Denn sie rückten im Durchschnitt um 26 Punkte oder ein halbes Schuljahr | |
vor. Damit liegen immer noch anderthalb Jahre Lernzuwachs zwischen ihnen | |
und Schülern mit deutscher Muttersprache. | |
Der Anteil der Schüler aus Einwandererfamilien ist seit der ersten | |
Pisa-Studie auf 26 Prozent gestiegen. Die Hälfte der getesteten Schüler | |
gehört heute der zweiten Generation an, jeder zweite von diesen spricht zu | |
Hause Deutsch. Besonders in türkischstämmigen Familien ist diese | |
Entwicklung augenfällig. Ein Drittel der hier geborenen Schüler spricht | |
auch mit den Eltern Deutsch - ein doppelt so hoher Anteil wie vor zehn | |
Jahren. | |
Das könnte nach Ansicht von Petra Stanat, Autorin der deutschen | |
Pisa-Bilanz, ein Grund für die gestiegene Lesekompetenz der Schüler sein. | |
"Pisa hat außerdem den Blick darauf gelenkt, wie wichtig es ist, nicht nur | |
im Kindergarten und der Grundschule, sondern auch in den Sekundarschulen | |
Sprache zu fördern", sagt die Direktorin des Instituts für | |
Qualitätssicherung. Doch das allein reiche nicht. "Sprachförderung ist noch | |
immer ein großes Manko im deutschen Schulsystem." Sie müsse ausgebaut, | |
intensiviert und vor allem systematisiert werden. Es gebe zwar viele | |
Angebote, aber auf ein zusammenhängendes Konzept hätte man sich bisher | |
nicht geeinigt. Stanat untersucht derzeit, welche Sprachfördermaßnahmen | |
wirklich wirken. | |
Denn die Pisa-Erfolge der Kinder aus Einwandererfamilien können nicht | |
verdecken, dass sie weiterhin stark benachteiligt sind. Im Nachbarland | |
Schweiz ist die Differenz zu Jugendlichen mit einheimischen Eltern nur halb | |
so groß und beträgt 25 Punkte, obwohl dort anteilig mehr Schüler aus | |
Einwandererfamilien lernen. | |
Solche herkunftsbedingten Benachteiligungen zu verringern, hatten die | |
Kultusminister 2001 zu einem ihrer zentralen Handlungsfelder erklärt. Der | |
Bund und zehn Länder legten ein auf fünf Jahre angelegtes gemeinsames | |
Modellprojekt zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit | |
Migrationshintergrund (FörMig) auf. Unter den 600 Schulen und Kitas war | |
auch die Herbert-Grillo-Gesamtschule. Im letzten Schuljahr musste | |
Schulleiterin Schichtel-Winkler die Studenten jedoch nach Hause schicken - | |
das Modellprojekt ist ausgelaufen. An dem Nachfolgeprojekt beteiligen sich | |
nur noch vier Länder. Schichtel-Winkler sucht jetzt neue Nachhilfekräfte: | |
"Das war ein gutes Konzept, aber wir brauchen langfristige Programme, die | |
sich entwickeln können." | |
Projektleiterin Ingrid Gogolin von der Uni Hamburg zieht dennoch eine | |
positive Bilanz. Das Programm habe gezeigt, dass es nicht reiche, an | |
Defiziten anzusetzen. "Es geht um Sprachbildung in jedem Unterricht. Auch | |
der Mathelehrer ist dafür zuständig." ANNA LEHMANN | |
8 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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